Also, dieser Spiegel-Artikel ist ja ein wildes Sammelsurium. Was da alles fröhlich in einen Topf geworfen wird, sagenhaft. Eine Gemeinsamkeit besteht allerdings: es wird wunderbar eine zwingende Kausalität zwischen allem Elend der menschlichen Psyche und einer vorangegangenen Psychotherapie hergestellt.
Besonders hübsch fand ich diesen Abschnitt:
"Aus deren zum Teil exotischen Tretmühlen wandert inzwischen ein steter Strom schwer ramponierter Neurotiker weiter in die geschlossenen Abteilungen der psychiatrischen Heilanstalten, wo sie dann etwa die Kutte des Bhagwan-Jüngers mit der Zwangsjacke vertauschen."
Ich gebe zu, der bezog sich mal nicht auf die anerkannten Therapiemethoden, sondern auf den "jeweils letzte[n] Schrei aus den bunten Kulissen selbsternannter Psycho-Gurus."
Es wäre interessant zu wissen, woher die unverbrüchlich schlechte Meinung des Autors über Psychotherapien kommt. Da macht man eine Psychotherapie, und schwupps, wird man schizophren, und wenn man Glück hat, bringt man sich weder um, noch wird das Kind drogensüchtig. Bzw. wenn es "schwupps" ginge, wäre man ja noch gut bedient, aber manchmal zieht es sich über 9 Jahre hin, saugt einen aus, und alles für die Katz'.
Natürlich ist in dem Artikel nicht alles Käse, aber für den interessierten Laien ist es schwierig, herauszufinden, was unsinnige Polemik ist und was berechtigte Bedenken und Kritikpunkte. Schade eigentlich.
Bei dieser Fülle von schlechtem Karma im Artikel erübrigt es sich fast, eine differenzierte Meinung dazu darzustellen, zumal durch mich, denn ich bin dieser gemeingefährlichen Sekte der Psychotherapeuten angehörig.
Um die eigentliche Frage weniger akademisch abzuhandeln: wenn Du es bist, bei dem eine "Arbeitsstörung" diagnostiziert wurde, und Du jetzt überlegst, ob Du eine Psychotherapie beginnen sollst, sind solche Artikel gut geeignet, einen völlig abzuschrecken.
Wären Therapien so gefährlich, würden sie nicht von den Krankenkassen bezahlt. (Es sei denn natürlich, man ist der Meinung, dass das alles ein abgekartetes Komplott ist, im dem wahlweise auch die Pharmaindustrie, die Regierung oder der Nachbar alle unter einer Decke stecken.)
Es ist immer eine persönliche Abwägung: leidet man unter seiner Symptomatik so stark, dass man eine Psychotherapie auf sich nehmen will? Die nimmt einen längeren Zeitraum in Anspruch, man ist naturgemäß danach nicht immer bestens gelaunt, weil man ja über seine Schwierigkeiten im Leben, in Alltag und Beziehungen spricht, und eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.
Um einen für sich geeigneten Therapeuten zu finden, hat man theoretisch die Möglichkeit, Vorgespräche mit mehreren zu führen (die Krankenkasse zahlt), um zu sehen, ob man das Gefühl hat, sich dieser Person anvertrauen zu können. Praktisch wird das manchmal schwierig, weil viele Therapeuten ausgebucht sind. Wenn es den aber Klienten gelingt, sich auf den therapeutischen Prozess einzulassen, sind die Besserungschancen gar nicht schlecht! Das Einlassen dauert vielleicht seine Zeit, ehe man seine Vorsicht oder sein Misstrauen fallen lassen kann.