Wieso war das römische Reich fortschrittlicher als Europa im Mittelalter?

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Geschichte entwickelt sich nicht immer - wie z.B. Hegel und Marx meinten - geradlinig zum Höheren und Besseren. Das Wissen der Spätantike zur Zeit des Marc Aurel z.B. ist erst mit der Renaissance wieder langsam zurückgekehrt. Zu dessen Zeit existierten in römischen Städten nicht nur Badeanstalten und Kanalisation (typisch, dass wieder nur die Technik im Blick ist) sondern jede Stadt hatte mindestens eine öffentliche Stadtbibliothek. Es gab überall die Vertreter der philosophischen Schulen deren Angebote privaten Universitäten gleich kamen, was mit dem Christentum alles platt gemacht wurde.

Der Vater des Kirchenlehrers Origenes z.B. führte in Alexandria eine solche noch stoisch ausgerichtete Philosophenschule, die Origenes dann fortgeführt hat. Der wiederum lag im Clinch mit seinem Studienkamerad Plotin und dessen Neoplatonismus, einer heidnischen Philosophie, die im Kern die Hl. Dreifaltigkeit erfunden hat, was dann Augustinus ins Christliche übernahm. Origenes, der Gott, Sohn Jesus und Hl. Geist noch stoisch als Hierarchie interpretierte, fiel dann als Dreifaltigkeitsleugner in Ungnade.

Die herrschenden römischen Eliten bekamen dann aus vielen Gründen die germanische Völkerwanderung nicht in den Griff, was den religiösen Eliten besser gelang. Wenn man dann die Bauten der Kaiser des röm. Reiches deutscher Nation mit denen in Konstantinopel vergleicht, war der Unterschied gewaltig. Jemand wie Theophanou, die byzantinische Gemalin Otto II. die das zu überwinden suchte, hat das rauhe Klima samt niederer Kultur nicht länger als 31 Jahre überlebt.

Zuko1  16.06.2019, 04:31

Du hast zwar nicht die Technik aber auch nur einseitig die Wissenschaften im Blick. Rom war eine kalte Geliebte. Ein Menschenleben galt nichts, das Rechtssystem oft brutal und erbarmungslos. Wer unfrei oder verarmt war. lebte entweder von Panem et Circenses oder verkaufte sich. In den großen Städten herrschte sicher mehr Freiheit aber der Preis war hoch. Die Mehrzahl der Einwohner konnte ja die tollen Universitäten nicht nutzen, oder war gar frei sich dort zu bewegen. Ist immer alles nur Wissen und Technik? Zog der Alexandrit der im Hafen Kisten verlud einen Nutzen aus all dem schönen theoretischen Wissen der marmorweißen Schule, die er belieferte? Das MA hat viel im Sozialen bewirkt, eine gänzlich andere Menschensicht gehabt und war gerade deshalb eine Entwicklung zum Höheren und Besseren.

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berkersheim  16.06.2019, 10:14
@Zuko1

Die Technik der Antike hat bewirkt, dass es in allen Städten hygienischer zuging als im gesamten Mittelalter. In den islamischen Gebieten wurde die medizinische Kunst der Antike fortgeführt und teils auch fortentwickelt, während man bei den Kreuzrittern Pferdemist auf Wunden legte. Darüber spotteten die Muslime: Ritter, die wir nicht töten, werden dann von den eigenen Ärzten umgebracht. In der Spätantike konnten wesentlich mehr Menschen lesen und schreiben, was im Mittelalter nicht mal Fürsten und Könige konnten, nur der Klerus. Die Ernteerträge waren niedriger, "danke" zurückgebliebener Technik auch im Ackerbau und die Hungersnöte heftiger als in der Antike. Dass im MA ein Menschenleben mehr galt als in der Antike, ist auch ein Märchen. Erst mit Napoleon wurde wieder die Qualität der Rechtsprechung der Spätantike erreicht. Eine gleiche Rechtsprechung über ein so großes Gebiet wie das röm. Reich hat es im MIttelalter nicht mal in deutschen Landen gegeben, wo jeder Fürst seine eigene Willkür pflegte.

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Wieso war das römische Reich fortschrittlicher als Europa im Mittelalter?

Vorsicht!

Wenn man die (Ab)wasser-Technologie der Antike,

Auch das Mittelalter beherrschte diese "(Ab)wasser-Technologie". Sie kam in vielen Städten, etlichen Pfalzanlagen und vorallem in den Klöstern zum Einsatz. Gerade die Zisterzienser waren berühmt für ihre ausgeklügelten Frisch- und Abwasserwerke.

die Fähigkeit statisch stabile und ausgeklügelte Konstruktionen zu bauen,

Na, also wenn man sich die imponierenden, u. a. in schwindelnden Höhen erbauten Burganlagen, Stadtfestungen und vorallem die zahlreichen Kirchen, Dome, Kathedralen anschaut, die noch heute existieren, dann kann man der mittelalterlichen Baukunst nur höchsten Respekt zollen!

das System der Zivilisation mit Besteuerung und Buchhaltung,

Als ob es im Mittelalter keine "Besteuerung" gegeben hätte. Natürlich gab es das - und mit der "Buchhaltung" war es auch im ausgedehnten Römischen Reich nicht weit her.

Handel etc

Wie in der Antike, gab es auch im Mittelalter Nah- und Fernhandel. Etc.

und das mit dem eher rückständigen Mittelalter vergleicht,

Das Mittelalter war anders als die Blütezeit der römischen Antike, aber es führte zahlreiche Entwicklungen der späten Antike weiter und passte sie den jeweiligen Erfordernissen an. "Rückständig" - in welcher Beziehung?

Das römische Reich war derart ausgebreitet..wieso wurde offensichtlich nicht von deren Wissen profitiert und darauf aufgebaut?

Das Römische Reich nahm schon in der Spätantike aufgrund der Spaltung in einen von lateinischer und einen von griechischer Kultur geprägten Reichsteil eine unterschiedliche Entwicklung. Auch im lateinischen Westreich und in den Nachfolgestaaten blieb römisches Verwaltungswissen und römisches Wissen auf vielen Gebieten lebendig und wurde weiter tradiert, vorallem in und von den Klöstern. Genutzt wurde, was nützlich war, z. B. die römische Mühlentechnik uvm. Seit dem 14. Jahrhundert begann die Renaissance in Europa und wurde alles überlieferte römische Wissen wieder allgemein allen Gelehrten zugänglich und für die damalige Lebenswelt fruchtbar gemacht.

MfG

Arnold

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

Das Mittelalter kann man durchaus als Rückschritt bezeichnen, wenn man es mit der späten Antike vergleicht.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Unterricht - ohne Schulbetrieb

unsere ganze rechtsstaatlichkeit fußt auf dem römischen reich!

1.Das RR wird endlos hochpoliert, weil die moderne Euroantizivilisation sich darauf beruft. Nicht rein propagandistisch. Recht, Politik und Wirtschaft sind in vielen Belangen auf römischen Grundmustern aufgebaut. Die Realotät des RR sah nicht so glorreich aus wie im Kino.

2.Da Mittelater wiederrum ist die am meisten Propagandagepeinigte Epoche der europäischen Geschichte. Das düstere Mmittelalter ist eine Lüge. Eine protestantische, kapitalistische und noch mehr(aber das geht in Bereiche, die für den öffentlichen Diskurs im Westen geschlossen sind) Lüge. Die Lüge der Sieger des 30 Jährigen Krieges, die eine neue Weltordnung anfingen zu schmieden. Dabei haben sie auch die Geschichtsbücher entsprechend geschrieben. Frage ein Normaloeuropäer und er wird schwärmen von der Aufklärung, Renaissance und Heiligem Fortschritt. Das Mittelalter kennt er nur als eine obskure Zeit des Elends.

3.Also die Wahrheit ist irgendwo in der Mitte. Das RR war nicht sooo toll und das Mittelalter nicht sooo schlimm.

4.Die natürlichen Verluste beim Zerfall eines Reiches sind natürlich. Es hatte kein Reich die Ressourcen und die Infrastruktur um sich alle römischen Vorteile zu leisten. Dabei ist zu bedenken, das das RR sich selbst das Grab geschaufelt hat, trotz Wasserleitungen und Spülklos. Betonung auf Ressourcen. Man kann alles Wissen der Welt haben, aber ohne Reichtum das sich die Römer von anderen Völkern nahmen kann man eine Infrastruktur(auch eben geistige und kulturelle) nicht leisten.

Tinkerbell263 
Fragesteller
 16.06.2019, 21:12

Hast du Tipps wo ich mich besser über das römische Reich informieren kann?

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ArjunasPfeil  17.06.2019, 12:42
@Tinkerbell263

Ich würde Arnold J. Toynbee "A Study of History" empfehken. Eben den Teil, der das RR behandelt.

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