Gab es im Mittelalter kein Rechtssystem?

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Das sind zwei unterschiedliche Fragen.

Ein Rechtssystem ist was anderes als Ermittlungsmethoden.

DNA-Analysen gibt es erst den 1980ern:

https://www.swr.de/swr2/wissen/article-swr-12456.html

Früher gab es schlicht weniger Möglichkeiten, Morde aufzuklären. Im Mittelalter konnten mit Folter Geständnisse erpresst werden.

Godaldaads 
Fragesteller
 15.04.2022, 23:21

falsche Geständnisse durch Folter .. unter Folter gesteht fast jeder

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  • Man darf unser heutiges Verständnis von Rechtssystem, "Mord", Ermittlungen etc. nicht einfach in frühere Zeiten (hier: Mittelalter) transferieren.

Selbstverständlich gab es ein Rechtssystem - aber es war weitgehend anders, als wir es heute kennen. Zwar wurden Tötungen, bei Fehlen wichtiger Gründe, in vielen Rechts- und Gesetzestexten durchaus als strafbar angesehen, aber das war mehr theoretischer Natur, weil es an einer systematischen Strafverfolgung fehlte - es galt fast ausschließlich der Rechtsgrundsatz: "Wo kein Kläger, da kein Richter."

Zudem war das Recht mehr darauf ausgerichtet Eigentum, den christlichen Glauben und die Ehre zu schützen, als das Leben einer individuellen Person.

Es gab kein staatliches Gewaltmonopol.

  • Ein Menschenleben zählte im Mittelalter nicht viel - das Individuum, mit seinen unveräußerlichen Rechten, war noch nicht erfunden.

Offene Gewalt war alltäglich - ein Mann hatte z. B. das Bestimmungs- Verfügungs- Straf- und Züchtigungsrecht über die Frau und die Kinder - das schloss auch ein, daß er sie töten konnte, wenn er das für richtig hielt - es ermittelte niemand "von Staats wegen".

Ein "Mord" interessierte i. d. R. niemanden, außer ggf. die Angehörigen; diese übten aber meist selbst Rache aus, indem sie wiederum denjenigen töteten, den sie für schuldig hielten oder sie erhielten eine Kompensationszahlung des "Mörders". Ansonsten konnten sie sich zwar an eine Art Administration wenden (sofern eine vorhanden war), die aber nicht ermitteln musste...

Es wurde also nicht zwangswesie "staatlicherseits" ermittelt, außer bei hochgestellten Persönlichkeiten, da mußte man meist gezwungermaßen etwas unternehmen - es wurde aber auch nicht sehr intensiv ermittelt, wenn es nicht schon einen potentiellen Täter gab...

"Mord" wurde als keine besonders aufregende Straftat angesehen, das den Aufwand einer Folter rechtfertigen würde.

Die angesprochene Folter wendete man bei wichtigen Straftaten an - z. B. wenn jemand auf der Seite geschlafen hat und das Gesicht gegen die Wand gerichtet war (gem. Hexenhammer).

Ansonsten folterte man i. d. R., außer aus religiösen Gründen, aus politischen Gründen oder um sich am Vermögen anderer zu bereichern und nicht um einen "Mörder" ausfindig zu machen.

Meist war es aber unspektakulärer: wenn es nicht zwei oder drei Zeugen gab (natürlich nur Männer und nur Männer mit gutem Leumund), wurde sowieso nichts weiter unternommen - ansonsten nach Befragung verurteilt - "im Zweifel für den Angeklagten" gab es zwar auch schon, aber man war meist nicht so interessiert daran, den wirklichen Täter zu verurteilen, sondern, zur Befriedigung der klagenden Partei, irgend jemanden zu verurteilen; dazu eigneten sich dann oft gewisse Personengruppen (die üblichen Verdächtigen)...

Damals wurde man aufgrund Zeugenaussagen verurteilt - auf objektive Beweise kam es i. d. R. nicht an - nur Zeugenaussagen sind generell unzuverlässig.

Heute dienen Zeugenaussagen fast nur noch dazu, eine bereits durch objektive Beweise feststehende Schuld, im günstigsten Fall pro forma zu bestätigen und um die Akzeptanz der Rechtsprechung innerhalb der Bevölkerung nicht zu gefährden - das gilt dann auch für die Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung - man könnte wahrscheinlich 90% aller Urteile am Schreibtisch nach objektiven Beweisen fällen - das würde aber eine Bevölkerung so nicht akzeptieren.