Was bedeutet Glück nach Epikur?

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Epikur hat wie alle antiken Philosophen in einer ganz anderen Zeit gelebt wie wir heute. Das Leben war unendlich beschwerlicher, risikoreicher, in der Regel viel kürzer (Durchschnittsalter 35) und man war in ganz anderem Maße selbst für ein gelingendes Leben verantwortlich. Relative Sicherheit gab es nur hinter den Mauern der Polis. Erst recht für Frauen und Kinder. Es gab keine künstliche Beleuchtung. Wenn es dunkel wurde, gab es Funzellicht. Das nur als Andeutung, wie bereits die Umfeldbedingungen ganz andere Maßstäbe setzen, was heute gern übersehen wird. Glück haben, keinem Räuber oder Gewalttäter zum Opfer zu fallen war damals existentieller. Mit Lebensmitteln kenntnisreich und sicher umzugehen war eine Tugend der Hausverwaltung. Alles war viel verderblicher.

Glück war damals, ein glückendes Leben führen können. Sich selbst ein Umfeld von Familie und Freunden aufzubauen, in dem man Halt hatte, auch wenn man angegriffen wurde. Wie man ein glückendes Leben erreichen konnte, war noch zu Senecas Zeiten die Frage. Dass politische Abentheuer eine Rutschbahn ins Unglück sein konnten, wie Epikur gewarnt hat, hat Seneca erst erfahren, als ihm Nero mit Leibgardisten den Befehl zur Selbsttötung geschickt hat. Für Epikur konnte man von einem glückenden Leben sprechen, wenn man sich in den Wechselfällen des Lebens mit seinen ständig neuen Herausforderungen möglichst viel Authentizität, persönliche Freiheit bewahren konnte und die Fähigkeit, Lebensprobleme zu lösen.

Über die Erfahrung, dass man das gut im Griff hat, stellte sich dann ein wichtiges Ziel ein, die Gelassenheit. Gelassen kann man nur sein mit der Erfahrung, dass man die Wechselfälle des Lebens im Griff hat und alle Grundbedürfnisse auf absehbare Zeit als gesichert gelten können. Dazu gehörte für Epikur auch ein stabiler Freundeskreis, in dem die Lebensprobleme und ihre Lösungen reflektiert wurden. Für Epikur gab es zwei Gefahrenquellen, die ein solches Leben bedrohten. Einmal die übertriebene, künstliche Angst, von Priestern und Politiker verbreitet, um sich die Menschen mittels Angst wie Marionetten dienstbar machen zu können. Das wird in der Literatur vielfach ausgeführt. Weniger ausgeführt wird die zweite Quelle: Die Sucht, sich eine dauerhafte Sicherheit zu schaffen durch Reichtum, durch Macht, auch politische Macht. Das führt zur Abhängigkeit der anderen Art, die wir heute als Gier oder Sucht kennen, als Verdrängung.

Darum ist es der größte Blödsinn, wenn man die höchste Lust als Glücksziel von Epikur ausgibt. Wenn Epikur sagt, wenn man Menschen glücklicher machen will, soll man ihnen einige ihrer übertriebenen Wünsche kürzen, wird deutlich, dass er eher in der Bescheidenheit, in der Selbstbeherrschung die Grundlagen eines gelingenden Lebens sah und nicht in sinnloser Prasserei. Sehr schön beschreibt das Prof. Michael Erler, ein Epikur-Kenner:

http://www.zeit.de/1999/27/Leben_wie_ein_Gott_auf_Erden

Guten Tag. Aus meiner Sicht bedeutet "Glück" nach Epikur kurz und knapp: >Innerer Friede<.

Damit ist also nicht "Glück" als schicksalsgebundener Begriff gemeint (i.S.v. "Glück haben") sondern als Frage nach den Freiräumen des Menschen, durch Eigenentscheidung und Selbsterziehung "inneren Frieden" finden zu können.

M.E. bewegt sich Epikur damit eher in einer Perspektive mit einem 2-fachen Fokus:

a) einem philosophischen

b) einem psychologischen

weil seine Fragestellung impliziert

a) die kritische Befragung des Wertbegriffs als eigenständig existierendes Konstrukt ethisch-moralischer Soll-Anforderungen und damit außerhalb individuell-empirischer Realität bzw. Relativierung, womit er automatisch in einem Bezug argumentiert, der

b) eine psychologische Dimension aufmacht, da somit "Glück" als das Erleben von "innerem Frieden" das Ergebnis der eigenen Einstellung als Ausformung der individuellen Bedeutungszuweisung an die affizierende Wahrnehmungsumgebung ist. -

b1) einfach gesagt: die Anforderungen unserer Wahrnehmungsumgebung sind in dem Maße nach Art und Maß wirksam für das Erleben oder aber die Störung von "innerem Frieden" wie wir ihnen Bedeutung für unser individuelles "Glücksverständnis" zuweisen.

Fast ein bischen "buddhistische Autosuggestion", gemischt mit dem Hinweis darauf, dass wir uns gut überlegen sollten, was wir in unserem Leben für "wertvoll" erachten. ;-)

Allerdings hat sich bei mir immer schon, neben der Anerkennung der Weisheit in diesem Ansatz (vor allem mit Blick auf die "Beklopptheiten unseres zeitgenössischen Konsum- und Leistungsirrsinns) auch Skepsis gemischt, da es im Umkehrschluß auch eine Art Einladung an ungerechte Gesellschaftssysteme und ihre Protagonisten bedeuten würde, den Menschen mit psychologischen Mitteln zur Zufriedenheit mit veränderungsbedürftigen Mißständen zu bringen, nach dem Motto: Deine Welt ist wie sie ist. Wenn du ein Problem damit hast ist es DEIN Problem. Arbeite dran. - Eine Jobmaschine für alle existierenden und noch kommenden Vertreter der Psychologie und Psychotherapie außerhalb ihres Kernbereiches tatsächlicher psychischer Erkrankungen. ;-)

Gruß

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