Ich bin sicher kein Amerikaapologet, aber wie hier teilweise in Extremen argumentiert wird, geht mir zu sehr Richtung Amerikabashing/Sind-wir-dagegen-toll-Stammtisch. (Witzigerweise werden aber Beiträge, die eben weder dem "USA sind toll"- noch dem "Amis böse"-Extrem zuzuordnen sind, meist nicht gelesen, weil ist ja viel zu kompliziert und dem Weltbild zuwiderlaufend. Tut euch mal den Gefallen und lest es.)
Erst einmal: wenn man nach dem Prozentsatz der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze schaut, kommen die USA auf 15,1%. Ja, das ist viel. Viel zu viel. Eine Schande für eine führende Industrienation.
Dann schauen wir mal bei Deutschland und kommen auf 16,7%. Trotz unseres Sozialsystems und unserer angeblich humaneren Menschenauffassung. Sollten wir vielleicht mal nicht überlegen mit Fingern auf andere zeigen, sondern mal was bei uns ändern. Ihr habt die Möglichkeit. Tut ihr's nicht, seid ihr so herzlos wie ihr es den Amis vorwerft. Punkt.
Auch ist es so, dass hier die Mittelschicht ebenso schrumpft. Unser Haus brennt auch, da hilft es nicht wirklich, wenn man sagt "Haha, beim Nachbar brennt das Haus auch, was für ein Tölpel!" und selbstgefällig sich an dessen Hausbrand erfreut. Macht was.
Ja, es wird in den USA tendenziell viel mehr auf Eigenverantwortung gepocht ("Du bist erst einmal ganz allein für dich verantwortlich."), so wie hier Eigenverantwortung tendenziell oft abgeschoben wird ("Der Staat hat es gefälligst zu richten und ist in Bringschuld, ich nicht." - das nenne ich mal ebenso gehirngewaschen). Manche gehen in beiden Ländern ins Extrem, viele nicht. Die Leute im Extrem sind immer die, die niemandem helfen außer (so meinen sie) sich selbst.
Bei Eigenverantwortung ist auch die Bildung - ja, gute Bildung ist teuer dort. Aber was dabei verschwiegen wird: wenn du dich anstrengst und eben Eigeninitiative entwickelst, kannst du Stipendien bekommen, die teilweise alles an deiner Ausbildung bezahlen. Der "Komm ich heut nicht, komm ich morgen"-Typ wird die nicht kriegen, aber der, der sich anstrengt schon. Auch für soziale Härtefälle gibt es oft Stipendien.
Ganz abgesehen davon - du setzt ggf. fürs Studium eine hohe fünfstellige Summe ein, um eine Ausbildung zu bekommen, die dir die Türen zu Jobs öffnet, die dir bis zur Rente ein Vielfaches davon wieder einbringen - klingt für mich fair, nennt man Investition (mit null Einsatz möglichst viel Geld machen klappt leider in den seltensten Fällen). Und ja, der Student, der ein eher exotisches Fach studiert, wo es keine oder keine gutbezahlten Jobs gibt, geht da ein hohes Risiko. Aber hey, ich habe viele Freunde, die hier auch keine Jobs gefunden haben, weil sie am Jobmarkt vorbeistudiert haben.
Und wie oft habe ich hierzulande in staatlichen Bildungseinrichtungen gesehen, dass (wohl, weil es ja für lau ist) ziellos rumgehangen wird, Sachen zerstört werden, Lehrkräfte sogar angegriffen werden. Das ist besser?
Ja, es gibt viele arme Amis, viele, die ich auch kenne, die mehrere Jobs haben - aber es heißt eben "American Dream", not "American Anrecht". Es kann immernoch klappen, jeder hat Träume. Und ich kenne auch Leute dort, die es geschafft haben, sich aus einem ziemlich tiefen Tal wieder herauszuarbeiten. Ebenso wie Leute, die immernoch herumkrebsen.
Dass arme Leute "faul" sind - klar gibt es da bei einigen die Meinung (auch hier). Hatte ich eine lange Diskussion mit einer amerikanischen Bekannten, die diese Meinung hatte. Was mir aber zeigte: Ich hab im Extrem argumentiert, dass ja hier die Arbeitslosen und Armen ja alle (das Wort "alle" bitte nicht überlesen) arme Schlucker sind, die nix dafür können und in ihrem Zustand gefangen sind. Was eine sehr deutsche Einstellung ist und, sorry, quatsch ist. Ich kenne inzwischen auch einige (auch da "einige" nicht überlesen) Deutsche, bei denen Selbstmitleid und das Vermeiden von Eigenverantwortung das Betriebssystem sind, die Schuld immer bei den anderen sehen (der Staat ganz weit vorne), und einfach nichts tun wollen, obwohl sie es könnten. Ich denke, wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte: es gibt echt faule Leute, es gibt Leute, die haben einfach unproduktive Entscheidungen getroffen, und es gibt Leute, die sind in ungünstigen Umständen ziemlich gefangen.
Da jetzt Trump noch mit reinzubringen, ginge echt etwas weit. Aber klar, jeder will doch von Politikern hören "Du kannst es schaffen, wir sind gut!" - hast du mal einen gehört, der sagte "Nee, du wirst da unten weiter rumvegetieren - und unser Land ist vielleicht schlabberiges Mittelmaß"? ;-) Trump ist halt am lautesten gewesen, Hillary Clinton eine denkbar unbeliebte Gegnerin, so war es halt. Ist ja nicht so, dass wir in Deutschland nicht mal dem größten Großmaul mehrheitlich alles geglaubt haben vor einigen Jahrzehnten.
Also - kurz gesagt: sie glauben daran, weil es auch durchaus für einige möglich ist, mit Eigeninitiative, Eigenverantwortung und ggf. harter Arbeit ihren Status zu verbessern. Das geht auch hierzulande. Und es ist ein Traum eines besseren Lebens, kein Anrecht.