Ist der klassische Utilitarismus der quantitative Hedonismus von Bentham?

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Ja, die von Jeremy Bentham (1747 – 1832) vertretene ethische Theorie mit einem quantitativen Hedonismus ist »klassischer« Utilitarismus.

Zum »klassischen« Utilitarismus wird gewöhnlich auch der Utilitarismus von John Stuart Mill (1806 – 1873) gezählt, auch wenn dieser den Utilitarismus von Bentham etwas verändert hat und nicht in Reinform vertritt. Nach Auffassung von John Stuart Mill können nicht nur quantitative Unterschiede (Menge/Ausmaß des Glücks/der Lust/der Freude) in der Beurteilung einer Handlung eine Rolle spielen, sondern auch qualitative Unterschiede (die Beschaffenheit), wobei bestimmte Arten von Glück/Lust/Freude als wünschenswerter und wertvoller beurteilt werden. Mills Utilitarismus versucht, das Prinzip der Nützlichkeit auch für Menschen, die andere Ausgangspunkte in ihren ethischen Überzeugungen haben, annehmbar erscheinen zu lassen. Dies geschieht allerdings auf Kosten der Folgerichtigkeit.

Der „klassische“ Utilitarismus enthält als Grundsätze:

a) Konsequentialismus: Die Beurteilung, was in ethischer Hinsicht gut ist, hängt von den Folgen einer Handlung ab. Die Folgen können individuelle oder gesellschaftliche Folgen sein, je nachdem wer von Folgeneiner Handlung betroffen ist. Da Menschen gewöhnlich nicht isoliert leben, ist meistens nicht nur der sich entscheidende einzelne Mensch betroffen, sondern eine mehr oder weniger große Anzahl.

Prinzipien um ihrer selbst willen, innere Beweggründe, ein guter Wille oder Ähnliches sind für die Bewertung einer Handlung nicht maßgebend.

b) Nützlichkeitsprinzip: Handlungen werden nach ihrer Nützlichkeit beurteilt. Es geht um gute Folgen, aber das Nützliche ist eine Zweck-Mittel-Beziehung und bedarf zu einer inhaltlichen Bestimmung eines Kriteriums/eines Maßstabes. Inhaltlich aufgefüllt wird das Nützlichkeitsprinzip mit einer Theorie des Guten: Eine Handlung ist moralisch richtig, wenn sie das Glück fördert/vermehrt (die Tendenz dazu hat, also in diese Richtung geht) und falsch, wenn sie in der Summe ihrer Folgen Unglück hervorruft.

c) Eudaimonismus: Glück (griechisch εὐδαιμονία = Glückseligkeit) ist das höchste Lebensziel.

d) Hedonismus (griechisch ἡδονή = Lust, Freude, Vergnügen, Genuß): Der Nutzen wird als Glück bestimmt und dieses als Lust bzw. Freude, Annehmlichkeit, Gefälliges oder Ähnliches.

e) Universalität (ein Prinzip der Allgemeinheit): Alle sind zu berücksichtigen, das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl ist anzustreben.

Jeremy Bentham nimmt als Ausgangspunkt: Menschen streben Glück/Lust/Befriedigung an und möchten Unangenehmes/Schmerz/Leid vermeiden. Die Menschen sind grundsätzlich gleichberechtigt („Jeder zählt für einen und keiner mehr als für einen."). Die grundlegende Orientierung und das Motiv ist für die einzelnen Individuen die eigene Befriedigung/das eigene Wohlbefinden. Auch die Interessen anderer Menschen werden berücksichtigt (Wohlwollen und eine Art Sozialprinzip), aufgrund der Vernunft (wohlverstandenes Eigeninteresse) und gegebenenfalls durch Sanktionen (Strafen bei Nichtbeachtung) nahegelegt.

Glück wird als ein Empfindungsglück verstanden. Maßstab in der Ethik ist die Menge dieses Glücks. Damit ist ein quantitatives Kriterium aufgestellt. In einem hedonistischen Kalkül wird nach Bentham zusammengerechnet/abgewogen, was von einer Handlung an Glück zu erwarten ist. Empfindungen der Lust/Freude werden dabei hinzugefügt, Empfindungen der Unlust/des Schmerzes/des Leides abgezogen.

Beim größten Glück der größten Zahl steckt eine grundsätzliche Gleichheit der Menschen (beinallen individuellen Unterschieden) in dem Grundsatz und als Glück einer Gesellschaft/Gemeinschaft gilt die Summe des Glücks der einzelnen Menschen, aus denen sie zusammensetzt ist. Überlegt werden könnte, ob nicht auch andere Lebewesen, insofern sie Empfindungen haben, dazugezählt werden, soweit sie von Folgen einer Handlung betroffen sind.

Als Kriterien/relevante Faktoren/Gesichtspunkte nennt Jeremy Bentham bestimmte Umstände (circumstances) bzw. Elemente/Bestandteile (elements).

1) Intensität (intensity): Stärke/Grad/Eindringlichkeit der Empfindung von Lust/Freude oder Schmerz/Leid

2) Dauer (duration): zeitliche Erstreckung, in der die Empfindung besteht

3) Gewißheit/Ungewißheit (certainty/incertainty): Wahrscheinlichkeit/Unwahrscheinlichkeit des Eintretens der Folge

4) (zeitliche) Nähe/Ferne (propinquity/remoteness): Es geht darum, ob das Eintreten einer bestimmten Folge einer Handlung sofort, bald oder erst deutlich später erwartet wird.

5) Fruchtbarkeit/Erfolgsträchtigkeit/Folgenträchtigkeit (fecundity): Aussicht/Wahrscheinlichkeit, daß einer Handlung weitere Empfindungen der gleichen Art folgen, eine Handlung also über die direkten Folgen hinaus noch neue Lust/Freude bzw. Schmerz/Leid nach sich zieht

6) Reinheit (purity): Aussicht/Wahrscheinlichkeit, daß einer Handlung Empfindungen der entgegengesetzten Art folgen, ob also Lust/Freude durch Schmerz/Leid getrübt wird, die der Handlung - als mit ihr der Tendenz nach verbunden - nachfolgen

7) Ausmaß/Verbreitung/Wirkungsradius (extent): Anzahl der Betroffenen, auf die sich die Handlung erstreckt/die von ihr betroffen sind