Die Hinrichtung Ludwigs XVl. - unverzichtbare Maßnahme für den Erfolg der Revolution?

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Am 21. Januar 1793 ist Ludwig XVI. in Paris öffentlich hingerichtet worden.

Eine These einer Unverzichtbarkeit bedeutet die Behauptung, dass die Hinrichtung für den Erfolg der Revolution notwendig gewesen ist und daher nicht unterlassen werden konnte.

Ein Gesamturteil dazu ist: Die Hinrichtung ist für den Erfolg der Revolution nicht notwendig gewesen. Eine Entmachtung ohne Hinrichtung hätte ausgereicht. Dies ist schon 1792 durch Absetzung und Schaffung einer Republik geschehen. Nach den Tuileriensturm am 10. August 1792 hat die Gesetzgebende Nationalversammlung (Assemblée nationale législative) Ludwig XVI. zunächst vom Amt des Königs der Franzosen suspendiert. Er und seine Familie wurden verhaftet und gefangengehalten. Im August/September fanden (indirektes Wahlverfahren mit mehreren Stufen) Wahlen zu einem neuen Parlament statt, dem Nationalkonvent (Convention nationale). Der Nationalkonvent hatte Ludwig XVI. am 21. September 1792 für endgültig abgesetzt erklärt, das Königtum in Frankreich abgeschafft und die Republik ausgerufen. Für einen Erfolg der Revolution waren tatkräftige und kluge Maßnahmen zu einer Festigung und Stärkung der Republik und gesellschaftlichen Verbesserungen wichtig.

Dazu, ob die Forderung Robespierres nach einer Hinrichtung (z. B. in einer Rede im Nationalkonvent am 3. Dezember 1792) gerechtfertigt war, können Pro- und Contra-Argumente nach Gewicht und Stichhaltigkeit erörtert werden. Dann kann ein Urteil abgegeben werden.

Pro-Argumente

  • Maßnahme zur Rettung des Staates gegen eine durch einen weiterlebenden entthronten König fortwährende Bedrohung: Die Revolution und die Republik sind noch weit entfernt davon, fest gesichert zu sein, und ein entthronter König in Haft oder Verbannung ist eine ernsthafte Bedrohung für das öffentliche Wohlergehen. Er stört die Ruhe und Freiheit der neu gegründeten französischen Republik und ist fortwährende Bedrohung.

Dieses Argument ist gewichtig, aber nicht ausreichend stichhaltig. Mit einer Hinrichtung konnte gegenrevolutionäre Kräfte nicht einfach beseitigt werden. Bei Monarchisten war auch nicht ein lebender Ludwig XVI. als Hoffnung nötig. Sie konnten einen anderen als Anwärter nehmen, z. B. den jungen Sohn oder die im Ausland befindlichen Brüder. Ludwig XVI. hatte keine großen politischen oder militärischen Fähigkeiten.

  • Notwendigkeit der Hinrichtung wegen eines sonst eintretenden Todes einer großen Zahl tugendhafter Bürger und einer Katastrophe für das Vaterland: Der Tod ist notwendig, weil das Vaterland leben soll. Der Tod eines Einzelnen ist besser als der einer großen Zahl tugendhafter Bürger

Das Argument ist gewichtig, aber es fehlt die Stichhaltigkeit. Die behauptete Alternative (entweder Ludwig XVI. bleibt am Leben und das Vaterland geht unter), hat tatsächlich so nicht bestanden. Es ist nicht erkennbar, wie mit der Hinrichtung tatsächlich eine Ausschaltung äußerer und innerer Gegner hätte erreicht werden können. Nach der Hinrichtung hat die Bedrohung von außen (Erste Koalitionskrieg seit dem 20. April 1792) und innen erst einmal noch zugenommen. Im Sommer 1793 drangen Armeen gegnerischer Monarchen von Norden und Osten vor, Aufstände und gegenrevolutionäre Bewegungen (z. B. in der Vendée seit März 1793) hatten 60 von 83 Départements erfaßt, im Westen und Süden gab es britische Angriffe. Außerdem war die Wirtschaftslage sehr schwierig (Inflation mit ansteigenden Preisen, zunehmendes Haushaltsdefizit, Versorgungsprobleme).

  • Stellung des Königs als Tyrann außerhalb jeder rechtlichen Gemeinschaft: Ludwig XIV. steht außerhalb jeder rechtlichen Gemeinschaft, weil der König als Tyrann den Gesellschaftsvertrag vernichtet hat und in Bezug auf ihn an die Stelle der Verfassung die Gesetze der Natur (Naturzustand), das Wohl des Volkes treten.

Dies ist ein politisch bedeutsamer Vorwurf, aber ein wenig stichhaltiger, sehr anfechtbarer rechtlicher Gedanke. Robespierre hat vielleicht nach einem Gedanken gesucht, um eine Berufung auf die Verfassung von 1791 zu umgehen, die den Nationalkonvent in eine nach Robespierres Auffassung unannehmbare Lage bringen würde, weil nach der Verfassung von 1791 der König nur mit Absetzung bestraft werden konnte und dazu sofort ein Prozess hätte eingeleitet werden müssen, die Absetzung aber ohne Prozess geschehen ist und das Parlament etwas getan hat, was nach der Verfassung von 1791 verboten war. Menschenrechte gelten auch bezogen auf einen Naturzustand und sind verbindlich, dürfen daher nicht unter Berufung auf ein Wohl des Volkes für nicht geltend erklärt werden. Da Robespierre die Menschenrechte befürwortet, verwickelt er sich mit der Verneinung jeder rechtlichen Gemeinschaft in Widersprüche.

Contra-Argumente

  • Ausreichen einer Absetzung und eines Schuldspruches: Eine Absetzung des Königs und die Schaffung einer Republik waren ausreichend. Eine Schuld des Königs konnte verkündet und öffentlich begründet werden.

Das Argument hat einiges Gewicht und ist in einem hohen Ausmaß stichhaltig: Es hat eine  mangelnde Fähigkeit und Bereitschaft des Königs gegeben, sich dauerhaft auf eine konstitutionelle Monarchie einzulassen, wodurch Befürwortern der Revolution schließlich die Errichtung einer Republik richtig erschien. Zunächst wurde die Möglichkeit, einen Prozess gegen den König zu führen, geprüft. Dafür wurden Vorwürfe zusammengestellt. Dazu gehörte, seine entlassene und nach Koblenz emigrierte Leibwache weiterbezahlt zu haben. Am 20. November 1792 wurden in einem eingebauten „eisernen Schrank" (armoire de fer) in den Tuilerien Dokumente gefunden, die ihn zusätzlich belasteten. Ludwig XVI. hatte offenbar ein Doppelspiel betrieben, eine geheime Korrespondenz mit ausländischen Mächten und Emigranten geführt, geheime Verbindungen zu Personen gehabt, revolutionsfeindliche Presse finanziert. Ohne eine Anklage war eine weitere Gefangenschaft des Königs auf Dauer schwierig zu begründen und eine Rücknahme der Absetzung hätte als Eingeständnis, unberechtigt oder falsch gehandelt zu haben, ausgelegt werden können. Am 5. Dezember 1792 wurde Anklageerhebung beschlossen, am 11. Dezember begann der Prozess vor dem Nationalkonvent. Dabei ist die Frage einer Schuld von der Frage der Strafe im Fall eines Schuldspruchs getrennt worden.

  • mögliche schädliche Wirkung einer Hinrichtung des Königs: Unruhen und Empörung und Verschwörungen und Intrigen gegen die Republik und ein allgemeiner Angriff ausländischer Herrscher waren denkbar, aber eine Hinrichtung konnte dies mit einer Wut auf „Königsmörder“ sogar verschärfen. So etwas ist auch eingetreten. Vor allem in Ausland hat die Hinrichtung des Königs stark überwiegend ein negatives Echo hervorgerufen.
  • Unverletzlichkeit des Königs nach der Verfassung von 1791: Solange er König war war die Person des Königs (nach der Verfassung von 1791, Titel III, Kapitel II, Artikel 3) unverletzlich und heilig („La personne du roi est inviolable et sacrée“).

Das Argument ist formalrechtlich gewichtig und stichhaltig, aber politisch weniger bedeutend. Ludwig XVI. konnte für etwas, das er als König getan hatte, abgesetzt werden, aber für seine Zeit als König konnte er sich auf Unverletzlichkeit berufen, was einer Hinrichtung entgegenstand.

  • Zweifel an einer Berechtigung einer Todesstrafe allgemein: Die Todesstrafe kann allgemein mit der Begründung, die Menschenwürde zu verletzen, in Zwiefel gezogen und abgelehnt werden.

Das Argument ist ethisch und rechtphilosophisch gewichtig, aber für eine geschichtliche Untersuchung wenig gewichtig und stichhaltig. Damals war Todesstrafe ziemllich üblich.

Abwägung

Für die unterschiedlichen Standpunkte gibt es Argumente, die jeweils teilsweise ziemliches Gewicht haben. Aber bei allen Pro-Argumenten (Argumente für Unverzichtbarkeit/Notwendigkeit einer Hinrichtung) mangelt es an Stichhaltigkeit. Dagegen gibt es mehrere Contra-Argumene mit großer Stichhaltigkeit.

Bei der einfachen Volksmenge in Paris gab es eine starke Strömung für eine Todesstrafe. Robespierre war eine Verbundenheit mit dem einfachen Volk wichtig und ein Wunsch, die Revolution mit einen unumkehrbaren Schritt zur Beseitigung des Königtums zu sichern, ist bei ihm naheliegend. Sachlich war aber dafür nur ein Schuldspruch, nicht eine Hinrichtung erforderlich. Eine Hinrichtung konnte nicht zu einem Verschwinden von gegenrevolutionären Kräften führen. Energisches Handeln war für den Erfolg der Revolution wichtig, allerdings ist es in der Folgezeit mit der „Schreckensherrschaft“ dabei auch zu einem überzogenen Vorgehen gekommen, das langfristig für einen Erfolg ungünstig gewesen ist.

Jijij395ij 
Fragesteller
 16.05.2023, 15:46

Vielen Dank

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Das war unblutiger, als alle Royalisten zu Köpfen, die eine Gefahr für die neue Ordnung dargestellt hätten.

Ich frage dich:

welchen Einfluss hatte es auf den Verlauf, dass eine radikale Clique die Macht ergriff und Lynchmaßnahmen gegenüber dem alten Regime verübte?

Denkst du, sie legitimierten dadurch ihr eigenes Handeln?

Wenn die neuen Machhaber die ganze Energie darauf verwenden, die Entmachtenden zu töten, dann zeigt das nur auf, die Revolutionäre keinen Plan hatten, sondern nur Rache üben wollten.

Die Französische Revolution hätte auch ohne die Ermordung der Königsfamilie baldigst ein Ende gefunden, folglich war das Ganze nur eine „archaische Tötung“ um selber auf den Thron zu kommen.

Hi,

der Erfolg der Revolution bestand in der Abschaffung der Monarchie.

Außerdem bestand der geheime Plan Ludwigs des XVI. mit Unterstützung von Preußen und Österreich einen Feldzug gegen Frankreich anzuzetteln, um die Revolution so zu beenden.

Daher ist es aus damaliger Zeit folgerichtig, dass der König verhaftet und hingerichtet wurde. Da er nicht einsichtig sein würde und eine latente Gefahr für die Revolution bleiben würde.

Allerdings schlug das Pendel unter Robespierre in die andere Richtung um, in eine Terrorherrschaft mit Hinrichtungsexzessen, so dass er am Ende selbst enthauptet wurde. LG