Verteidigungsreden
Sokrates ist im Prozess gegen ihn (399 v. Chr.) seinen Überzeugungen treu geblieben und hat mutig Haltung bewahrt. Eine Abwendung von seinen Überzeugungen und Versuche, sein Leben durch rührseliges Erflehen von Mitleid zu retten, hat er unterlassen.
Sokrates wollte nicht sein philosphierendes Verhalten, das er für richtig hielt, verleugnen und widerrufen (z. B. durch Eingestehen einer Schuld) und nicht zu Verteidigungsmitteln greifen, die er für unwürdig und ethisch schlecht hielt, auch wenn er dadurch in seinen Verteidigungsreden eine für die Vermeidung eines Todesurteils ungünstige Taktik wählte.
Bei Platon, Apologie des Sokrates 23 a – c weist Sokrates darauf hin, mit seinen philosophischen Gesprächen gemäß dem Gott Apollon zu handeln. Er deutet eine Antwort des Orakels von Delphi auf eine Frage seines Freundes Chairephon, niemand sei weiser als Sokrates, so, darin weise zu sein, sich der Grenzen seines Wissens bewusst zu sein, und richtig vorzugehen, wenn er angebliches Wissen anderer Menschen im Gespräch einer Überprüfung unterzieht.
Sokrates weist auch auf sein hohes Alter (damals ungefähr 70 Jahre) hin (Platon, Apologie des Sokrates 38 c).
Sokrates erklärt, Frechheit und Schamlosigkeit sowie seiner selbst Unwürdiges unterlassen zu wollen und der Meinung zu sein, nicht aufgrund von Gefahr etwas Unedles tun zu dürfen (Platon, Apologie des Sokrates 38 d – e).
Sokrates gibt an, sein Daimonion (griechisch: δαιμόνιον), eine von ihm als göttlich gedeutete innere Stimme, habe ihm während des Prozesses nicht widersprochen, und schließt daraus, gut zu handeln (Platon, Apologie des Sokrates 40 a – c).
Bei Xenophon, Apologie des Sokrates 6, verweist Sokrates auf sein hohes Alter. Der Tod zu diesem Zeitpunkt sei einer, der von den Wissenden alls der leichteste beurteilt werde, bereite den Freunden am wenigsten Beschwerlichkeiten, bewirke am meisten Sehnsucht nach den Verstorbenen und hinterlasse nichts in den Meinungen der Anwesenden, das unanständig und misslich sei (Xenophon, Apologie des Sokrates 7). Sonst werde er unter Schmerzen durch Krankheiten oder durch hohes Amter mit beschweren und ohne Fröhlichkeit sterben (Xenophon, Apologie des Sokrates 8).
Sokrates erklärt, lieber zu sterben als unedel zu betteln, noch eine Weile leben zu dürfen, und statt des Todes ein viel schlechteres Leben zu haben (Xenophon, Apologie des Sokrates 10). Sokrates glaubt nicht, nicht zu sterben sei schön, sondern meinte, das für ihn jetzt der richtige Zeitpunkt sei, zu sterben (Xenophon, Apologie des Sokrates 23).
Die Schriften der Sokrates-Schüler Platon und Xenophon sind keine wortgenauen Wiedergaben der tatsächlichen Verteidigungsreden. Es ist zu überlegen, was inhaltlich echt ist.
Die Auffassung, Sokrates habe die Verhandlung genutzt, um sich töten zu lassen, wirkt nicht einleuchtend. Es ging ihm nicht schlecht.
Wegen des hohen Alters könnte es Sokrates leichtergefallen sein, es auf ein Todesurteil ankommen zu lassen.
Wesentlich ist offenbar gewesen, seine philosophischen Überzeugungen nicht preisgeben zu wollen und ein Verhalten, das er für schändlich hielt, zu vermeiden.
Einstellung zu Suizid
Die Darlegungen in philosophischen Dialogen stammen von den Verfassern. Inwieweit das, was die Dialogfigur Sokrates an Standpunkten vertritt, inhaltlich mit dem übereinstimmt, was der historische Sokrates vertreten hat, ist nicht von vornherein klar.
Im »Phaidon« beruht die Aussage, der wahrhafte Philosph wolle sterben, auf einer Auffassung, die Seele sei unsterblich und der Tod sei Absonderung und Befreiung der Seele von Lasten des Leibes und Gefangenschaft, wonach es ihr gut ergeht und sie zu Erkenntnis gelangt.
Es gibt eine Auffassung (Platon, Phaidon 61 c – d), sich selbst keine Gewalt antun, denn das, sagt man, ist nicht recht (griechisch: θεμιτόν).
In pythagoreischen Geheimlehren heißt es, die Menschen seien auf einem Wachposten und dürften sich davon nicht losmachen und weglaufen (Platon, Phaidon 62 b).
Die Götter sorgten für die Menschen und diese gehörten zu ihrem Eigentum. Daher sei zu sterben nicht eher erlaubt, als bis der Gott eine Notwendigkeit verfügt hat (Platon, Phaidon 62 c). Es gilt als unvernünftig, unwillig aus der Pflege, der die besten Aufseher, die Gottheiten, vorstehen, fortzugehen. Denn es könnte jemand nicht meinen, frei geworden besser für sich zu sorgen. Nur ein unverständiger Mensch könnte vielleicht glauben, vor dem Herrn fliehen zu müssen, und nicht daran denken, dass man vor dem Guten nicht fliehen soll, sondern soviel als möglich dabeibleiben. Wer Verstand habe, begehre, immer bei dem zu sein, der besser ist als er selbst (Platon, Phaidon 62 d – e).