Die politische Polarisation der Gesellschaft... oh ja, mir scheint, dass diese in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Würde ja auch Sinn machen, mit all den Suboptimalen Entwicklungen, z.B. Anfang dieses Jahrtausends mit 9/11 und der daraus resultierenden Angst, nicht nur vor Terrorismus, jedoch auch vor der "unbekannten Religion", dann 2008 mit 'ner Wirtschaftskrise (Wirtschaftskrisen sind optimal für eine politische Polarisierung), der Flüchtlingskrise, einer weltweiten Pandemie an die es sich zu gewöhnen gab, dem Krieg zwischen Putins Russland und der Ukraine sowie den (zahlreichen, jedoch nicht minder verheerenden) Konflikten im Nahen Osten. Das sind nicht nur schlechte Nachrichten... sondern verstörend beunruhigende, extrem schlechte Nachrichten.
Da hätten wir schon mal eine Ausgangslage für starke politische Polarisierung... wobei es historisch gesehen, durchaus schlimmere Ausgangslagen gegeben haben soll - und hier kommt unser Geheimrezept ins Spiel: Wer braucht heute noch ein Flugblatt, um seine Meinung zu verbreiten? Wer muss auf die Nachrichten warten, wenn ihm das gesamte Internet zugänglich ist?
Und da liegt meines Erachtens nach der Knackpunkt: Da wir immer öfter online sind und dort unsere Meinung - primär mit gleichgesinnten- teilen, werden wir auch immer weiter in die Richtung gezogen, für "unsere" Seite desensibilisiert, sodass einige abstrakte, einige extreme und allumfassende Ideen aus unserer Sicht sinnig sind, während sie für andere Positionen zu extrem erscheinen. Und mit diesen extremen ist jetzt nicht unbedingt eine geläufige Rechtsextreme/ Linksextreme Position gemeint, sondern lediglich eine Position, die vom anderen Lager, jedoch nicht der ehrenwerten Mitte, als extrem angesehen würde. Während wir also in unseren Foren/ online-Kreisen für unsere Seite stark Motiviert werden, nimmt unser Verständnis, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu beurteilen ab, da wir sowohl eine neue Norm für uns aufgebaut haben und als Gruppe viel zu investiert sind, um unsere Fundamente zu überdenken, aber auch deswegen, da die andere Seite nicht zugehörig zu unserer Gruppe ist - also, was soll das differenzierte Auseinandersetzen mit deren Standpunkten?
Aber wir verweilen ja nicht nur in unseren Kreisen, sondern wandern auch ab und an zur Gegenseite - in erster Linie nicht, um deren Erkenntnisse wahr zu nehmen, sondern um im Schutze der, der Internetkultur so eigenen, Anonymität eine Auseinandersetzung zu schaffen, in der wir mit der Waffe des Wortes (hauptsächlich mittels Behauptungen, gegebenenfalls mit schnell recherchierten Quellen) unseren Standpunkt behaupten, ihn verteidigen und vor allem unser Gedankengut "gewinnen " sehen wollen - ja, es geht weniger um die Verbreitung dessen und noch weniger um die Verbesserung unseres Stoffs. Und in dieser tief egoistischen Machtdemonstration ist meiner Meinung nach der Beginn des persönlichen Angehens zu sehen: Jemand, der bloß aufgrund einer Behauptung, möglicherweise von schöner Rhetorik untermalt, und ohne Ernsthaftigkeit mit jemanden, der auch nur ein Argument sowie ein Gegenargument, eine Diskussion zu führen sucht, wird schnell feststellen, das man besser vorbereitet kommt oder seine Thesen vor seinem trüben Auge klar seziert werden. Und da fast ein jeder das Verlieren würde vermeiden wollen, so zieht man die vermeintliche Nähe der Anonymität hinzu - immerhin kann man so einiges Sagen, ohne dass ein Gesicht zu erkennen ist. Hierbei spielt mit sicherheit auch der vermehrt lockere Umgang online eine rolle - ebenso wie die Bequemlichkeit, alles von zu Hause aus zu inszenieren.
Wohl nicht weniger Wichtig ist die Informations Beschaffung: Niemand handelt völlig objektiv. Aber mittlerweile bekommen wir die Informationen schon von unser gleichen vorgeführt, sodass wir gar nicht über die Nachricht denken müssen - sie ist ja bereits vollständig kommentiert! Und eben solche Artikel bzw. Videos werden dann geteilt - sodass jeder, der denselben Kanal folgt, denselben Ansatz haben kann. Natürlich gibt es auch hier immer welche, die z.B. in Kommentaren hinterfragt, jedoch liest die Mehrheit in der Regel bloß und Kommentiert nicht. Da stellt sich die Frage, ob dies auch aus der Bequemlichkeit und Sicherheit der Anonymität heraus geschieht...
Meine Erfahrung online spiegelt das obige wider. Und während all dies natürlich hier ein wenig im schlechten Licht dargestellt zu sein scheint, so begrüße ich doch die Bequemlichkeit und Freiheit der Anonymität, die Einfachheit der Gruppenfindung z.B. bei den Subcommunities und natürlich die zahlreichen Video-Essays und Artikel, da man dadurch durchaus andere Positionen zu verstehen lernt (oder zumindest zu erkennen). Ich bin eher ein Befürworter strukturierter Debatten mit eine Fülle an Argumenten und Rhetorischer Kunst, aber solange eine Diskussion "zivilisiert" ausgetragen wird, bin ich eigentlich erfreut. Zuletzt darf man ja auch nie vergessen, dass hinter jedem Nutzernamen ein Nutzer steckt, ein Mensch (na ja, manchmal auch ein Bot/ Progra-) und das ist ein Nachteil der Anonymität: Man nimmt das Gegenüber nicht mehr als einen Nutzernamen, einige Statistiken und, schließlich, eine Meinung wahr...
Dass wurde jetzt doch schon zu lang... und wahrscheinlich viel zuviel von meinem Unmut gegenüber denen, deren Online-Diskussionen ich mitbekommen habe, verfärbt. Ich schätze, es ist leichter alles persönlich zu nehmen, anstelle mehrere Perspektiven differenziert betrachten zu wollen...
Irren ist menschlich...
...aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch.