Kann man in der Mathematik noch neues erforschen?


14.12.2019, 00:15

Da lag ich ja gewaltig daneben. Ich hätte nicht gedacht, dass es in der Mathematik noch so viel ungeklärtes gibt.

7 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo und danke für deine Frage!

Ich finde es eher erschreckend, wieviel ungeklärte Probleme es in der aktuellen Forschung der Mathemtik gibt und wie winzig die Beiträge des einzelnen Forschers im Allgemeinen sind.

Das soll auf keinen Fall die Leistung des einzelnen Mathematikers schmälern!

Es liegt an der Menge und der Komplexität der Materie, der zu beweisenden Theoreme, der zu entdeckenden Zusammenhänge, angesichts derer der Beitrag eines einzelnen Wissenschaftlers winzig erscheint, einige herausragende Köpfe mal ausgenommen, denen es gelingt, eine "große Nuss zu knacken".

Dazu kommt, dass mit einem gelösten Problem oft neue Probleme auftauchen, von deren Existenz man bis dahin nichts gewusst hat.

Ich sehe die Mathematik nicht als eine Disziplin mit einer Liste ungelöster Probleme, die man "abarbeitet", und wenn man "fertig" wäre, sei nichts mehr zu tun. Für mich ist sie eine dynamische Strukturwissenschaft, die lebt und mit ihrer Erkenntnis wächst.

So haben sich ja allgemein die Naturwissenschaften entwickelt: der einzelne Forscher muss sich sehr spezialisieren, um an der Spitze der Erkenntnis einen Beitrag leisten zu können, und die Mathematik ist davon nicht ausgeschlossen.

Ich weiß nicht, wie viele aktive mathematische Forscher es zur Zeit auf der Welt gibt - vielleicht grob geschätzt 150.000 ? (siehe das Mathematics Genealogy Project mit 250.408 Einträgen, die aber auch verstorbene Mathematiker enthalten), aber eins weiß ich: diese Leute drehen nicht Däumchen, weil sie nichts zu tun haben! Sie haben eher Sorge, nicht genug Lebenszeit zu haben, um die Probleme zu lösen, die sie interessieren.

Gruß

Hier eine Begründung, warum die Mathematik niemals vollständig erforscht sein wird:

Selbst wenn wir jedes ungelöste Problem der Mathematik lösen würden, könnten wir noch unendlich viele neue Probleme erfinden.

Aber warum würden wir mathematische Probleme erfinden wollen? Weil sich damit reale Probleme in anderen Wissenschaften modellieren lassen. Beispielsweise ist Lineare Algebra sehr wichtig in der Informatik, etwa für neuronale Netze. Bevor es Informatik gab, hat sich fast niemand für Lineare Algebra interessiert.

Es ist gut möglich, dass demnächst neue, bedeutende Gebiete in der Mathematik entstehen, die nützlich sind, um neue Probleme der Informatik, Physik oder anderen Wissenschaften zu lösen.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Abitur 2016

Hallo,

Mathematik ist ja weniger eine Naturwissenschaft, die erforscht, wie sich etwas tatsächlich verhält, sondern vielmehr ein reines Gedankengebäude. Ausgehend von eingen Grundannahmen durchdenkt, "erforscht" der Mathematiker, welche logischen Konsequenzen es hätte, wenn die Grundannahmen so gesetzt wären. Meist kennen wir nur die Bereiche, bei denen die Grundannahmen so gesetzt sind, dass das Gedankengebäude, das sich daraus ergibt, das möglichst gut beschreibt, was wir "Realität" nennen. Es gibt aber durchaus auch Bereiche, Gedankengebäude in der Mathematik, die unsere gewohnte Realität verlassen. Einfaches Beispiel ist das Konzept der Komplexen Zahlen. In unserer "Realität" kann es eigentlich die Zahl i nicht geben, die die Gleichung i*i=-1löst. Ein Produkt kann für uns nicht negativ werden, plus mal plus bleibt plus, minus mal minus wird plus. Aber ich kann ein ganzes mathematisches Gedankengebäude auf die Grundannahme errichten, ich hätte eine solche Zahl. Welche logischen Konsequenzen ergäben sich daraus, welche Regeln würden beim Rechnen mit dieser Zahl gelten, etc. Kann ein solches Gebiet jemals am Endpunkt ankommen? Ich meine, man kann noch sehr, sehr viele neue Grundannahmen finden, verschiedene Grundannahmen neu kombinieren, und darauf wahrscheinlich unendlich viele abstrakte Gedankengebäude errichten. Nein, die Mathematik ist noch nicht zuende!

Sind solche realitätsfernen Elfenbeinturm- Spinnereien aber nicht sinnlos? Häufig vielleicht schon. Aber manchmal, da hat tief im 19. Jahrhundert ein gewisser George Boole sein damals vollkommen sinnfreies Gedankengebäude errichtet, das heute doch eine gewisse Bedeutung erlangt hat: nach diesen Prinzipien funktionieren Computer!

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Boolesche_Algebra

Es gibt auch persönlich viel zu entdecken. So war ich zwar immer (Schule und später ein Wenig im Studium) sehr gut in Mathe, habe aber das Interesse daran verloren.

Trotzdem war es ein Genuss, ein Video zu sehen, wo bewiesen wurde, dass π keine rationale Zahl sein kann, oder vielmehr es verstehen zu können, auch wenn es fast eine Stunde gedauert hat.

Warum sind zwischen der Speziellen und der Allgemeinen Relativitätstheorie 10 Jahre vergangen? Weil die Mathematik dahinter so kompliziert war, dass selbst Einstein sich Hilfe suchen musste. Die war aber bereits vorgedacht.

Warum kann man eine Sinusfunktion manchmal einfacher als Funktion von i beschreiben, was dankenswerterweise Feynman erläutert hat?

Warum, warum, warum? Vielleicht gibt es wirklich, wie anderswo behauptet, 150.000 hauptberufliche und bezahlte Mathematiker. Selbst wenn 99,9 % der Ergebnisse nie eine praktische Anwendung finden, erscheint mir das besser investiertes Geld als die Subventionierung von Kohleverbrennung oder die momentane Agrarpolitik.

Mathematik ist in gewissem Sinne Luxus. Aber der maximal mögliche Luxus ist Teil der Menschenwürde.

Knochendochen13 
Fragesteller
 14.12.2019, 02:47

Ich stimme dir zu, es ist schon ein gutes Gefühle, wenn man einen mathematischen Beweis verstanden hat.

Eigentlich wäre Mathematik ja sinnlos, würde es nie eine praktische Anwendung finden. Denn was bringt es einem zu wissen, dass 1+1 2 ist, wenn man es nicht in der Praxisanwenden kann. Aber glücklicherweise bildet ja die Mathematik die Grundlage für die Naturwissentschaften.

Ich finde auch, dass Mathematik irgendwie was philosophisches hat, wenn man Mal genauer drüber nachdenkt.

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ThomasJNewton  14.12.2019, 03:03
@Knochendochen13

Ich meide das philosophische Nachdenken eher, denn es kann leicht in die Irre führen, dass man den Kontakt zur Realität verliert. So wurden Positronen errechnet, und haben sich als real rausgestellt, Tachyonen wurden auch errechnet, sind aber (bislang) nur ein Rechenergebnis.

Mathematik ist keine Grundlage, nur ein Werkzeug. Ein sehr wichtiges aber.

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eddiefox  14.12.2019, 03:52

Hallo,

...ein Genuss...

Da stimme ich dir zu. Es kann beglückend sein, in der Mathematik etwas zu vestehen. Leider ist es schwer, sich mit Menschen, die nicht vom Fach sind, darüber auszutauschen.

Vielleicht gibt es wirklich, wie anderswo behauptet, 150.000 hauptberufliche und bezahlte Mathematiker.

Das ist nur eine grobe Schätzung, keine Behauptung. Vielleicht liege ich damit zu hoch. In der Datenbank "Genealogy Project" sind auch Mathematiker verzeichnet, die "nur" promoviert haben und danach in der Wirtschaft arbeiten.

In einer kurzen Recherche habe ich leider keine verlässliche Zahl hauptberuflicher Mathematiker gefunden. (Man muss wohl länger suchen...)

Vielleicht sind es auch nur 50.000 oder 25.000. In Ermangelung dieser Information habe ich versucht, mich mit den Einträgen der Genealogy Datenbank zu behelfen, die im Übrigen ein interessantes Tool ist, wenn man sich über den Einfluss von Mathematikern informieren möchte.

Selbst wenn 99,9 % der Ergebnisse nie eine praktische Anwendung finden, erscheint mir das besser investiertes Geld als die Subventionierung von Kohleverbrennung oder die momentane Agrarpolitik.

Da sprichst du mir aus dem Herzen. Für mich hat Mathematik auch etwas mit Ästhetik zu tun, mit Philosophie, mit Kunst, also zu einem Teil ist sie "brotlos". Aber, wie du so treffend geschrieben hast, ist dieser Luxus ein Teil der Menschenwürde. Über diesen Satz habe ich mich gefreut!

Mathematik ist zwar schwer zu verstehen, aber die "Sprache" ist universell. Die Theoreme und Formeln werden von Mathematikern arabischer, afrikanischer, asiatischer, europäischer Herkunft (...) verstanden und sind für jeden, im Prinzip, nachvollziehbar.

Glücklicherweise hat Mathematik auch Anwendungen in Wissenschaft und Technik. Wenn das nicht der Fall wäre, würde sie vielleicht weniger gefördert werden. Für die meisten Mathematiker ist nicht eine mögliche Anwendung der Beweggrund ihrer Forschungen, sondern ihre Begeisterung für das Fach "an sich".

Gruß

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Auf jeden Fall.

Mathematische Wahrheiten wird es IMMER noch mehr zu entdecken geben. Diese Wissenschaft wird nie auch nur annähernd komplett abgeschlossen sein.

Das sagt dir ein Mathematiker.