Aikido funktioniert nur mit willigen "Gegnern"?

5 Antworten

Ich bin praktizierender Aikido und hatte leider auch schon reale Selbstverteidigungssituationen, in denen ich mich oder andere schützen musste.

Ich kann daher nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen und sagen: Ich habe mich mit Aikido auch schon gegen eine Gruppe von Angreifern im Ernstfall verteidigen können.

"Gegner" müssen mitlaufen, immer am Handgelenk bleiben..

Um einige Prinzipien des Aikido zu verstehen, muss man in die Historie gehen.

Früher bestand die wichtigste Verteidigung der Samurai darin, ihr Schwert zu ziehen. Wenn man also einmal ihre "Schwerthand" gepackt hatte, lies man in der Regel auch so schnell nicht mehr los, weil man sonst einen Schwerthieb riskierte.

In die Moderne übertragen Wenn jemand eine Pistole hält, und man kriegt diese Hand zu packen, lässt man auch nicht mehr so schnell los, weil man sonst einen Schuss riskiert. In diesem Kontext macht es also Sinn.

Ein anderes Beispiel ist z.B. der frontale Stoß-Angriff mit dem Tanto (Dolch). Oft wird kritisiert: "So greift doch niemand ernsthaft mit einem Messer an!"

Aber diese Technik geht darauf zurück, zwischen die Lamellen einer Samurai-Rüstung zu stoßen und so verwundbare Körperstellen zu treffen.

Die Aikido-Technik ist dann also eigentlich auch keine "Messerabwehr", auch wenn sie oft so vermittelt wird, was dann zu Missverständnissen führt

Zudem hatte ich den EIndruck als ob die Leute sich dort auch schon selbst "geworfen" haben..

Diese Bereitschaft, sich freiwillig fallen zu lassen, ist eine Art Selbstschutz. Viele Würfe und Hebel würden in gebrochenen Gelenken oder ausgerenkten Gliedmaßen enden, wenn man sich wehren und der Verteidiger die Techniken voll durchziehen müsste.

Es ist mir selbst schon passiert, dass mein Nage mich nicht losgelassen hat, und ich hart auf die Matte schlug. Wäre ich dabei nach vorne gerutscht, hätte ich mir dabei leicht den Arm ausrenken können. Natürlich entschuldigte er sich und alles war gut.

Aber niemand denke ich würde sich führen lassen, während man sich umdrehen würde, würden die einfach loslassen und einen kaputtkloppen...

Das ist unter anderem auch eine Frage der Präzision und Geschwindigkeit. Wenn man sich nicht gleich durch eine offensive Haltung als "gewaltbereiter Gegner" outet, ist die Anwendung von Aikido im Ernstfall überraschend.

Der Hebel/Wurf/etc erfolgt so schnell, dass Widerstand entweder zu spät kommt, oder aber eben zu Verletzungen beim Angreifer führt.

Schau dir mal zum Beispiel an, wie Christian Tissier hier in verschiedenen Versionen einen "Irimi Nage" durchführt - dadurch, dass er nah am Körper bleibt und sein "kuzushi" (Gleichgewichtsbrechung) nach unten so extrem ist, kommt der Wurf völlig unerwartet:

https://www.youtube.com/watch?v=M5BGLsyiOvI

Wenn man sich auf der Straße nicht gleich wie ein entlaufener Shaolin-Schüler posierend hinstellt, hat man die Überraschung auf der eigenen Seite.

Oder seh ich das falsch?

Nein, das ist lediglich dein persönlicher Eindruck, der sich möglicherweise verändert, wenn du dich weiterhin mit dem Thema befasst und dir vielleicht andere Aikido-Stile ansiehst.

Einige Aikido-Stile, insbesondere aus der Vorkriegszeit, sind durch den Gebrauch von Atemi (Offensivtechniken) auch deutlich härter - z.B. Yoshinkan-Aikido.

Im Iwama-Stil ist zusätzlich die Bedeutung der Waffentechniken größer, weil viele der Prinzipien des Aikido aus bewaffneten Kampfkünsten abgeleitet sind.

Aber selbst im "Standard"-Stil des Aikikai gibt es Lehrer, die aufgrund persönlicher Kompetenzen stark auf Effizienz ausgerichtet sind und z.B. Atemi betonen.

Hier erklärt z.B. Nishio Sensei sein Verständnis von Atemi (mit englischer Übersetzung) und kritisiert auch die wenig sinnvolle Durchführung mancher Techniken:

https://www.youtube.com/watch?v=7pIut5rFeo4

Ich hoffe, dir mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit 40 Jahren Training des Aikido.
pillmill 
Fragesteller
 17.11.2019, 20:55

Ich weiß nicht welchen Aikido style die Leute bei mir in der Nähe üben. Sind da so große Unterschiede? Ich frage mich würde ich meine Zeit verschwenden, wenn ich Aikido erlernen wollte? Oder wäre ich mit Judo besser dran?

Und passt aikido mit karate (shotokan) zusammen?

Mein Ziel ist, mich und meine Begleitung eventuell. vor Feidlichen Angriffen zu schützen, egal ob schläge oder schubser, gerangel etc.

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Enzylexikon  17.11.2019, 21:16
@pillmill
Ich weiß nicht welchen Aikido style die Leute bei mir in der Nähe üben

Du könntest einfach mal fragen, an welchem Lehrer sie sich dort orientieren, dann kannst du selbst weiter recherchieren, wenn du magst.

Ich frage mich würde ich meine Zeit verschwenden, wenn ich Aikido erlernen wollte?

Aikido ist sicher kein Stil, mit dem man innerhalb kürzester Zeit lernt, jemanden möglichst effektiv zusammenzuschlagen. Damit wäre man dort falsch.

Aikido ist nicht einfach eine Selbstverteidigungsmethode, sondern als traditionelle Kampfkunst auf ein lebenslanges Lernen und üben ausgelegt.

Daher stellt sich eine gewisse Verteidigungsfähigkeit sicher nicht in den ersten paar Jahren ein. Somit braucht man tatsächlich Geduld.

Und passt aikido mit karate (shotokan) zusammen?

Ich halte überhaupt nichts davon, verschiedene Stile zu mischen - schon gar nicht, wenn man sie nicht schon jahrelang trainiert und sie sehr gegensätzlich sind.

Verschiedene Stile haben unterschiedliche Konzepte und Strategien und daher auch voneinander abweichende Bewegungsmuster.

Sind die Muster eines Stils noch nicht "verinnerlicht", wird es immer Abweichungen geben - und am Ende beherrscht man keinen Stil wirklich.

Dann kritisiert dein Aikido-Lehrer deine starren Bewegungen und dein Karate-Lehrer, dass du dich nicht punktgenau bewegst - ein Interessenskonflikt

Außer als reines Selbstverteidigungskonzept, wie etwa Krav Maga, habe ich für diese ganzen modernen "Hybrid-Stile" absolut nichts übrig.

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ThisIsJustMeHH  17.11.2019, 22:47

Danke für die Einordnung mit dem Messer Angriff! Das habe ich als ich es mal gezeigt bekommen habe und später noch ein paar mal gesehen habe ein wenig belächelt. Die Trainer im jeweiligen Kontext haben das aber auch nie eingeordnet. Das war mehr so "und jetzt Messer Abwehr. Ach ja wenn euch einer mit dem Messer angreift immer weg laufen aber wenn das nicht geht dann..." da habe ich dem Akido in diesem Punkt wohl Unrecht getan. Gerade solche Wurzeln zu erhalten finde ich ja auch wichtig. Um so trauriger das viele Trainer den Kontext dazu nicht mit geben. Ich finde wenn jemand fragt, "warum macht ihr das so und so" sollte ein trainierender auch die Gründe und den Kontext erläutern können.

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Enzylexikon  18.11.2019, 19:51
@ThisIsJustMeHH

Ich bin mir leider ziemlich sicher, das selbst einige höher graduierte Lehrer tatsächlich von einer "Messerabwehr" ausgehen und es deshalb auch so vermitteln.

Glücklicherweise gab es einige Pioniere der "Aufklärung", die auf methodische Fehler und Mängel bei der Durchführung von Techniken hingewiesen haben und alternative Möglichkeiten zeigten.

Ein Beispiel ist der bedauerlicherweise 2017 verstorbene Stanley Pranin, der sowohl historisch, als eben auch im Bezug auf die kritische Betrachtung, ein echter Pionier war.

In diesem englischsprachen Video zeigt er am Beispiel des "kote-gaeshi" einen solchen Fehler - im ersten Teil der Technik entfernt man sich aus der Gefahrenzone, nur um sich dann im zweiten Teil wieder hineinzubegeben:

https://www.youtube.com/watch?v=KULSTMxG5MY

Solche Fehler sieht man zu Dutzenden, selbst bei Lehrern, weil sie nie hinterfragr haben, ob es "Sinn macht", sich so zu verhalten. Glücklicherweise gibt es aber eben solche Videos die dafür sorgen, dass Fehler hoffentlich aussterben werden.

Überraschenderweise finden sich viele dieser "realistischeren" Techniken im alten Curriculum des Vorkriegs-Aikido, waren also ursprünglich enthalten, bevor der Gründer, oder seine Nachfolger, diese Techniken entschärften.

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Es ist, wie bei jeder Kampfkunst, die Du als Anfänger beginnst. Um zunächst den Ablauf ohne weitere Schäden üben zu können, solltest Du mitspielen.

Du hast als Anfänger jede Menge "aber wenn, aber wenn, aber wenn..." im Kopf. Das ist normal, aber nicht sehr produktiv. Du solltest bei diesem einen Szenario bleiben, dass ja nur dazu dient, Dir eine runde Körpermechanik einzutrainieren - praktisch eine Art Universalverhalten.

Du führst die Bewegungsenergie des Angreifers weiter in eine runde Bewegung - natürlich nur, wenn der Angreifer wirklich greifen und sich bewegen möchte - erst dann kannst Du seine Bewegung umleiten.

Dein Trainer hätte Dir auch auf die harte Tour zeigen können, dass seine Hebel äußerst wirksam sind, doch er sah Dich als Schüler - nicht als Gegner. Dummerweise hat er wohl deine Zweifel nicht bemerkt, sonst hätte er darauf eingehen können. Falls Du eine zweite Probestunde in Betracht ziehst, äußere, was Du denkst.

Es ist seltsam, dass Du die Hebel aus dem Jiu Jitsu als wirksam betrachtest, an denen des Aikido aber zweifelst...denn das Aikido wurde aus dem Jiu Jitsu entwickelt. Es sind dieselben Hebel. Aikido hat sich extrem auf die weichen, runden, Bewegungsabläufe spezialisiert - das, was wir im Jiu Jitsu "das Jiu" nennen. Weich hierbei heißt nicht etwa zaghaft oder unwirksam.

Ich habe auch erst 2 Aikido-Einheiten hinter mir. Obwohl ich mit äußerst gemischten Gefühlen und sehr skeptisch teilgenommen habe, und nur weil es bei mir fast direkt vor der Tür ist, hat der Trainer mich doch tatsächlich von der Wirksamkeit des Aikido überzeugt.

Aufgrund meiner vorherigen Kampfkunsterfahrung und natürlich aufgrund seiner Fachkompetenz, habe ich die angesetzten (Fast-) Schläge, die wirksame runde Körperdynamik und die präzisen Hebel in den Übungen erkannt.

Ich will den Aikidokas hier auf GF nicht zu sehr auf die Füsse treten. Aber ich kann dir die Videoreihe "Martial Arts Journey" von Rokas empfehlen.

Aus der Kanalinfo: Er hat 14 Jahre lang Aikido betrieben, 7 Jahre davon professionell als Lehrer (er hat den 2. Dan, wenn ich mich nicht irre). Und er hat sich (als Aikidolehrer) EXAKT die gleichen Fragen gestellt wie du.

Am einfachsten dürfte es sein, bei seinen Videos ab "Aikido vs MMA - Real sparring 2017"(https://www.youtube.com/watch?v=0KUXTC8g_pk) anzufangen und sich dann mal so das eine oder andere von ihm anzusehen. Zum Beispiel auch, wie anderes Aikidokas auf seine Videos und aussagen reagieren/reagiert haben.

castoff  20.01.2020, 16:18

Ich verfolge seine Arbeit jetzt auch seit einigen Jahren. Echt guter Mann

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Äußere dem Senei deine Zweifel und sage du möchtest es am eigenen Leib erfahren ob es funktioniert wenn du selber nicht "mit machst".
Dann kann er dir zeigen ob es Effektiv ist.

Ich beschäftige mich seit mittlerweile 25 Jahren aktiv mit dem Thema Kampfkunst und Selbstverteidigung und habe entsprechend auch viele Dinge ausprobiert, unter anderem verschiedene Aikido Stile(Tendoryu, Shinshin Toitsu, Takemusu,...).
Ich halte große Stücke auf Aikido und werde mich in Zukunft auch wieder stärker damit beschäftigen, speziell dem meditativen Anteil aus dem Shinshin Toitsu(= Ki Aikido).

Allerdings wäre es für mich nicht die richtige Wahl, wenn es um das Thema Selbstverteidigung geht. Um Dich einigermaßen verteidigen zu können, benötigst Du Konzepte und Situationen, die denen auf der Straße nahe kommen. Dazu gehören auch Schläge, Tritte, etc. Du musst lernen mit Treffern umgehen zu können, ebenso mit Stress, Adrenalin, Angst...ohne in eine Schockstarre zu verfallen.

Um mit realistischen Schlägen umgehen zu lernen, muss im Training genau das passieren: Es muss realistisch geschlagen werden, Sparring gemacht werden, Drills trainiert werden, etc. Und das wirst Du im traditionellen Aikido so nicht finden. ebenso wenig in vielen anderen Kampfkünsten. Ich selbst besitze unter Anderem einen Dan Grad(Schwarzgurt) im koreanischen Hapkido, dem man nachsagt, es sei eine effektive Selbstverteidigung. Aber obwohl dort viele "harte" Techniken, wie Kicks, Schläge, Bodenkampf, Hebel, Würfe, Waffen, etc vorhanden sind, ist der Stil trotz allem nicht wirklich realitätsnah.

Oft wird in traditionellen Stilen argumentiert, man trainiere es erstmal traditionell, aber im echten Kampf würden die Techniken dann anders ausgeführt. Und das ist ein Trugschluss. Du kannst Deine Trainingszeit nur einmal ausgeben und wenn Du dann zu 90% nur wenig realitätsbezogene Techniken trainierst, dann werden die unter Streß und Adrenalin auf der Straße weder genauer, noch besser und schon gar nicht realitätsnäher.

Überlege Dir immer, aus welchem Grund Du welche Kampfkunst trainieren willst und schaue, ob das wirklich Sinn für dich macht.

Ein Freund von mir trainiert beispielsweise Shotokan Karate. Nicht, weil es wirklich realistisch für die Straße wäre, sondern einfach nur, weil es japanisch ist und er ein Japan Fan ist.

Jeder nach seinem Interesse. Nur, das muss man eben kennen.

Woher ich das weiß:Berufserfahrung
pillmill 
Fragesteller
 17.11.2019, 21:48

Was wäre denn ne gute Mischung? Ich hätte nicht so großes Interesse an reiner SV. Ich möchte auch das es ein wenig Spaß macht.

Karate Shotokan hab ich selbst schon paar Jahre gemacht nur ist da auch nicht viel mit realität bzw weiß man nicht was man da wirklich drauf hat weil es keine realitätsnahen Kämpfe gibt.

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Mentalyzer  17.11.2019, 21:58
@pillmill

Das ist nicht leicht zu beantworten, weil auch jeder Stil immer vom Lehrer abhängt und der Art, wie er unterrichtet.

Stile, mit denen ich gute Erfahrungen gemacht habe, was Kampffähigkeit angeht, waren Wing Chun(wobei gutes Wing Chun schwer zu finden ist), Jeet Kune Do, viele Philippinische Stile(Serrada Escrima, Panantukan, Pekiti Tirsia Kali) oder auch direkte Stile, wie Kickboxen, MMA, etc.

Was auch gut funktionieren soll, ist Krav Maga(hab ich nicht sooo viel Erfahrung mit), oder härtere Karate Stile, wie das Kyokushin Karate.

Da gibt es noch viel mehr, aber vieles ist in Deutschland kaum vertreten(Kajukenbo z.B.).

Wie gesagt: Viel hängt vom Trainer ab. Nicht immer ist es unbedingt so wichtig, WAS trainiert wird, sondern viel mehr WIE.

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