Meiner Therapeutin alles anvertrauen?


07.04.2020, 17:08

Ich hasse mein Leben und mache mir immer viel zu viele Gedanken. Ich weiß nicht was ich tun soll. Ich habe auch Angst vor der Reaktion meiner Therapeutin...

16 Antworten

Ich habe auch Angst vor der Reaktion meiner Therapeutin...

Das ist völlig normal. Ich glaube, es gibt keinen, der mal Patient war, der diese Angst nicht hat. Letztlich ist es aber nur die Widerspiegelung des Gefühls, das man für sich selbst empfindet: "wenn er/sie das wüsste von mir, würde er /sie mich verachten und verabscheuen, mich verlachen oder sofort angeekelt rauswerfen. DAnn würde er/sie mich so sehen, wie ich bin: absolut abscheulich.

Das ist völlig normal und es zeigt einem auf, wie man sich selbst fühlt. Es sind deine eigenen Gefühle dir gegenüber, die du auf die Therapeutin projizierst.

Ich kenne das gut, denn für meinen Beruf habe ich selbst eine lange Lehrtherapie machen müssen. Über 250 Stunden.

Es gab ständig Situationen, wo ich dachte: "das kann ich niemals erzählen. Eher sterbe ich."

Und dann tat ich es doch - und siehe da, mein Lehrtherapeut war weder überrascht, noch angeekelt, noch wütend, noch verachtend. Nicht mal erstaunt. Und nach der Stunde wunderte ich mich immer, wie ich so was Dummes nur denken konnte. Um dann beim nächsten Geheimnis wieder zu schlottern. "Wenn ich ihm DAS jetzt erzähle, dann hasst er mich aber ganz bestimmt." Tat er aber wieder nicht.

Niemand zwingt dich, alles sofort zu erzählen. Ein guter Therapeut würde dich auch daran hindern. "Willst du mir das jetzt wirklich erzählen?" denn er ist nicht dafür da, dir Geheimnisse zu entlocken, sondern dich auch vor dich selbst zu beschützen.

viel wichtiger als zur Unzeit seine Geheimnisse preiszugeben, sollte man lieber darüber reden, was einen hindert, peinliche Dinge zu erzählen.

Ich habe auch Angst vor der Reaktion meiner Therapeutin...

Und das ist das Wichtigste, worüber du sprechen sollst.

Mein eigener Lehrtherapeut fragte dann stets: "was könnte ich dir antun. Was befürchtest du jetzt?"

Ich, halb weinend, halb wütend auf ihn, den "gemeinen" Kerl: "Du würdest mich verachten. Und rauswerfen. Du würdest sehen, wie ich wirklich bin."

Er: Schau mich an. "Siehst du das bei mir? Schau mich gut an."

Ich: seufzend: Nein, das sehe ich nicht. "

Er: woher kennst du das Gefühl, verachtet zu werden, wenn du etwas von dir preisgibst?"

Nachdenken...und die Tränen fließen in Strömen. "Mein Onkel war so fies zu mir als ich klein war..." Schluchz.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
annabanana114 
Fragesteller
 07.04.2020, 17:57

Omg. Vielen Dank für diese Antwort. Das ist unfassbar toll, dass sie das geschrieben haben.

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Grundsätzlich würde ich das, ja. Weil nur so erfolgreiche Therapie funktioniert.

Das Problem ist nur, dass da eine Menge Dinge dazwischen funken.

  • Eigene Scham. Man schämt sich einfach für manche Dinge
  • Soziale Motive: Wir wollen ja irgendwie, dass der Andere kein ungünstiges Bild von uns hat, sprich dass er nicht denkt, dass wir dumm, inkompetent, unzurechnungsfähig, nicht belastbar o.Ä. sind. Stattdessen hätte man gerne, dass der andere ein positives Bild von einem hat (Anerkennung) Das kann auch dafür sorgen, dass man nicht alles erzählt.

Das ist alles menschlich und grundsätzlich sollte das Therapeuten klar sein, dass diese Dinge dazwischen funken. Deswegen gestalten sie die Situation normalerweise so, dass man sich angenommen fühlt usw.

Letztendlich ist aber klar: Man kann sich nur verändern, wenn relevante Dinge auf den Tisch kommen, wenn Gefühle, Wünsche, Motive usw. explizit werden.

annabanana114 
Fragesteller
 07.04.2020, 14:06

Danke, das Ding ist, dass sie voll nett ist. Da ich aber erst am Anfang bin, weiß ich nicht, was ich alles sagen soll

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blechkuebel  07.04.2020, 15:33
@annabanana114

Das Relevante. Also warum du da bist, wie du dich fühlst, was du dir wünschst, usw. Du wirst das noch mit der Zeit merken, was wichtig ist

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Effyx  09.04.2020, 20:22
@annabanana114

Keine Sorge, ich bin seit Längerem in Therapie und weiß immer noch nicht, was ich sagen soll.

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Generell würde ich sagen: Ja, man sollte ehrlich sein - selbst wenn es Hemmungen gibt. Denn eine erfolgreiche (erfolgreich im Sinne von "helfend") Therapie bedingt, dass man ehrlich ist, sich zu seinen Problemen äußert und mit offenen Karten spielt - schließlich muss der Arzt auch wissen, wo der Schuh drückt und wo er helfen kann/muss/soll. Und gewisse Hemmungen sind anfangs ganz normal, erst recht wenn man mit Therapien vorher noch nie was zu tun gehabt hatte.

Die wichtigsten Dinge aber werden meist nicht von selbst aus gesagt, sondern als Antwort gegeben auf Fragen, die einem der Therapeut stellt - ein menschlich kompetenter Therapeut weiß, wann er was fragt und was er lieber nicht fragt bzw. tut es im Kontext passend!

Allerdings kann ich dich verstehen bzw. ich weiß was du meinst - man muss vorsichtig sein mit dem, was man sagt, weil man sonst viel schneller als gedacht in eine unangenehme Lage kommen oder gar eingewiesen werden kann. Auch ein Therapeut kann Dinge missverstehen oder falsch einordnen und dann ist in dem Fall "Schluss mit lustig" und was man vielleicht rhethorisch schlecht erklärt hat oder was nicht wie gedacht angekommen ist, wurde unbewusst zum Auslöser für eine unschöne Geschichte - solche Fälle gibt es, davon kenne ich auch persönlich welche, und man muss in der Tat enorm auf der Hut sein, wie man wem was erzählt.

Andererseits: Wenn man Angst vor seinem Therapeuthen bzw. dessen Antworten oder Reaktionen hat oder Bedenken hat, "zu ehrlich" zu sein oder gewisse Dinge nicht richtig wieder zu geben oder falsch verstanden zu werden mit seinen Anliegen, dann ist man möglicherweise nicht beim Richtigen.

Man muss jedoch abwägen, ob man nicht zu viel eigene Scham hat oder ob die Ängste/Zweifel berechtigt sind, die man gegenüber dem Therapeuthen hat. Da hilft es, in sich zu gehen nach dem Motto "Hand aufs Herz".

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
annabanana114 
Fragesteller
 07.04.2020, 18:00

Ich habe bei allen Angst vor der Reaktion, also das liegt nicht an der Therapeutin. Aber vielen Dank für die Antwort.

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rotesand  07.04.2020, 18:08
@annabanana114

Dann weißt du schon, dass die Therapeuthin gut ist und dass hier alles in Ordnung ist - das ist schon mal ein guter Anfang!

Wenn du dich ihr öffnest, hilft sie dir bestimmt weiter. Hinterher bist du sicher sehr stolz auf dich - rede einfach mal mit ihr darüber, wenn du zu ihr Vertrauen hast. Der Stolz, den du dahingehend empfindest, ist sicher auch ein Erfolgserlebnis, auf das du aufbauen kannst!

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annabanana114 
Fragesteller
 07.04.2020, 18:23
@rotesand

Ja ich weiß, dass die Therapeutin gut ist. Ich war da jetzt schon ein paar mal. Also 3mal und sie ist echt sympathisch. Außerdem hat sie mir jetzt schon mehrmals gesagt, dass ich auch nicht alles beantworten muss und auch erst, wenn ich bereit dazu bin. Ich habe schon jetzt das Gefühl, dass ich mit ihr besser zurecht komme als mit meiner alten Therapeutin, bei der ich nicht ganz ein Jahr war. Dennoch hab ich etwas Angst. Aber du hast recht, das wird bestimmt alles gut gehen.

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Kommt drauf an wieviele Leichen du im Keller rumliegen hast - Therapeuten sind geschult, damit umzugehen - die meisten haben den Beruf aus freien Stücken gewählt und sind deshalb stets freundlich und interessiert, wollen den Leuten also wirklich helfen. Du kannst das, steh zu deiner Persönlichkeit und erzähl was immer du auf dem Herzen hast.

Ich wünsche dir viel Glück

Freundlicher Gruss

Mr. Sarcastic

annabanana114 
Fragesteller
 07.04.2020, 17:27

Danke. Das ist echt toll gesagt

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Effyx  09.04.2020, 20:28

Ist das jetzt alles sarkastisch gemeint? :D

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Ja würde ich. Sie muss einen und sein Leben ja gut kennen um effektiv helfen zu können.