Lieber Dhalwim,
eine gute Frage, die ich als Anhänger des Buddha (also als Buddhist) gerne versuche zu beantworten. Um deine Frage (n) zu beantworten möchte ich zu Anfang versuchen zu klären, mit welcher Bezeichnung man den Buddhismus korrekt bezeichnen kann - also ob er besipielsweise eher als Religion oder Philosophie bezeichnet werden sollte. Als Grundlage möchte ich dazu ein etymologisches Wörterbuch zu Hilfe ziehen, also ein Wörterbuch, welches in ausgeprägtem Maße die Wortherkunft versucht herzuleiten. Nach dieser Definition möchte ich etwas genauer auf den Inhalt der buddhistischen Lehre eingehen, wobei ich auch die verschiedenen modernen Ausprägungen des Buddhismus, sowie deren historischen Hintergrund aufgreifen und behandeln möchte. Dies, weil ich es als essentiell ansehe, zu wissen, was authentischer Buddhismus ist - die Kenntnis eines authentischen Buddhismus ermöglicht eine korrekte praktische Herangehensweise oder gibt zumindest Hilfestellung um ein korrektes Weltbild zu gestalten. Anhand gegebener Definitionen und der Beschreibung der Merkmale des Buddhismus wird es auch einfacher, die von mir gegebene Bezeichnung nachzuvollziehen. Die von mir zitierten Textstellen sind zur besseren Unterscheidung kursiv. Die Antwort wird etwas länger ausfallen, da ich hoffe mit einer ausführlichen Antwort besser auf deine Frage eingehen zu können.
Definitionen
Religion:
"Es handelt sich wahrscheinlich um eine Bildung (so bereits Cicero) zu lat. relegere ‘von neuem in Gedanken durchgehen’, eigentl. ‘wieder zusammennehmen, zurücknehmen, wieder, von neuem lesen’ (vgl. lat. legere
‘auflesen, sammeln, auslesen, auswählen, lesen’). Eine andere,
ebenfalls antike, jedoch bereits christlich geprägte Auffassung (bei
Lactantius, um 300) stellt lat. religio zu lat. religāre ‘zurück-, auf-, anbinden, befestigen’ (vgl. lat. ligāre ‘binden, an-, festbinden, verbinden, vereinigen’); sie wird von Augustin aufgenommen, der religio als ‘Bindung des Menschen an Gott’ begreift, und dadurch Bestandteil der älteren Kirchensprache." (Aus: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache)
Philosophie
"Wissenschaft von den allgemeinen Entwicklungsgesetzen der Natur, der
Gesellschaft und des Denkens und von der Stellung des Menschen in der
Welt, Weltanschauung, mhd. philosophīe, aus lat. philosophia, griech. philosophía (φιλοσοφία) ‘Lebensweisheit, Liebe zur Gelehrsamkeit, zu den Wissenschaften’, vgl. griech. sophía (σοφία) ‘Weisheit, Wissenschaft’." (Aus: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache)
In beiden Definitionen finden sich Attribute die auch auf Charakteristika des Buddhismus zutreffen. Ein intelligentes "Auswählen" zwischen verschiedenen Lehren und Praktiken nach objektiven Maßstäben wurde vom Buddha gelehrt (nicht nur durch Hörensagen oder durch eine Autorität veranlasst, sondern durch eigenes unterscheidendes Überprüfen und Erkennen soll man einen Lehrer und dessen Lehre auswählen), durch dieses Auswählen findet ein gewisses "Anbinden" statt (im Falle eines Buddhisten eine Auswahl und Bindung der bzw. an die Lehre des Buddha in einer aufrichtigen Zufluchtnahme zu ihm, seiner Lehre und seiner Jünger als die maßgeblichen Dinge als Hilfe und Wegweiser zu einem leidfreien Leben - dies ist der Moment in dem man sich "offiziell" als Buddhist bezeichnen kann).
Vor diesem Hintergrund kann der Buddhismus als eine Religion bezeichnet werden. Ein "Binden", welches ja als eine Definitionsmöglichkeit des Wortes "Religion" gegeben wurde, findet dabei auch an eine Wissenschaft statt (buddhistisch geprägt), also an ein Lehrgebäude, welches u.a. die allgemeinen Entwicklungsgesetze der Natur (das Leiden und dessen Ursprung etwa) und der Gesellschaft, sowie die kosmische Position des Menschen in unserem Universum, erklärt (Karma, Wiedergeburt, verschiedenen Existenzebenen von Göttern, Tieren etc.). Sofern man von einer praktisch angewandten Philosophie spricht, kann der Buddhismus demnach auch gut als eine Philosophie bezeichnet werden - eine praktisch angewandte Philosophie in der auch eine starke wissenschaftliche Ausprägung (mit Klassifikationen etc.) sichtbar wird.
Da dieser praktische Bezug zu einem Lehrgebäude meiner Meinung nach etwa unter der Definition "Bindung" des Wortes "Religion" ohne Weiteres mit einbezogen werden kann, aber die Definition von Philosophie als eine Wissenschaft einen Zusatz braucht (es muss eine praktisch angewandte Philosophie sein - nennt man Wissenschaft alleine, spricht man der Lehre des Buddha einen entscheidenden Aspekt ab) würde ich meinen, der Buddhismus wäre korrekt benannt, würde man ihn als "Religion" bezeichnen. Auch die Ausrichtung auf den Buddha und seine Jünger wäre dann problemlos mit einbezogen. Da die Philosophien die mir bekannt sind, auch einen praktischen Bezug aufwiesen, würde der Buddhismus im allgemeinen Sprachgebrauch wohl aber auch als Philosophie korrekt bezeichnet werden können.
Der Buddhismus
Traditionsübergreifend finden sich Gemeinsamkeiten. Die Gemeinsamkeiten beziehen sich u.a. auf die direkte und persönliche Erfahrung der Befreiung, in der Verwirklichung des Nirvana, dem endgültigen und perfekten Überwindung allen Leidens: Dies ist Ziel aller buddhistischen Schulen und Richtungen - soweit mir bekannt - nur der Weg ist ein ander (dazu mehr weiter unten). Die vier edlen Wahrheiten umfassen diese Lehre des Leidens und der Aufhebung davon, innerhalb dieser Wahrheiten (als vierte Wahrheit) findet sich, als praktischer Übungsweg, der sogenannte "edle achtfache Pfad".
Dieser Weg umfasst - kurz gesagt - die Übung in tiefer geistiger Ruhe, bedingt, gestützt und durchdrungen von einem sittlichen Verhalten (Enthalten vom Töten, Stehlen etc.) und einem sittlichen Geisteszustand (Freiheit von Geiz, Neid etc.), durch die eine Einsicht in die wahren Merkmale des
Dasein (Vergänglichkeit etc.) hin zu dieser Befreiung im Nirvana ermöglicht wird.
Historischer Hintergrund
Es gibt drei unterschiedliche Hauptrichtungen im modernen Buddhismus,
den Theravada-Buddhismus (auch Hinayana genannt), den Mahayana-Buddhismus und den Vajrayana-Buddhismus. Es finden sich auch Beschreibungen des Vajrayana-Buddhismus als Teil des Mahayana-Buddhismus, dies, weil es sich scheinbar nur um bestimmte tantrische Praktiken handelt, die eine Unterscheidung ermöglichen - Unterschiede in der grundsätzlichen Lehrmeinung scheinen nur gering. Die gegebene Reihenfolge entspricht dabei den historischen Entstehungszeiten der verschiedenen Richtungen (1. Theravada Buddhismus etc.). Diese Aussage entspricht gängiger wissenschaftlicher, textkritischer Auslegungen neuzeitlicher/heutiger Indologen und/oder Buddhologen. Sie gehen z.B. den Entstehungsgründen der verschiedenen Richtungen des Buddhismus mit wissenschaftlicher Objektivität nach, sind also in der Regel weitaus weniger durch eventuelle Schulzugehörigkeit in ihrer Auslegung und Recherche
beeinflusst, verneinen auf der anderen Seite aber häufig unter diesen
streng modern wissenschaftlichen Gegebenheiten die Existenz von
jeglichem Übermenschlichen, sind also wiederum von unserer Kultur in
gewisser Hinsicht gefärbt. Alle genannten Schulen beanspruchen aber (scheinbar auch die späteren) eine direkte Verbindung mit dem historischen Buddha Gautama, dabei gelten nur die Lehren der frühbuddhistischen Schulen (also auch die des Theravada-Buddhismus) als historisch fundiert.
Entstehung des Mahayana-Buddhismus
Zwei Entstehungsversionen der frühen Mahaya-Lehren sind mir bekannt: die ursprünglichen Texte des Mahayana selbst erklären angeblich, dass ihre Lehren zu Anfang nur für einen bestimmten Kreis von Hörern bestimmt war (aber direkt vom Buddha gelehrt) und erst später in großem Maße verkündet wurden, zu einer Zeit in der kompetente Lehrer und aufnahmefähige Menschen vorhanden waren. Als Erklärung eventuell möglich ist auch ein zwischenzeitliches Aufbewahren, bis zu einem geeigneten Zeitpunkt, dieser Lehren in einer nicht-menschlichen Welt, nachdem sie der Buddha ursprünglich verkündete. Anerkannte Indologen sagen dazu etwa, dass die Beweislast dahingehend sich neigt, dass diese Texte im 1. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung entstanden.
Die Unterschiede
Es werden in jeder Ausprägung (ob Mahayana oder Theravada) zwei Wege gelehrt, jedoch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung: der Weg der Jünger (Schwerpunkt im Theravada-Buddhismus) und der Weg eines angehenden Buddha (Schwerpunkt im Mahayana-Buddhismus), eines universalen Meisters, der in großem Umfang die Menschheit lehrt (so war es der historische Buddha Gautama) - der Weg von geringerem Wert, ist der des Jüngers, der von größerem Wert, der des Buddha. Denn: Ein Buddha hilft weitaus mehr Wesen auf dem Weg zur Erleuchtung als ein Jünger, ein Jünger ist hauptsächlich um eigene Befreiung bemüht, obwohl auch er vielen Hilfestellung geben kann, lediglich weitaus weniger stark als ein Buddha dazu in der Lage ist. Ein Jünger hat die selbe Befreiung des Geistes, Freiheit von Gier, Hass und Verblendung wie ein Buddha, hat traditionsgemäß aber einen kürzeren Weg in der Übung der für die Erleuchtung nötigen Perfektionen (i.e. Grozügigkeit, Tugend, Weisheit etc.) zurückzulegen als der Buddha (dies in Bezug auf Wiedergeburten durch Äonen hindurch). Dies resultiert in der Befähigung des Buddha als ein Universal-Lehrer für die Menschheit zu dienen. Der direkte edle achtfache Pfad wird aufgeschoben und ein spezieller Weg für Erleuchtungswesen eingesetzt. Der Mahayana-Buddhismus damit also den großen Weg (Sanskrit: maha=groß; yana=Fahrzeug oder Weg), den Weg zur Erleuchtung als Buddha und wird demnach auch als Bodhisattvayana bezeichnet, der Weg als Wesen, welches zur Erleuchtung als Buddha bestimmt ist (Sanskrit: bodhisattva=Erleuchtungswesen; yana=s.o.) - ob begründet oder nicht siehe weiter unten.
Auf diesem Unterschied begründet, werden die frühen Schulen des Buddhismus (darunter ist die Theravada-Schule eine) auch als Hinayana bezeichnet (Sanskrit: Hina=klein oder gering; yana= s.o.). Die Theravada-Buddhisten, auch "Schule der Älteren" genannt (Pali: thera= Ältere; vada=Schule), meinen, dass der Buddha hauptsächlich den direkten Weg zur Befreiung in diesem Leben lehrte und das, wenn ein Wesen den Wunsch hat ein Buddha zu werden - dessen Realisierung auch tatsächlich möglich ist - es spezieller Bedingungen bedarf (etwa der persönlichen Prophezeiung eines bereits verwirklichten Buddha) um mit Sicherheit sagen zu können, dass jemand sich wirklich auf dem Weg befindet (könnte auch aus der Kommentar-Literatur stammen). In Einklang mit der gängigen, mir geläufigen, Meinung der akademischen Buddhismusforscher, erklären die Theravada-Buddhisten die Texte, worauf sich die Lehren des Mahayana gründen - mit ihren verstärkten Ansatz des "großen Weges" des Erleuchtungswesen - als unauthentisch.
Schluss
Es besteht, meines Erachtens, also durchaus eine Gefahr, die fundierten
Lehren des frühen Buddhismus, mit seiner Ausrichtung auf unmittelbare
Befreiung in diesem Leben, für eine nicht eindeutig authentisierte Lehre eines Weges der Erleuchtungswesen abzutun. Der mit größtmöglicher Sicherheit zu bestimmende Weg zur Erleuchtung ist ein Weg, der in seiner Essenz von allen Schulen akzeptiert wird und in seiner Authentizität des Weiteren auf die Ergebnisse moderner Forschung basieren - dies sind die Lehren des frühen Buddhismus, wie sie im Theravada-Buddhismus am umfangreichsten zu finden sind.
Ich hoffe die Antwort konnte dir etwas, wenn auch nur ein wenig, Aufschluss über die in unserer Moderne anzutreffenden Richtungen des Buddhismus geben und dir eine sinnvolle Definition des Begriffes "Buddhismus" geben.
Bei weiteren Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Herzlichst
Dukkhanirodha