Von niedergelassenen Ärzten hat mir kein einziger Arzt direkt gesagt, dass ich Alkoholikerin bin. Das wäre auch kontraproduktiv. Denn so verweigert sich ein alkoholsüchtiger Mensch ggf nur der Behandlung beim Arzt, weil er sich stigmatisiert fühlt. Da gehen die Ärzte sehr behutsam ran. Mein Hausarzt hat es schnell gesehen, aber er hat ganz vorsichtig nachgefragt woran meine schlechten Leberwerte liegen könnten und als ich dann von selbst zugegeben habe, dass ich ein Alkoholproblem habe, meinte er dann erst dass er es gleich an den leicht gelben Augen gesehen hat. Vorher hat mich kein Arzt angesprochen. Meine Schwester ist auch Ärztin und sie hat mich nie angesprochen, obwohl sie es wusste. Erst als ich von selbst auf sie zugegangen bin hat sie gesagt, dass sie es längst weiß. Sie meinte, es bringt nie was, die Menschen zu direkt zu konfrontieren, es muss von den Menschen selbst kommen! Und da ich ja selbst Alkoholikerin bin, weiß ich das auch. Bei den Menschen (keine Ärzte), die mich direkt darauf angesprochen haben, habe ich mich damals vor dem Beginn meines neuen Lebens in Abstinenz verweigert darüber zu sprechen oder es runtergespielt. Dazu muss ich aber auch sagen, dass ich sehr starken Stigmatisierungen durch diese Menschen ausgesetzt war. Diese Stigmatisierungen haben das Problem teilweise noch verschlimmert.
Im Krankenhaus muss natürlich schon rein wegen der Narkose nachgefragt werden, ob man Alkohol trinkt und wieviel, denn "nasse" Alkoholiker brauchen wohl andere Dosierungen. Ich war nie ausser bei meinen beiden Entzügen im Krankenhaus, daher kann ich keine eigene Erfahrung hierzu geben. Meine Schwester hat mir von ihrer Zeit als Ärztin im KH nur erzählt, dass wenn die Leute angeben, jeden Tag ein Feierabendbier zu trinken, dass die Ärzte dann meist schon bei sich "Alkoholiker" ankreuzen... halt wegen der Narkose. Und dort wird meist auch direkter gesagt "Sie dürfen nicht mehr so viel trinken". Aber die Diagnose offiziell stellen machen sie eher nicht. Das kommt auf sooo viele Faktoren an. Wenn Ärzte denken, es ist kontraproduktiv und verschlimmert die Sache, würden sie es auch im KH nicht knallhart sagen.
Ich würde es allerdings auch etwas anmaßend empfinden, wenn ein Arzt, der kein Facharzt, also Psychiater, ohne "Geständnis" des Patienten ein "Alkoholabhängigkeitssyndrom" diagnostiziert. Denn es ist in erster Linie eine psychische Krankheit. Man ist zwar irgendwann auch körperlich abhängig, aber so einen körperlichen Entzug kann man auch schnell durch haben, die Leber erholt sich auch schnell (sofern keine irreparablen Schäden) - das Problem ist die Psyche! Mein Vater hat auch eine Zeit im Leben gehabt (so ca. 1 Jahr), wo er 6 bis 8 Bier am Tag getrunken hat (würde man eher von Alkoholismus sprechen). Dann hat er aber plötzlich ein paar Monate gar nichts mehr getrunken und seit 20 Jahren jetzt nur noch maximal einmal die Woche 1 bis 2 Bier. Da würde ich persönlich z.B. dann doch nicht von Alkoholismus sprechen - er kann es kontrollieren! Ein Alkoholiker kann es nicht!
Auch wenn es in Deinem Fall offensichtlich erscheint. Die Diagnose "Alkoholabhängigkeitssyndrom" ist in vielen Fällen gar nicht so einfach zu stellen! Und in diesen Fällen kann es letztlich NUR mit der Hilfe des Patienten selbst beurteilt werden. Ich hatte meinen ersten körperlichen Entzug in 6 Tagen durch, Leber war nach 5 Wochen wieder top, den zweiten Entzug hatte ich in 3 Tagen durch (kein richtiger Entzug, bin nach Rückfall sofort in KH um mich am weitertrinken zu hindern), da war mit meiner Leber gar nichts. Ich trinke seit 2 Jahren nicht, mein Hausarzt sagt, mittlerweile sind meine Werte alle top wie bei einem Säugling Ich sehe jünger aus als ich bin und habe keine optischen Veränderungen erlitten. Kein Arzt der meine Vorgeschichte nicht kennt würde mich heute als Alkoholikerin diagnostizieren - trotzdem bin ich Alkoholikerin. Bei meinem Vater hätten damals einige gesagt er ist Alkoholiker - war er aber nicht, auch wenn er an der Schwelle dazu stand. Du siehst es ist alles nicht so einfach.