Wie kommt es durch Isolationsmechanismen zu neuen Arten?

2 Antworten

Zu den prä- und postzygotischen Isolationsmechanismen hat dir @DedeM schon eine ausgezeichnete Übersicht geliefert.

Bei der allopatrischen Speziation ist der Fall, wie du ja selbst schon sagtest, klar. Ein geographisches Hindernis trennt die beiden Populationen voneinander ab, sodass kein genetischer Austausch mehr möglich ist. Wenn nun lange genug Zeit vergeht, haben die beiden Arten sich so weit auseinander entwickelt, dass sie auch dann reproduktiv voneinander getrennt bleiben, wenn das geographische Hindernis weg fällt. So geschehen z. B. beim Grün- und beim Grauspecht. Während der Eiszeit wurden die Vorfahren der Spechte in südlich gelegene Refugialräume gedrängt. Eines lag auf der Iberischen Halbinsel, das andere weit entfernt auf dem Balkan. Als die Gletscher sich zurückzogen, konnte von beiden Refugialräumen aus eine Neubesiedlung Mitteleuropas beginnen. Inzwischen hatten sich die Populationen von Iberien und vom Balkan so weit auseinander entwickelt, dass sie sich in Mitteleuropa nicht mehr miteinander fortpflanzen. Es sind zwei getrennte Arten daraus entstanden, eben Grün- und Grauspecht. Ganz selten kommen zwar Hybridisierungen zwischen den beiden Arten vor, das ist aber die Ausnahme und der hybride Nachwuchs weist eine reduzierte Fitness auf.

Wie sieht es aber bei der sympatrischen Artbildung aus? Hier gibt es ja keine räumliche Barriere, theoretisch könnten die beiden Populationen sich miteinander mischen. Warum tun sie es dann nicht einfach?

Wie du sicher weißt, gibt es mehrere Möglichkeiten eine Art zu definieren, z. B. das biologische Artkonzept. Ein anderes ist das Species recognition concept, also das "Arterkennungskonzept". Es besagt einfach ausgedrückt, dass alle Individuen zu einer Art gehören, die einander als zur selben Art gehörend erkennen. Wie machen sie das? Sie gleichen den Phänotyp des Gegenübers mit bestimmten Artmerkmalen und mit ihrem eigenen Phänotyp ab (das geschieht natürlich nicht bewusst). Viele Vogelarten erkennen einen Artgenossen z. B. anhand des artspezifischen Gefieders. Ein gelber Vogel mit blauer Kopfkappe ist z. B. sehr wahrscheinlich eine Blaumeise, ein gelber Vogel mit schwarzer Kopfkappe eine Kohlmeise usw. Der Phänotyp erstreckt sich aber über mehr als bloß das äußere Erscheinungsbild. Er kann auch arttypische Verhaltensmerkmale einschließen. Man spricht, wenn alle Wirkungen der Gene berücksichtigt werden, vom erweiterten Phänotyp. Bei vielen Singvogelweibchen wird das Männchen beispielsweise anhand ihres arttypischen Gesangs erkannt. Der Zilpzalp und der Fitis sind zwei Arten der Laubsänger, die sich äußerlich kaum unterscheiden und die beide in Mitteleuropa vorkommen. Selbst erfahrene Ornithologen können beide Arten oft nur anhand ihres Gesangs eindeutig unterscheiden. Die unterschiedlichen Gesänge verhindern also, dass z. B. ein Zilpzalbweibchen sich mit einem Fitismännchen paart, weil es den Fitis nicht als möglichen Paarungspartner erkennt.

Wenn man sich einmal die Mühe macht und untersucht, welche Individuen bei der Partnerwahl bevorzugt werden, fällt auf, dass Individuen ganz häufig solche Artgenossen bevorzugt wählen, die ihnen phänotypisch am ähnlichsten sind. Nehmen wir zunächst ein klassisches phänotypisches Merkmal als Beispiel, etwa die Schnabellänge. Wir stellen uns eine Vogelpopulation vor, in der gibt es Individuen mit kleinen Schnäbeln und Individuen mit großen Schnäbeln. Die beiden Phänotypen nutzen unterschiedliche Nahrungsquellen, also eine unterschiedliche ökologische Nische innerhalb desselben Lebensraums. Mit den kleinen Schnäbeln können erfolgreich kleine Samen gepickt werden. Große Schnäbel eignen sich dagegen zum Knacken besonders harter Samen gut. Wir haben es hier wohlgemerkt (noch) mit Individuen derselben Art zu tun. Trotzdem werden wir feststellen, dass die Vögel mit kleinem Schnabel bevorzugt einen Partner wählen, der ebenfalls einen kleinen Schnabel hat. Und auch die mit großem Schnabel wählen einen Partner mit großem Schnabel. Die Paarung großer Schnabel x kleiner Schnabel passiert eher selten, obwohl es problemlos möglich wäre. Die Idee dahinter ist einfach: wenn ich einen kleinen Schnabel habe und damit offensichtlich gut kleine Samen fressen kann, also an "meine" ökologische Nische gut angepasst bin, ist es nur logisch, dass ich eine Partnerin wähle, die genauso gut angepasst ist. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass dann unser gemeinsamer Nachwuchs ebenfalls gut angepasst ist, weil der dann auch rinen kleinen Svhnabel hat, ist so einfach am größten. Das gleiche gilt natürlich auch für großschnäbelige Individuen. Der hybride Nachwuchs hätte hingegen sehr wahrscheinlich nur eine geringe Fitness. Denn wahrscheinlich wäre der Nachwuchs dann weder besonders klein- noch besonders großschnäbelig, könnte also weder die eine noch die andere Nahrungsquelle gut nutzen. Tatsächlich werden in der Natur gelegentlich Hybridisierungen zwischen den verschiedenen Phänotypen vorkommen. Die natürliche Selektion sorgt dann aber dafür, dass die hybriden Nachkommen "aussortiert" werden, weil sie den geringsten Überlebenserfolg haben.

Dieses Prinzip können wir auch auf den Gesang der Vögel übertragen. Vogelweibchen wählen bekanntlich das Männchen bevorzugt, dass der beste Sänger ist. Es gibt unterschiedliche Behründungen dafür. Eine davon ist die Sexy-sons-Hypothese. Sie besagt, dass diejenigen Männchen, die am begehrtesten sind, Söhne hervorbringen werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Weibchen ebenso begehrenswert wirken wie ihr Vater und damit den größten Fortpflanzungserfolg haben werden. Wie würde jetzt aber ein hybrider Bachwuchs klingen? Sein Gesang würde wahrscheinlich weder für die Weibchen der einen Population noch für die der anderen besonders attraktiv klingen. Also wird bevorzugt ein Männchen gewählt, das den gewohnten, arttypischen und als "attraktiv" empfundenen Gesamg von sich gibt.

Du siehst also, eine Isolation der Populationen ist auch dann möglich, wenn es keine geographische Barriere gibt, indem einfach der hybride Nachwuchs die geringsten Überlebens- und/oder Fortpflanzungsaussichten hat.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Biologiestudium, Universität Leipzig

Moin,

bei den Isolationsmechanismen unterscheidet man folgende Formen:

I)   Präzygote (progame) Isolation
• ökologische Isolation (unterschiedliche Biotope)
• zeitliche Isolation (unterschiedliche Zeiten bei der Geschlechtsreife)
• ethologische Isolation
...- optisch: Paradiesvögel; pigmentierte Fischarten; Balzbewegungen
...- akustisch: Vogelgesänge; Zirp- und Quakgeräusche
...- olfaktorisch: Pheromone
...- mechanisch: spezifisch ausgebildete Sexualorgane

II)   Präzygot (metagame) Isolation
• es kommt zur Kopulation, aber nicht zur Zygotenbildung

III)   Postzygote Isolation
• F1-Bastarde sterben frühzeitig ab oder sind gegenüber den Elternarten unterlegen
• F1-Bastarde sind voll lebensfähig, aber (weitgehend) steril
• F2-Generation oder Rückkreuzungen fertiler F1-Bastarde sind lebensunfähig, vitalitätsgemindert oder steril (Hybridenzusammenbruch)

IV)  Meist wirken ein paar Isolationsmechanismen zusammen

Die präzygotische (progame) Isolation führt dazu, dass es erst gar nicht zur Kopulation und dadurch auch nicht zur Befruchtung einer Eizelle kommt.
Das kann daran liegen, dass sich die Individuen der beiden Arten erst gar nicht treffen (ökologische Isolation durch das Bewohnen verschiedener Biotope), dass die Individuen der beiden Arten zu verschiedener Zeit kopulationswillig (geschlechtsreif) sind; die einen im Frühling, die anderen im Herbst... oder dass die Individuen einander nicht „verstehen”. Das letztere kann dadurch passieren, dass sie völlig anders aussehen (und so etwaige Geschlechtspartner nicht erkennen oder nicht attraktiv finden), sie andere Balzrituale haben (und so die „Anmache” des potentiellen Partners nicht verstehen) oder verschiedene akustische Signale haben. Auch verschiedene Duftstoffe (Pheromone) oder nicht passende Sexualorgane können einer möglichen Kopulation vorbeugen.

Die präzygote (metagame) Isolation tritt ein, wenn es zwar zu einem Sexualakt kommt, aber dann keine befruchtete Eizelle resultiert. Das liegt zum Beispiel manchmal bei fremdbestäubten Blüten vor (dann wächst der Pollenschlauch eines falschen Pollens nicht aus oder verkümmert im Stempel, bevor er die Samenanlagen im Fruchtknoten erreicht). Aber auch der Sex zwischen einer Menschenfrau und beispielsweise einer Dogge würde in diese Kategorie fallen...

Und dann gibt es noch die Formen der Isolation, bei denen es (irrtümlicherweise) durchaus zu einer Kopulation und sogar zu einer Zygotenbildung kommt (postzygote Isolation). Aber dann stirbt der Embryo frühzeitig ab oder der Bastard wird zwar geboren, überlebt jedoch nicht lange oder hat andere (deutliche) Selektionsnachteile (zum Beispiel bei einer eigenen Partnerfindung).

Dann gibt es noch Fälle, in denen zwar lebensfähige, aber sterile Nachkommen entstehen (zum Beispiel bei der Kreuzung von Pferd und Esel).

Sehr schwierig zu erklären ist, wieso Individuen einer Art instinktiv die Paarung mit anderen meiden, wenn die Nachteile erst in späteren Generationen auftreten... Aber offenbar gibt es auch das.

Das Grundproblem ist dabei aber die Definition des Begriffs Art bzw. das Konzept, nach dem wir das beurteilen...

LG von der Waterkant