Frage an wissenschaftliche Mitarbeiter der Lehrstuhlinhaber für Philosophie an Universitäten (in Deutschland oder anderswo)
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Zu welchem Prozentsatz (in etwa) publizieren Professoren für Philosophie ihre Forschungsergebnisse nur in Form kompletter Bücher statt zunächst mal in Form kurzer Aufsätze, die Gegenstand von Peer Review werden?
1 Antwort
Im Bereich der Geisteswissenschaften dominieren Aufsätze stark. Bücher werden meist nur als unselbständige Sammelbände von Aufsätzen verschiedener Autorinnen und Autoren herausgebracht. Die meisten Profs haben außer ihrer Diss und ggf. Habil keine eigenen (d.h. komplett selbst geschriebenen) Bücher publiziert.
Danke für die Präzisierung! Dadurch wird Dein Anliegen klarer und das Thema wirklich spannend.
An Deinen Argumenten ist sehr viel dran, wie ich meine. Die Frage aber ist, woran das alles liegt... Warum werden "die großen Fragen" heute "nur noch" von Physikern/Naturwissenschaftlern beantwortet? Das ist gewiss nicht (allein) ein "Versagen" der philosophischen Fachdisziplin, sondern vielmehr ein Bekenntnis zum absoluten und bedingungslosen Vertrauen in Empirie und Naturwissenschaft. Als "große Fragen" gelten außerdem keine psychologischen oder metaphysischen (z.B. nach dem höchsten moralischen Gut, dem "Göttlichen" oder der "Seele") mehr, sondern sie werden aufgrund unserer intellektuellen Geisteshaltung als wissenschaftliche Fragen (z.B. Ursprung des Universums) angesehen; zugleich werden naturwissenschaftliche Verfahren als die vornehmlich validen Lösungsmethoden angesehen bzw. definiert. Dies ist vor allem eine Prämisse, von welcher philosophierende Naturwissenschaftler unausgesprochen ausgehen. Dass sie sodann die Physik zur neuen Philosophie erklären, ist folgerichtig.
Die These, dass philosophische Fragen heute durch Naturwissenschaft beantwortet werden, setzt also einen Paradigmenwechsel hinsichtlich des Vertrauens in bestimmte Methoden und ihrer Befähigung zur zufriedenstellenden Beantwortung dieser Fragen voraus. Ferner setzt sie einen Paradigmenwechsel bei der Fragestellung selbst voraus, nämlich im Sinne eines naturwissenschaftlichen Denkens.
Die akademische philosophische Disziplin ihrerseits hat sich --wie viele anderen geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer-- den ganz alten sowie auch ganz neuen fachlichen Trends zugewandt: Philosophiegeschichte, ihre aktuelle Rezeption sowie eine Fortführung der Methoden, welcher sich die Philosophie seit Generationen bedient; ferner auch neue Fragestelllungen zu Gesellschaft, Gender, Politik oder Kunst. Damit hat sie vermehrt Themen für sich erschlossen und in den Mittelpunkt gerückt, welche mittels naturwissenschaftlicher Methoden weniger angegangen werden können. Entsprechend ist sie vom thematischen Standpunkt quasi vielfach in neue Nischen ausgewichen.
Ich selbst habe mich infolge meines persönlichen Eindrucks, dass die akademische Philosophie und ihre Protagonisten heute größtentelis in Historismus, Sophismus und Feuilleton abgeglitten sind, abgewendet. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich, teils ohne sie je auch nur in der Hand gehalten haben zu wollen, sämtliche Ergüsse von Gabriel, Liessmann oder auch Sloterdijk unverzüglich gegen ein einziges Kapitel einer Enneade oder ein Gedicht von Heine oder Hesse eintauschen.
Peer Review ist indessen ein von den Naturwissenschaften für die Geisteswissenschaften adaptiertes Verfahren und dort bekanntlich nur bedingt aussagekräftig. Peer Reviews sind in der Philosophie letztlich nicht viel mehr als eine "zweite" bzw. "dritte" Meinung. Da aber die Fragestellungen und die Ansätze in den Geisteswissenschaften sehr differenziert sind (ich möchte beinahe wagen zu unterstellen, dass sie gar facettenreicher, flüchtiger und daher geradezu "beliebiger" sind als die empirischen Methoden der Naturwissenschaften), kann ein Review in den Geisteswissenschaften auch nur begrenzt Dinge leisten. Im Sinne einer empirischen "Verifikation" und "Nachprüfbarkeit" versagt es meines Erachtens tatsächlich in geisteswissenschaftlichen Diskursen - nicht aber, weil Peer Reviews an sich schlecht wären, sondern weil sie in diesen Disziplinen schlichtweg weniger greifen. Das weiß man auch in der Forschung, weshalb Reviews von vielen auch nicht sehr ernst genommen - wenngleich dennoch gefordert - werden. Oft wird in philosophischen Disziplinen auch das Freund-Feind-Schema ausgelebt, denn auch bei einem Double-Blind-Verfahren kann man als Reviewer vom Fach meist erschließen, wer Autor/-in eines Textes ist -oder anders herum: wer meinen Text begutachtet hat.
Danke, das ist interessant.
Mir fällt nur auf, dass Markus Gabriel (soweit ich sehen kann) offenbar nur ganze Bücher publiziert (und deswegen wohl kein Peer-Review stattfinden kann). Aber vielleicht täusche ich mich ja.
Vielleicht sollte ich noch erklären, warum mich das Ganze interessiert:
Es gibt renommierte theoretische Physiker (Naturwissenschaftler also), welche behaupten, Philosophie sei tot, also nicht mehr ernst zu nehmen.
Prominentestes Beispiel war der (inzwischen verstorbene) Astrophysiker Steven Hawking, der schrieb
Er (Hawking) wollte damit wohl sagen: Die großen Fragen – Woher kommen wir? Was ist Zeit? Gibt es einen freien Willen? – werden heute von Physikern beantwortet, nicht mehr von Philosophen.
Meine Frage nun ist: Fehlt es Hochschulphilosophen (wie etwa Markus Gabriel) dann aber nicht an Einsicht, wenn sie das nicht wahr haben wollen und stattdessen (wie Gabriel es tut) geradezu lächerlich wirkende Argumentation in die Welt setzen wie etwa: Die Welt als Ganzes könne (u.A.) deswegen nicht existieren, da man beim Versuch, sie ihrem Inhalt nach auflisten zu wollen, nie fertig würde? Auch dass sie sich nicht selbst enthalten könne, beweise, dass sie nicht existent sein kann. [ Note: Jede Menge im Sinne der Mathematik gilt als Teilmenge ihrer selbst. ]
Man bedenke: Gabriel ist Inhaber eines Lehrstuhls für Erkenntnistheorie !
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Frage also: Könnte es sein, dass im Bereich der Hochschulphilosophie (oder vielleicht gar der gesamten Geisteswissenschaften) Peer Review in geradezu sträflichem Umfang versagt?