Christlicher Glaube im Blickwechsel - Rückblick auf ein neues Ask Me Anything-Konzept

gutefrage-Redaktion
17.4.2024

Der Blickwechsel ist mittlerweile ein ziemlich eingespieltes Segment auf unserer Plattform. Jeden Monat beantwortet normalerweise ein Nutzer Fragen zu einem Thema, das ihn in irgendeiner Art und Weise auszeichnet. Was die Themenauswahl angeht, können wir mit Fug und Recht behaupten, dass die Historie unserer bisherigen Blickwechsel-Aktionen ein gutes Abbild der Diversität unserer Community darstellt. Die unterschiedlichsten Themen waren inzwischen vertreten, vom Freimaurer über den Bodybuilder bis hin zu einem Nutzer, der seinen Lebensmittelpunkt nach China verlegt hat.Nun war es an der Zeit für eine neue Spielart des Blickwechsels. Ein Thema sollte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Gewissermaßen auch für uns ein kleines Experiment. Denn für die erste Version dieses neuen Blickwechsel-Formats suchten wir uns ein Thema aus, das durchaus einen gewissen Zündstoff beinhaltet: Christlicher Glaube.

Ein Satanist, ein Atheist und eine Christin - eine explosive Mischung?

Wer sich ein wenig auf gutefrage auskennt, dem ist wahrscheinlich bekannt, dass “Religion & Glaube” eine der Themenwelten ist, in denen es auch mal heißer hergeht. Denn auch wenn Glaube ein sehr persönliches Thema ist, besteht auf allen Seiten teils ein gewisser missionarischer Eifer, der Kommunikation schwierig machen kann. So schien auch das Setup unseres Blickwechsels auf den ersten Blick für so manche Nutzer gewiss ein Rezept für ein kleines Desaster zu sein. Denn darin sollten drei Nutzer gemeinsam über ihre persönlichen religiösen oder anti-religiösen Auffassungen sprechen, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten. Eine in einer Freikirche engagierte Christin (annie80); ein in der 'Church of Satan' organisierter Satanist (MagisterSamael) und ein wissenschaftlich-materialistischer Atheist (Adjuvar) sollten die Fragen der Community beantworten. Dabei war es möglich, allgemeine Fragen zum Christentum zu stellen oder Fragen direkt an einen der drei Kandidaten zu richten, sodass auch Fragen zu Satanismus und Atheismus erlaubt waren. Im Forum sahen einige Nutzer kurz nach Ankündigung der Aktion den großen Knall schon kommen.

Bild von Forumbeitrag

Und zugegeben: Ganz unbegründet erschien diese Prognose ja nun nicht. Doch wie lief die Aktion dann tatsächlich ab?

Respektvolles Miteinander trotz konträrer Ansichten

An der Stelle wollen wir es nicht unnötig spannend machen: Der große Knall, er blieb tatsächlich aus. Adjuvar, annie80 und MagisterSamael schilderten allesamt ihre persönliche Sicht darauf, weshalb sie glauben oder eben nicht glauben - ganz ohne missionarischen Eifer und Wortgefechte untereinander.

Exemplarisch hier ein Blick auf die Antworten von annie80 und MagisterSamael auf die Frage zu einem Gedankenspiel: Hätten sie die Möglichkeit über einen Knop alle Menschen dazu zu bringen, dasselbe zu denken wie sie - würden sie ihn drücken?

Nein, so einen Knopf würde ich nicht drücken. Denn der christliche Glaube soll freiwillig sein - auch wenn das in der Geschichte nicht immer der Fall war.

Der christliche Glaube ist eine Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Sowas kann man nicht erzwingen.

Und auf deine genaue Formulierung einzugehen: Auch unter den Christen würde ich nicht wollen, dass "alle" den genau gleichen Standpunkt haben wie ich. Da würde die Vielfalt verloren gehen, und abgesehen davon bin ich nicht unfehlbar.

Zur Antwort

Ave Satanas!

Nein. Individualismus ist richtig und wichtig. Nicht jeder Mensch sollte der gleichen Idiotie unterliegen oder die gleiche Meinung besitzen.

Ich behaupte nicht, dass meine Religion "die Richtige" ist oder per se von jedem akzeptiert werden muss.

Und diesen Individualismus finde ich absolut gut. Wir Menschen haben uns schon seit Anbeginn nur weiter entwickelt, weil wir unterschiedlicher Meinung waren. Wenn jeder die Gleiche Ansicht besitzt, dann können wir nicht mehr voneinander lernen und uns weiterentwickeln.

Zur Antwort

Aufgrund dieser entspannten Haltung, die auch der dritte im Bunde - Adjuvar - teilte, lässt sich beinahe bilanzieren, dass die Aktion in gewisser Art und Weise drei Blickwechsel in einem enthielt. Alle Kandidaten hatten unterschiedliche Themen, die ihnen besonders wichtig waren und die sie in ihren Antworten vermitteltenannie80 schilderte in zahlreichen Antworten, welche Rolle die Bibel in ihrem Leben spielt und weshalb sie sich für ihre Freikirche entschieden hat. Dabei scheute sie auch nicht davor zurück, über scheinabre Schattenseiten in der Bibel zu sprechen:

Deine Frage (im Titel) ist verständlich. Ich gehe mal auf zumindest auf einige deiner Punkte ein, denn ich blende diese Erzählungen nicht aus - aus deiner Sicht rede ich sie vielleicht schön.

Ist es dein "heiliges Buch"?

Nicht so heilig wie der Koran für Moslems. Aber es ist das für mich wichtigste Buch (bzw der Inhalt).

Glaubst du an den Gott der Bibel? Ist es dieser Gott, den du anbetest, oder irgendeine komplett eigene Version eines Gottes?

Ja, das würde ich so sagen. Aber fast jeder Mensch bekommt durch die Bibel ein anderes Bild von Gott. Deiner Frage entnehme ich, dass nach deiner Interpretation Gott gern Menschen umbringt, um das mal verkürzt zu sagen. Dieses entspricht nicht meinem Gottesbild - und auch nicht dem der meisten Christen, denen die Bibel ebenfalls wichtig ist. Deshalb möchte ich auch noch auf deine folgenden Fragen eingehen. Ich kann dir aber nicht versprechen, dass du meine Sicht nachvollziehen kannst.

Wie rechtfertigst du dann zum Beispiel, dass dieser Gott in einem kleinliche Wutanfall, weil die Menschen ihm nicht gehorchten in der Geschichte, mal eben fast alle Menschen und andere Tierarten ersäuft hat? (Story: Arche).

Es war kein "kleinlicher Wutanfall". Da ist so einiges vorher passiert. Hast du mal gelesen, wie die Menschen sich damals verhalten haben? Ich zitiere mal:

Der HERR sah, dass die Menschen auf der Erde völlig verdorben waren. Alles, was aus ihrem Herzen kam, ihr ganzes Denken und Planen, war durch und durch böse.

Quelle

Du bekommst doch auch die Nachrichten heutzutage mit. Kennst die Geschichte Deutschlands vor bald hundert Jahren. Damals hat Gott nicht, wie es heute scheint, tatenlos zugesehen. Er hat eingegriffen. Und die Menschen haben mitbekommen, wie Noah da irgendwas komisches machte. Sollten sie ihn gefragt haben, warum er das macht, hat es sie nicht zum Umdenken bewegt. So wie heute, wo Christen von Gott erzählen und ihr Umfeld nimmt es einfach mal zur Kenntnis - es bewegt sie nicht zur Umkehr.

Jetzt schweife ich vielleicht ab, aber wie du siehst: Ich lese aus der Sintflut etwas anderes heraus als du.

Die (Nicht)Opferung von Isaak durch Abraham ist wirklich ein schwieriges Thema. Manchmal muss man sich entscheiden, was einem wichtiger ist: Das was Gott will, oder was ich für wichtig halte. Für so wichtig, dass ich dabei die Prioritäten falsch setze. Wie man sieht: Wenn man Gott gehorcht, sorgt er für die richtige Lösung. Abraham musste seinen Sohn nicht töten, Gott sorgte für ein Opfertier. Und Abraham hat festgestellt, dass er seinen Sohn (den er ja sehnsüchtig erwartet hat, auf den er alle seine Hoffnungen gesetzt hat) innerlich loslassen muss.

Was die Todesstrafen und die vielen Kriege allgemein betrifft: Das war damals gang und gäbe in wohl allen damaligen Kulturen und Religionen. Hätte Gott bei seinen Volk eine Ausnahme gemacht, hätte die Bevölkerung das gar nicht verstanden und wäre untergegangen.

Heute leben wir in einer anderen Kultur, wo das nicht mehr üblich ist (und vieles andere aus biblischen Zeiten auch nicht mehr). Gott passt sich uns zu einem gewissen Grad an, was eben auch dazu führt, dass er die Maßstäbe nicht grundsätzlich neu setzt.

Und es ging auch - das ist jetzt wieder die göttliche Sicht - darum, dass Sünde ausgemerzt werden musste. Mir ist klar, dass das heute nicht für jeden nachvollziehbar ist. Was ich daraus für "heute" lerne ist, dass man Sünde im eigenen Leben nicht zulassen soll, weil sie sich sonst ausbreitet und mein Leben vergiftet. (Und nein, das gelingt mir nicht grundsätzlich.)

Sagst du, dass man "Gott" nicht mit menschlichen Maßstäben messen dürfte?

Ja, weil wir Menschen einfach nicht den Überblick haben und nicht perfekt sind. Und auch menschliche Maßstäbe sind nicht weltweit deckungsgleich.

Auch wenn du das möglicherweise nicht so nachvollziehen kannst, hoffe ich, dass dir das etwas weiterhilft.

Zur Antwort

MagisterSamael klärte über Satanismus auf und versuchte den interessierten Fragestellern ein ums andere Mal nahezubringen, dass Satanismus nichts mit Teufelsanbetung zu tun habe.

Ave Satanas!

  • Satanismus = Atheistisch
  • Luziferianismus = Theistisch

Während im Satanismus Satan symbolisch als Vorbild für den Kampf gegen den gesellschaftlichen Gotteswahn herangezogen wird ohne selbst an ihn zu glauben, sehen Luziferianer Luzifer als den Lichtbringer und Gott an.

Oftmals werden beide Religionen aufgrund der Gotteskritik vermischt, das wird aber beiden nicht gerecht. Es sind zwei völlig verschiedene Religionen, mit verschiedenen Glaubenssätzen und Zielen.

Zur Antwort

In einer anderen Antwort offenbarte er zudem, in der Vergangenheit bereits in einer Beziehung mit einer - seiner Aussage nach erzkatholischen jungen Frau - gewesen zu sein.

Adjuvar hingegen schilderte seine Weltsicht sehr nüchtern und auf Basis von Marx & Engels als grundlegend materialistisch. So sei der Mensch und sein Geist durch seine Umwelt determiniert, aus derer letztlich auch die unterschiedlichen Religionsauffassungen erwachsen sind.

Dem Vorwurf, dass auch der Marxismus in der Praxis die Rolle einer Ersatzreligion angenommen habe, entgegnete er:

Zuerst einmal müsste die Definition von Religion geklärt werden. Religionen beinhalten stehts der Glaube an Metaphysik, was auf dem Marxismus nicht zutrifft. Der Marxismus soll eine wissenschaftliche, phillosophische Weltanschauung darstellen, und eben keine stumpfe dogmatische Verehrung, wie sie leider teilweise praktiziert wurde und wird. Die DDR im Besonderen bedürfe noch eine eigene Analyse/Kritik, die ich an dieser Stelle bloß oberflächlich als "allmähliche revisionistische Zerfallserscheinung" (Dem langsamen Abfall vom Sozialismus) beschreiben möchte.

Rituale wie die Jugendweihe haben daher meiner Ansicht nach an sich keinen religiösen Charakter.

Zur Antwort

Gelebte religiöse Toleranz im Blickwechsel

Wenngleich der ein oder andere, der das Popcorn für den Blickwechsel schon hervorgeholt hatte, vielleicht ein bißchen enttäuscht über den Ablauf der Aktion gewesen sein mag, so bleibt schlussendlich doch zu sagen, dass unsere erste Blickwechsel-Aktion mit mehreren Teilnehmern ein schönes Beispiel dafür gewesen ist, wie ein gutes und respektvolles Miteinander trotz stark konträrer Ansichten funktionieren kann. Hier an dieser Stelle auch nochmal ein großes Lob an unsere drei Kandidaten annie80, Adjuvar und MagisterSamael, die dieses Experiment mit uns gewagt haben.

Abschließend sei noch auf eine Antwort zum Thema Religionskritik verwiesen, die von allen drei Kandidaten beantwortet wurde. In diesen Antworten wird nochmal grundsätzlich sehr deutlich, dass ein Respekt für die Weltanschauungen der jeweils anderen bei allen drei vorhanden ist - wenn sie diese für sich auch ablehnen mögen.

Alle weiteren Aktionsfragen finden sich auf unserer Übersichtsseite zur Aktion.

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