Ich habe mich oft gefragt, wie man in einer Welt, die von widersprüchlichen Erwartungen geprägt ist, wirklich authentisch leben kann, ohne sich dabei von anderen zu entfremden. Einerseits möchte ich mir selbst treu bleiben – meinen eigenen Werten, Interessen und Überzeugungen folgen. Andererseits bin ich Teil einer Gesellschaft, die bestimmte Regeln und Erwartungen hat, und ich spüre, dass zu viel Abweichung manchmal zu Ablehnung oder Isolation führen kann.
Was mir geholfen hat, ist ein besseres Verständnis davon, wie Identität funktioniert. In der Psychologie, vor allem bei Carl Rogers, bin ich auf das Konzept vom „wahren Selbst“ und dem „sozialen Selbst“ gestoßen. Das hat mir klargemacht: Es ist völlig normal, dass ich mich in verschiedenen Situationen unterschiedlich verhalte – das bedeutet nicht automatisch, dass ich mich verstelle. Vielmehr kommt es darauf an, ob das, was ich nach außen zeige, noch im Einklang mit dem steht, was ich innerlich wirklich fühle und denke.
Auch der soziologische Blick hat mir geholfen, gelassener mit diesem Spannungsfeld umzugehen. Wir alle tragen verschiedene Rollen – als Freundin, Kollegin, Kind, Partner*in. Diese Rollen sind Teil unseres Selbst und nicht zwangsläufig ein Widerspruch zur Authentizität. Ich habe gelernt, dass es eher darum geht, diese Rollen bewusst zu gestalten, statt sie nur passiv zu erfüllen.
Was mich dabei besonders beschäftigt, ist die Frage nach innerer Kohärenz: Wie schaffe ich es, trotz wechselnder Anforderungen ein Gefühl von Stimmigkeit in meinem Leben zu behalten? Für mich funktioniert das vor allem über Reflexion. Ich nehme mir regelmäßig Zeit, um zu überlegen, was mir wirklich wichtig ist, wo ich mich vielleicht zu sehr anpasse und wo es sich lohnt, auch mal anzuecken. Und ich habe gemerkt, dass es möglich ist, ehrlich und offen zu sich selbst zu stehen – auch wenn das manchmal Mut erfordert.
Ich glaube nicht, dass es eine endgültige Lösung für diesen Widerspruch gibt. Vielmehr ist es ein Prozess, der immer wieder neu austariert werden muss. Aber ich bin überzeugt, dass es möglich ist, ein Leben zu führen, das sowohl authentisch als auch sozial eingebunden ist – wenn man bereit ist, sich selbst gut kennenzulernen, klare Grenzen zu setzen und sich gleichzeitig auf andere einzulassen.