Wieso ist die Rechtschreibung von so vielen Jugendlichen so schlecht?

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Als ich in die Schule ging, kosteten zwei Rechtschreibfehler einen Notengrad. Und bei sieben Fehlern war der Ofen dann endgültig aus (bei Überlänge gab es eine Gnaden­klausel, ein zusätzlicher Fehler pro 100 Wörtern oder so).

Heute besteht nur eine kleine Minderheit die dritte Klasse nach nach diesem Kriteri­um. Schuld daran sind Lehrer, die keinen Druck ausüben können, ein gesellschaft­liches Klima, das in jedem ein Opfer von Umständen sieht, eine Rechtschreibreform, die Beliebigkeit zum Prinzip erhoben hat, ein Medienkonsum, der vom geschriebenen Wort wegführt, und ein demographischer Wandel, der es nicht mehr erlaubt, Deutsch als Muttersprache vorauszusetzen.

Gegen all das kann man auch etwas machen, aber die Politik interessiert sich nicht für die Zukunft jenseits der nächsten Wahl. Mittel sind genug da, und je früher man damit anfängt, umso mehr Spaß macht es den Kindern und umso wirksamer ist es. Es ist ja kein Naturgesetz, daß Kinder kein Deutsch können oder sich nur im Slang ausdrücken wollen. Mit zwei Jahren Kindergarten ist das schon gut korrigierbar, aber dazu muß auch etwas gemacht werden. Die ersten Schuljahre könnten auch viel effizienter sein, wenn alle mit gleichen Voraussetzungen anfangen.

Aber das ist alles Utopie. Wir haben es heute erlebt, daß kaputte Rechtschreibung per Höchstgericht nicht nur nicht in die Note einfließen, sondern nicht einmal im Zeugnis vermerkt werden darf, angeblich im Namen der Chancengleichheit. Welche Chancen­gleichheit will jemand haben, der nicht schreiben kann? Gerichte können zwar ande­re staatliche Stellen schikanieren, haben aber wenig Einfluß aufs Wirkliche Leben™, und jemand, der nicht schreiben kann, wird nirgendwo eine erfolgreiche Karriere haben.

Ich befürchte, die europäischen Länder nähern sich immer mehr US-amerikanischen Zuständen an: Wer sich keine teure Privatschule leisten kann, lernt nicht und wird ab­gehängt. Bizarrerweise im Namen der Chancengleichheit.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik
Dichterseele  22.11.2023, 21:28

Richtig - leider haben heutzutage viele Deutschlehrer ein schlampiges Verhältnis zur Sprache! Und Chancengleichheit bedeutet gleiche Bildungsangebote für alle - bestimmt aber nicht, dass man schlechte Leistungen gutheißen soll.
Mich wundert nicht, dass ein Richter so einen Unsinn verzapft - die meisten Juristen sind unfähig, etwas vernünftig zu formulieren...! Davon, dass vielen die Fähigkeit fehlt, die Dinge differenziert logisch zu betrachten, ganz zu schweigen.

Fördern heißt auch fordern - das gilt nicht nur für die Rechtschreibung und das wurstige Gehabe mit dummen Ausreden vonseiten der Jugendlichen, sondern auch beispielsweise für den Chorgesang. Da ist Genauigkeit angesagt - wenn der Dirigent sie nicht einfordert, weil er Angst hat, die Sänger laufen ihm davon, wenn sie kritisiert werden, dann ist das Resultat unterste Schublade.

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RLandolt  23.11.2023, 13:21

«Eine Rechtschreibreform, die Beliebigkeit zum Prinzip erhoben hat» ist unfug. Das ist propaganda der reformgegner. Rechtschreibreformen bringen vor allem die abschaffung unnötiger regeln sowie eine beseitigung von ausnahmen. Beides stärkt die regeln.

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indiachinacook  23.11.2023, 13:47
@RLandolt

Das hält einer ehrlichen Überprüfung nicht stand — es wurden nur einfach irgendwelche Regeln durch ähnliche ersetzt, oder irgendwelche Einzelregelungen abgeschafft und dafür neue eingeführt.

Beispiel: Ja, es gibt die drei Wörter aufwenden, Aufwand und aufwendig. Der Wech­sel zwischen a und e ist irgendwie schwer zu erklären. Aber was wird daran besser, wenn man plötzlich aufwändig schreibt? Jetzt gibt es plötzlich drei verschiedene Vokale, und man hat nur eine Möglichkeit mehr zur Verwechslung.

Dazu kommt das absolute Chaos in der Rechtschreibung in den ersten Jahren der Reform. Damals wußte keiner, wie er schreiben sollte, und daher ging die Idee, auf Rechtschreibung zu achten, zu Bruch.

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RLandolt  23.11.2023, 17:56
@indiachinacook

Eine gewisse willkür gibt es zweifellos. Das liegt vor allem daran, dass die schulrechtschreibung eine politische angelegenheit ist und dass man sogar auf einzelne kultusminister rücksicht genommen hat. Gemessen an der willkür, die seit je in der rechtschreibung steckt, ist das aber nichts. Gerade den buchstaben ä müsste man eigentlich abschaffen: https://www.ortografie.ch/stichwort/a-umlaut.php. Dem 7-jährigen, für den die schulrechtschreibung bestimmt ist, ist es jedenfalls egal, «plötzlich» aufwändig zu schreiben, denn für ihn ist alles plötzlich. Erwachsene müssen sich nicht um die schulrechtschreibung kümmern. Ein chaos gibt es also weder für die einen noch die anderen. Dass keiner wusste, wie er schreiben sollte, ist unsinn. Auch wer mit dem vielbeschworenen lebenslangen lernen mühe hat, kann nachschlagen, dann weiss er es. Wer nicht die gnade hat, jung zu sterben, muss damit rechnen, dass sich die welt verändert. Verändert hat sich im zeitalter der neuen medien vielleicht die einstellung zur rechtschreibung. Jedenfalls klagt man auch in Frankreich über abnehmende kenntnisse. Daran ist ja wohl nicht die deutsche reform schuld. Schon immer wussten und wissen 2 drittel nicht, wie man wörter wie «Rhythmus» schreibt. Daran hat die reform (leider) nichts geändert.

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indiachinacook  23.11.2023, 18:36
@RLandolt

Du warst wohl nicht dabei, als ≈2000 die Regeln zur Zusammen- und Getrennt­schreibung so konfus waren, daß „hier zu Lande“ statt „hierzulande“ geschrieben wurde. Chaos ist ein milder Ausdruck dafür.

Und ja, Du hast recht: Rechtschreibung war immer schon ein undurchdringliches Dickicht, vor und nach der Reform. Der Sinn, ein Dickicht durch ein anderes zu er­setzen, will mir aber trotzdem nicht einleuchten, außer, daß es den Verkauf des Duden ankurbelt. Vereinfachungen sehe ich nirgendwo

  • Die vielbeschworene „Vereinfachung“, daß man [s] jetzt immer als ss nach kurzem Vokal schreibt, während man es früher nur intervokalisch nach kurzem Vokal als ss, sonst als ß schrieb, kann ich nicht ernstnehmen — da fällt genau ein Wort aus der Regel weg. Das Stammschreibungsprinzip ist damit natürlich nicht gerettet (ich weiß, wir wissen oder ich lasse, ich ließ), und Komposita wie Messergebnis sind objektiv schwerer zu lesen (Reparsing)
  • Detto mit der Dreifachkonsonantenregel, die vorher eindeutig war und es jetzt auch ist, nur anders.
  • In der Groß- und Kleinschreibung ist vieles verändert, und es ist jetzt genauso un­ver­ständ­lich wie vorher.
  • Ach ja, jetzt darf man die halben griechischen Fremdwörter mit f statt ph schrei­ben, aber die andere Hälfte nicht (Fotosynthese aber Photon). Gelobt sei die Stamm­schrei­bung!
  • In vielen Fällen wurde einfach alles erlaubt, was vorher Substandard war, und da kann man vielleicht sagen, daß es jetzt schwerer ist, einen Rechtschreib­fehler zu begehen, aber das ist natürlich geschwindelt.
  • Je mehr Varianten erlaubt sind, umso schwerer wird es aber, den Text zu lesen, weil man mehrere Wortbilder als dasselbe Wort erkennen muß. Texte werden normaler­weise viel häufiger gelesen als geschrieben, also ist das ein effektiver Rückschritt in der Benutzerfreundlichkeit.
  • Damit sind wir endlich beim zentralen Problem angekommen: Ziel der Reform war es, Rechtschreibfehler in der Schule zu reduzieren („Chancengleichheit“). Und das ist BS, denn die allermeisten Schreib- und Lesevorgänge spielen sich außerhalb der Schule ab, und daran geht die Reform völlig vorbei.

Vermutlich stimmt es, daß die Rechtschreibreform nur ein Faktor von mehreren ist — die jämmerlichen Handytastaturen und die Beiläufigkeit schriftlicher Kom­muni­ka­tion im Inter­net haben wohl einen größeren Anteil an diesem Jammerzustand. Das sieht man jeden Tag hier auf gutefrage, wenn die Leute einen fünf Wörter langen Halbsatz mit drei Recht­schreib­fehlern und keinem einzigen Groß­buch­staben daher­rotzen und darauf eine quali­fi­zierte Antwort erwarten.

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RLandolt  24.11.2023, 14:27
@indiachinacook

Rechtschreibung ist konvention, nichts anderes. Ob man hierzulande oder hier zu Lande oder hier zu lande schreibt, ist letztlich egal. In die zusammen-/getrenntschreibung (wie auch in die grossschreibung) wird viel zu viel hineininterpretiert. – ortografie.ch/stichwort/getrennt-zusammen.php

Es ist wahr, dass sich die allermeisten schreib- und lesevorgänge ausserhalb der schule abspielen. Die reform betrifft nur die schulrechtschreibung. Inwiefern ist das das «zentrale Problem»? Wie könnte es anders sein? Die schulbehörden sind nun mal für die schule zuständig. Findest du, es sollte eine rechtschreibpolizei geben? Für mich sind weder die schulrechtschreibung noch die neuregelung verbindlich. Es gibt eine passende reform für mich: kleinschreibung.ch. Sie löst einige probleme: grossschreibung, abschaffung des ß, konsequente integration von fremdwörtern.

  • Die geänderte ß-schreibung kommt auch bei reformgegnern verhältnismässig gut weg. Wie auch immer – man hätte das ß ganz abschaffen sollen, wie es bei uns in der Schweiz bereits passiert ist.
  • Die dreikonsonantenregel ist nicht «anders»; hier hat man eine regel ersatzlos abgeschafft. (Wie auch bei den trennregeln für st und ck.) Wenn das keine vereinfachung ist!
  • Ph, th und rh gehören abgeschafft. Was die latein-nachfolgesprachen italienisch und spanisch und sehr viele andere können, können wir auch.
  • Es ist nicht nur «erlaubt», einzelne wörter so oder anders zu schreiben (brauche ich dafür eine erlaubnis?), es ist auch erlaubt, fehler zu machen. Wenn 2 drittel der menschen wörter wie Rhythmus falsch schreiben, wie kann es dann ein problem sein, dass die einen aufwendig und die anderen aufwändig schreiben? Die lösung ist einfach: Die schule bringt den 7-jährigen nur 1 variante bei, z. b. aufwändig. Wenn der 7-jährige älter und FAZ-redaktor wird, wird auch die FAZ das als einzige möglichkeit sehen. Die probleme, die 7-jährige beim täglichen FAZ-studium haben, sind vorübergehend.
  • Dass varianten das lesen erschweren, ist eine durch nichts belegte tese. Der «Jammerzustand» der heutigen kommunikation bringt «varianten» in viel, viel grösserem ausmass, als es eine reform je könnte. Lesen müsste unmöglich sein, ist es aber nicht. – ortografie.ch/stichwort/varianz.php

Übrigens: Ich war dabei.

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Es wird kein Wert mehr darauf gelegt.

In den Schulen wird es wenig gefördert. Wenn ich überlege, was ich zu meiner Schulzeit noch Aufsätze usw. schreiben musste, das ist heute sehr viel weniger geworden. Genauso die Schullektüren.

Zu Hause wird Sprache auch nicht gefördert, weil viele gar keinen Sinn dahinter sehen oder selbst eben nie gefördert wurden. Viele lesen nicht (nicht mal Zeitschriften oder Zeitung), Zeit wird vor der Konsole, vor dem Computer oder vor dem TV verbracht. Sicher nicht bei allen...und es gibt noch so Reihen, die gerne gelesen werden. Aber die sind eben für (sehr) junge Jugendliche. Für Kinder oder ältere Jugendliche da wird es schon wieder schwierig, etwas Passendes zu finden.

Dazu hat sich wohl durchgesetzt nach Gehör zu schreiben, was äußerst krude Auswüchse hat. Wenn ich so bei meinen Kollegen sehe, was die alles an Arbeiten zurückbekommen...manchmal muss man da wirklich erraten, was gemeint ist.
Von den beiden Wörtern "und zwar" gibt es gefühlte drölf Millionen Variationen, die ich schon gesehen habe.

Es ist schade, denn mit Sprache kann man sehr viel bewirken. Und das Spielen mit Sprache macht Spaß.

Aber wie soll man Freude an Sprache wecken, wenn eigentlich niemand mehr darauf Wert legt oder es als "unwichtig" abtut? Man sieht es ja hier, dass sich nur wenige Fragesteller die Mühe geben, ihre Texte zu überarbeiten, Rechtschreibfehler auszubessern, korrekte Grammatik anwenden usw. Korrekt angewendete Sprache ist für mich persönlich auch ein Zeichen des Respekts des Lesers gegenüber.
Aber wie gesagt, das ist für mich persönlich so, weil ich eben selbst schreibe.

An sich bin ich bolle froh, dass ich "nur" Kunst- und Musiklehrerin/-dozentin bin; dass ich keinerlei Rechtschreibung usw. bewerten muss. Das wäre sehr frustrierend.

Allerdings ist fraglich, wie man eben die Lust auf Sprache wieder fördern könnte...mit "Schreibe über dein schönstes Ferienerlebnis" sicher nicht.

Krawallbotz  22.11.2023, 20:44

Danke...genau so sehe ich es auch.

Man sieht es ja hier...

..und wenn man die FS darauf aufmerksam macht, kommt die "Ich hab Legasthenie" Ausrede.

Hab ich auch...nur hat jedes Schreibprogramm eine Rechtschreibkontrolle, also ist es Faulheit und absolute Respektlosigkeit der Community gegenüber.

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AngelAlix1980  22.11.2023, 20:48
@Krawallbotz

Das hatte ich mir jetzt verkniffen, aber ja...das erlebt man hier oft. LRS wird nicht selten als Ausrede verwendet, was sehr schade ist und eben den wirklich Betroffenen einen Bärendienst erweist.

Mal ein Fehler ist ja nichts Dramatisches. Das passiert. Aber bei fünf Sätzen zehn Fehler, hm, ungut.

Aber wie du eben schreibst, es gibt heute Möglichkeiten, viele Fehler zu vermeiden, bspw. die von dir angesprochenen Rechtschreibprogramme.

Allerdings bezweifle ich, dass viele soweit denken, dass Sprache auch als Ausdruck von Respekt gebraucht/empfunden werden kann; bzw. runtergebrochen, viele haben halt auch keinerlei Respekt vor anderen; Egomanie und Egozentrik haben ganz schön zugenommen.

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Krawallbotz  22.11.2023, 21:03
@AngelAlix1980

Da gebe ich dir zu 100% Recht.

Wenn man hier länger unterwegs ist, trifft man einen guten Querschnitt solcher Egomanen und Egozentriker ... und auch, wenn man davon ausgeht, dass sich hier viele verstellen, bleibt immer ein Rest des wahren Charakters übrig.

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AngelAlix1980  22.11.2023, 21:11
@Krawallbotz

Zweifellos. Ist halt wie "draußen, vor der Tür". Nur der Querschnitt der Gesellschaft. Da werden auch viele Masken getragen, oft rissig, so dass, wie du eben geschrieben hast, der wahre Charakter ein wenig durchblitzt.

Wie schön, ich bin ganz offen böse und gemein 🤣

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Weil sie weniger lesen, und mehr Filme sehen. Und wahrscheinlich gibt es da noch den ein oder anderen Grund.

Ich glaub ,weil wir so viel am Handy sind und es einen Unterschied macht wenn man digital was schaut oder richtig auf Papier. Aber nicht alle sind so. Wir haben neulich ein Diktat zurück bekommen und ich hab eine 1. Liegt vermutlich daran ,dass ich so viel lese.

Weil in der schule mittlerweile alles so schnell geht dass man nicht mehr gut mitkommt und nicht darauf geachtet wird, ob ein kind das dann kann, wenn nicht, wird einfach gesagt, Lesesschwäche