Du schreibst so, als wäre es dir wichtiger, Neues zu denken, als etwas Wahres. Du willst nicht ernsthaft denken, bloß um hinterher auf einer Tafel verewigt zu sein? Geh zurück an den Anfang: Wieso willst du philosophieren; worauf suchst du Antworten?
Wenn du dir dabei nicht einmal über die Fragen klar wirst, ist es vielleicht wirklich Zeit, dir ein Buch heranzunehmen. Platons Politeia dürfte dafür sehr geeignet sein – ganz egal, wer ihm mittlerweile alles widersprochen hat. Dass die Fragen, die er aufwirft, Europa 2500 Jahre lang beschäftigt und geprägt haben, hat vielleicht seinen Grund.
Dass es erstrebenswert ist, Berufsphilosoph zu werden, daran habe ich auch so meine Zweifel. Die Einbettung in das akademische System mit seinem Zwang, zu zeigen, dass du die Steuergelder wert bist – das wird dich in deinem Denken letztlich wohl sogar hemmen.
Nebenbemerkung: Zu Kants Zeit war es ganz anders als du schreibst. Zentral war damals der Konflikt zwischen Rationalismus und Empirismus, den Kant in der Vorrede zur ersten Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft wunderbar beschreibt. Deshalb ist das Hauptanliegen dieses Werkes auch die Versöhnung dieser beiden zunächst unvereinbar scheinenden Weltanschauunggen bzw. die Auflösung der Widersprüche, die sich aus ihnen jeweils ergeben.
Auch stellten zwar Nietzsche und Heidegger ihre Gedanken auf ein ganz eigenes Fundament; aber zuvor hatten sie sich sehr wohl intensiv mit den Werken anderer auseinandergesetzt.
Arthur Schopenhauer hat zu deiner Frage auch etwas interessantes gesagt:
„Lesen soll man also nur dann, wann die Quelle der eigenen Gedanken stockt; was auch beim besten Kopfe oft genug der Fall seyn wird. Hingegen die eigenen, urkräftigen Gedanken verscheuchen, um ein Buch zur Hand zu nehmen, ist Sünde wider den heiligen Geist. Man gleicht alsdann Dem, der aus der freien Natur flieht, um ein Herbarium zu besehn, oder um schöne Gegenden im Kupferstiche zu betrachten.
Wenn man auch bisweilen eine Wahrheit, eine Einsicht, die man mit vieler Mühe und langsam durch eigenes Denken und Kombiniren herausgebracht hat, hätte mit Bequemlichkeit in einem Buche ganz fertig vorfinden können; so ist sie doch hundert Mal mehr werth, wenn man sie durch eigenes Denken erlangt hat. Denn nur alsdann tritt sie als integrirender Theil, als lebendiges Glied, ein, in das ganze System unserer Gedanken, steht mit demselben in vollkommenem und festem Zusammenhange, wird mit allen ihren Gründen und Folgen verstanden, trägt die Farbe, den Farbenton, das Gepräge unsrer ganzen Denkweise, ist eben zur rechten Zeit, als das Bedürfniß derselben rege war, gekommen, sitzt daher fest und kann nicht wieder verschwinden.“