Wie verbindet Epikur den Tod mit den Bedürfnissen?

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Ein Bedürfnis ist ein Wunsch/Verlangen/Begehren nach etwas und dabei tritt als ein Zustand die Empfindung eines Mangels auf, verbunden mit dem Bestreben ihn zu beseitigen. Epikur äußert sich zu Begierden (griechisch: ἐπιθυμίαι [epithymia]; Singular: Begierde = ἐπιθυμία [epithymia]).

Ziel allen Handelns ist nach Epikur das gute Leben (εὐ ζῆν) oder anders gesagt das Glück (εὐδαιμονία [eudaimonia]). Dieses ist nach seiner Auffassung von Lust/Freude (ἡδονή [hedone) bzw. dem Freisein von Unlust/Schmerz/Leid bestimmt. Weil Epikur das Freisein von Unlust/Schmerz/Leid für vorrangig hält, kann seine Ethik als ein negativer Hedonismus (Vermeidung von Unlust/Schmerz/Leid ist am wichtigsten) bezeichnet werden. Epikur erklärt einen mit Dauer verbundenen Zustand, die Seelenruhe (ἀταραξία [ataraxia]; „Unerschütterlichkeit“) und die körperliche Schmerzlosigkeit (ἀπονία [aponia]), für das Ziel/den Endzweck/die Erfüllung/die Vollendung (τέλος [telos]) des (glück)seligen Lebens. In diesem angenehmen Zustand des Wohlbefindens besteht kein Mangel, da keine unbefriedigten Wünsche vorhanden sind. Die Seelenruhe beschreibt Epikur bildlich als glatte Meeresoberfläche bei Windstille. Die Seelenruhe ist ein Zustand heiterer Gelassenheit.

Bei Epikur gibt es Verbindungen zwischen Furcht vor dem Tod und (bestimmten) Begierden, indem sie Quellen von Beeinträchtigung und störender Beunruhigung sind:

1) Sowohl Furcht vor dem Tod allgemein als auch bestimmte (nicht allgemein alle; vor allem weder notwendige noch natürliche Begierden) Begierden führen zu Unlust/Schmerz/Leid und schaden/stören/beeinträchtigen Lust und Seelenruhe.

2) Furcht vor dem Tod und Nichterfüllung/Nichtbefriedigung sowohl notwendiger als auch natürlicher Begierden führen zu Unlust/Schmerz/Leid und schaden/stören/beeinträchtigen Lust und Seelenruhe.

3) Furcht vor dem Tod erzeugt eine unerfüllbare Begierde (Menschen sind sterblich und ein Wunsch, der Tod möge niemals eintreten, ist unerfüllbar).

4) Vernünftige Überlegung kann Schaden/Störung/Beeinträchtigung verhindern, indem sie Zusammenhänge erklärt, zu einer richtigen Einschätzung verhilft und so falsche Meinungen beseitigt, auf denen die Furcht vor dem Tod und die leeren/nichtigen Begierden beruhen.

Epikur beschäftigt sich in seiner Ethik mit Ursachen einer Störung der Seelenruhe:

  • Streben nach der Erfüllung von unnatürlichen, unmäßigen, ins Grenzenlose ausufernden Begierden
  • Furcht
  • Schmerz

Begierden

Epikur unterscheidet bei den Begierden. Die Begierden sind teils natürlich und notwendig, teils natürlich und nicht notwendig, teils weder natürlich noch notwendig. Besonders falsch ist, nichtigen/leeren Begierden nachzujagen. Sie beruhen auf falschen Meinungen, bloßem Wahn.

Unbefriedigte Begierden und Befriedigung unnötiger Begierden – wenn sie sich auf schwer zu beschaffende Dinge richten oder Gefahr laufen schmerzliche Folgen herbeizuführen – sind Quellen seelischer Beunruhigung.

Natürliche und notwendige Begierden (z. B. Hunger und Durst) sollten erfüllt/befriedigt/gestillt werden. Ihre Nichterfüllung/Nichtbefriedigung hat schlechte Auswirkungen.

Natürliche und nicht notwendige Begierden (z. B. sexuelles Verlangen) müssen nicht unbedingt befriedigt werden. Sie verschwinden auch wieder, wenn sie nicht erfüllt werden. Ihre Befriedgung kommt in Frage. Überlegt werde sollte, ob längerfristig Angenehmes oder Unangenehmes überwiegt. Ungünstig sind unmäßige, grenzenlose Begierden. Ihnen nachzujagen ist mit Plage und Qual verbunden, weil das Ziel nicht wirklich erreichbar ist und das Hinterherhetzen zu einem unangenehmen Zustand führt. Allgemein ist es besser, sich nicht von Begierden abhängig zu machen.

Bei unnatürlichen, leeren/nichtigen Begierden (z. B. maßloses, zu einer Sucht werdendes Streben nach Ruhm oder Luxus) ist das richtige Verhalten, die falschen Meinungen zu beseitigen, auf denen sie beruhen.

Epikur, Ausgewählte Schriften. Übersetzt und herausgegeben von Christof Rapp. Stuttgart : Kröner, 2010 (Kröners Taschenausgabe ; Band 218), S. 5 (Epikur, Brief an Menoikeus 127):  

„Man muss auch beachten, dass von den Begierden die einen natürlich sind, die anderen aber leer, und dass von den natürlichen die einen notwendig sind, die anderen jedoch nur natürlich sind; von den notwendigen sind die einen im Hinblick auf das Glück notwendig, die anderen auf die Störungsfreiheit des Körpers und wiederum andere auf das Leben selbst.“

18 (Hauptlehrsätze (Kyriai Doxai) XXVI):  

„Von den Begierden sind die, die nicht zu Schmerzen führen, wenn sie nicht gestillt werden, keine notwendigen, sondern enthalten lediglich ein Streben, das leicht aufgelöst werden kann, falls es sich auf schwer zu beschaffende Dinge richtet oder Schaden mit sich zu bringen scheint.“

S. 18 (Hauptlehrsätze (Kyriai Doxai) XXIX):

„Von den natürlichen Begierden entstehen diejenigen, die keinen Schmerz verursachen, wenn sie nicht erfüllt werden, bei denen aber ein starkes Begehren besteht, aufgrund einer leeren Meinung, und es liegt nicht an ihrer Natur, dass sie beseitigt werden können, sondern an der leeren Meinung des Menschen.“

S. 26 (Vatikanische Spruchsammlung 21.):  

„Nicht zwingen darf man die Natur, sondrern muss sie überzeugen. Wir werden aber die notwendigen begierden überzeugen, indem wir sie befriedigen, die natürlichen ebenso, vorausgesetzt, dass sie nicht schaden, die schädlichen aber, indem wir sie scharf widerlegen.“

S. 33 (Vatikanische Spruchsammlung 71.):  

„An alle Begierden muss man folgendende Frage richten: Was wird mir widerfahren, wenn das Ziel der Begierde erreicht ist? Und was, wenn es nicht erreicht wird?“

Furcht

Angst hat eine Schutzfunktion. Sie hilft, wenn sie angemessen ist, zum Überleben und Vermeiden von Schaden. Epikur wendet sich gegen Furcht, die der Sache nach keinen berechtigten Grund hat. Sie stört die Seelenruhe. Eine falsche Einstellung des Menschen zum Tod erzeugt eine grundlegende Beunruhigung der Seele und kann eine unerfüllbare Begierde hervorrufen, dem drohenden Tod zu entgehen, was aber unmöglich ist.

Epikur versucht vor allem zwei Arten von Furcht als unbegründet nachzuweisen:

A) Furcht vor den Göttern (und Himmelserscheinungen; Himmelskörper werden abergläubisch als göttlich oder einige der Erscheinungen als Ausdruck göttlichen Eingreifens verstanden)

B) Furcht vor dem Tod

Die Furcht vor dem Tod kann verschiedene Gründe haben:

a) Es gibt Furcht, der Tod bereite Schmerzen, wenn auch vielleicht nicht das Streben selbst, so aber doch der bevorstehende Tod (Epikur, Brief an Menoikeus 125).

b) Menschen erwarten oder argwöhnen aufgrund der Mythen einen ewigen Schrecken und/oder Bestrafungen nach dem Tod (Epikur, Brief an Herodot 81).

c) Es besteht Furcht vor Empfindungslosigkeit (Epikur, Brief an Herodot 81).

d) Es wird befürchtet, der Tod verkürze Glücksmöglichkeiten, Menschen gehe durch Tod etwas vom besten Leben (Epikur, Hauptlehrsätze [Kyriai Doxai] 20).

Epikur argumentiert dagegen und vertritt die Aufassung, der Tod sei kein

zu fürchtendes Übel. Alles Gut und Übel liege bei der Wahrnehmung/Empfindung. Mit dem Tod gebe es diese aber nicht mehr.

Epikur, Ausgewählte Schriften. Übersetzt und herausgegeben von Christof

Rapp. Stuttgart : Kröner, 2010 (Kröners Taschenausgabe ; Band 218), S. 4

(Brief an Menoikeus 124 – 125):  

„Gewöhne dich aber daran, zu glauben, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, weil alles Gute und Schlechte in der Wahrnehmung liegt. Der Tod ist aber gerade die Aufhebung der Wahrnehmung. Daher macht die richtige Erkentnnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, die Sterblichkeit des Lebens erst zu etwas, das wir genießen können, nicht indem sie eine unendliche Zeit (zum Leben hinzufügt), sondern indem sie das Streben nach Unsterblichkeit aufhebt. Denn es gibt nichts Schreckliches im Leben für den, der vollständig erfasst hat, dass nichts Schreckliches in dem Nichtleben liegt. Daher redet der einfältig, der sagt, dass er den Tod nicht fürchte, weil er Schmerzen bringen werde, wenn er da ist, sondern dass er ihn fürchte, weil er jetzt als ein in Zukunft bevorstehender schmerzt. Denn was keine Beschwerden bereitet, solange es gegenwärtig ist, das bereitet, wenn man es erwartet, allenfalls überflüssigen Schmerz. Das furchterregendste Übel, der Tod, hat also keine Bedeutung für uns, denn wenn wir existieren, ist der Tod nicht anwesend, wenn aber der Tod anwesend ist, dann existieren wir nicht. Daher ist er weder für die Lebenden noch für die Toten von Bedeutung. Denn für die einen hat er keine Bedeutung, und die anderen existieren nicht mehr.“

S. 13 (Hauptlehrsätze (Kyriai Doxai) II):  

„Der Tod hat keine Bedeutung für uns. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung, was aber keine Empfindung hat, hat keinerlei Bdeutung für uns.“

Gegen das Argument einer Verkürzung der Glücksmöglichkeit wendet Epikur ein, es geht nicht um ein möglichst langes, sondern um ein möglichst angenehmes Leben. Außerdem sei nicht mehr als Höchstmaß erreichbar, ein völliges Freisein von Unlust, das in dieser Hinsicht die Grenze bilde.

Schmerz

Epikur versucht beim Schmerz in der Untersuchung eine Milderung und das

Aufzeigen von Ausgleich darzulegen und so eine Beunruhigung zu vermeiden.

Bücher zum Thema:

Michael Erler, Epikur. In: Die hellenistische Philosophie. Erster Halbband (Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete Ausgabe. Herausgegeben von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike - Band 4/1). Herausgegeben von Hellmut Flashar. Basel ; Stuttgart : Schwabe, 1994, S. 157 – 159

S. 158: „Völlig zu vernachlässigen sind Begierden, die auf blossem Wahn beruhen, wie z. B. das Streben nach Ruhm, Luxus oder Macht, das nach LUKREZ (III 59 ff.) Folge der Todesfurcht ist.“

„Nach Epikurs Ansicht erlangt man Freiheit von Unruhe, wenn man sich von den Begierden, die weder notwendig noch natürlich sind, ganz frei hält. Doch auch bei den natürlichen, aber nicht notwendigen Begierden gilt es, große Zurückhaltung zu wahren. Sind derartige Begierden nicht erfüllt, ist keineswegs Schmerz die Folge. Allein aus der Nichterfüllung der als notwendig und natürlich bezeichneten Begierden resultiert Unlust.“

„Durch richtige Einschätzung der Begierden können Furcht und Schmerz als Unlustquellen überwunden werden.“

„Die Erkenntnis, dass ein unbegrenztes und deshalb unerfüllbares Begehren ein Übel ist, hat daher für Epikur zentrale Bedeutung. Dies gilt insbesondere für das Streben nach Überwindung der Todesfurcht, die nach Epikur für zahlreiches Fehlverhalten und damit verbundenes Übel verantwortlich ist.“

S. 159: „Epikur will die Bedeutungslosigkeit des Todes für ein lustvolles Leben erweisen (EP. ep. Men. 124, LUCR. III 8340ff.; […]).“

EP. ep. Men. = Epikur, Brief an menoikeus  

LUCR. = Lukrez (Titus Lucretius Carus)

Malte Hossenfelder, Die Philosophie der Antike 3 : Stoa, Epikureismus und Skepsis. 2., aktualisierte Auflage. München : Beck, 1995, S. 111 - 115

S. 114: „Diese Einteilung der Begierden gestattet nun, die eine Quelle unerfüllbarer Begierden auszuschalten. Befriedigt werden müssen lediglich die notwendigen Begierden. Die leeren werden durch bloße Einsicht der Vernunft in die wahren Wertverhältnisse beseitigt, und die natürlichen lassen sich zwar nicht auf diese Weise zum Verschwinden bringen, doch sie bereiten, wenn sie nicht befriedigt werden, keine Unlust, sondern vergehen rasch. Die notwendigen Begierden aber sind unproblematisch, weil sie sich von jedermann jederzeit ohne weiteres erfüllen lassen.“

„Die zweite Quelle unerfüllbarere Bedürfnisse war die Furcht, also die Erwartung zukünftiger Unlust.“

„Furcht nun erzeugt das Bedürfnis, einem drohenden Übel zu entgehen, und dies scheint vor allem dann unerfüllbar, wenn es sich auf den Tod oder göttliche Strafe bezieht, weil der Mensch gegenüber beidem machtlos ist.“

S. 115: „Gegen die Furcht vor dem Tode nun zieht Epikur mit dem Wahrspruch zu Felde, daß der Tod gar kein Übel sei, weil er uns nichts angehe. Er kennt offenbar vier Gründe, weshalb der Mensch vor dem Tode Angst hat: erstens, weil er ihn für schmerzhaft hält; zweitens, weil er Unbilden in einem Leben nach dem Tode vermutet; drittens, weil ihm die Empfindungslosigkeit unheimlich ist, und viertens, weil der Tod die Glücksmöglichkeit beschneide. Die ersten drei Gründe entkräftet Epikur durch den Hinweis, daß der Tod das Ende unseres Daseins bedeutet. Es ist daher unsinnig, vor den Schrecken des Hades zu zittern, da es über den Tod hinaus kein Leben gibt. Aber auch das Sterben selbst kann keine Schmerzen bereiten, denn mit dem Dasein schwindet auch jegliche Empfindungsmöglichkeit. Der Tod ist daher auch kein Übel, da „alles Gut und Übel in der Empfindung liegt". Infolgedessen „geht der Tod uns nichts an (οὐθὲν πρὸς ἡμᾶς); denn solange wir sind, ist der Tod nicht da; wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten, denn bei den einen ist er nicht, und die anderen sind nicht mehr". Und so ist die Furcht vor der Empfindungslosigkeit selbst, die mit dem Tode eintritt, nicht minder grundlos. Wer keine Empfindungen mehr hat, für den gibt es weder Gut noch Übel, ganz abgesehen davon, daß der, dem das Übel widerfahren soll, ja dann nicht mehr mehr da ist. Daß schließlich der Tod die Glücksmöglichkeit verkürze, ist deshalb unsinnig, weil die Lust nicht durch die längere Dauer gesteigert werden kann, da sie eine intensive Größe ist. Wie es bei der Auswahl der Speisen nicht auf die Größe der Portion, sondern auf den Wohlgeschmack ankommt, so ist auch bei der Beurteilung des Lebens nicht das längste, sondern das lustvollste vorzuziehen; denn „die unendliche Zeit birgt dieselbe Lust wie die endliche, wenn man die Grenzen der Lust mit der Vernunft mißt". Voraussetzung der epikureischen Haltung zum Tod ist, daß das Dasein mit ihm tatsächlich endet, was insbesondere bedeutet, daß auch die Seele sterblich ist. Das nachzuweisen, ist Aufgabe der Physik (Men. 124 sqq. Her. 81. RS 2. 19 sq.).

Men. = Epikur, Brief an Menoikeus  

sqq. = ff. (folgende)  

Her. = Epikur, Brief an Herodot  

RS = Ratae sententiae (Hauptlehrsätze/Kyriai Doxai)

Malte Hossenfelder, Epikur. Originalausgabe, 3., aktualisierte Auflage. München : Beck, 2006 (Beck'sche Reihe : Denker ; 520), S. 76 - 97

S. 77: „Ferner ergibt sich aus dem Lustbegriff, daß man sie dann als verfügbar ansehen kann, wenn sich dartun läßt, daß man alle Unlust vermeiden kann, weil Lust eben im Freisein von Unlust besteht. Unlust aber war definiert durch einen Mangel, ein Bedürfnis; wir empfinden sie dann, wenn uns zu unserem naturgemäßen Zustand etwas fehlt […]. Folglich muß beweisen werden, daß unerfüllbare Bedürfnisse vermeidbar sind, Solche Bedürfnisse entspringen nach Epikur aus drei Quellen: Furcht, Begierde und Schmerz. Es kommt somit darauf an, diese Quellen unter Kontrolle zu halten.“

Man fürchtet sich nicht vor dem Tod, denn: Solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, sind wir nicht da.
Die Erkenntnis, dass der Tod keine Bedeutung für uns hat, macht die Vergänglichkeit des Lebens zur Quelle unserer Lust, indem sie uns keine unbegrenzte Zeit in Aussicht stellt, sondern das Verlangen nach Unsterblichkeit aufhebt.

Heißt: Weil wir uns nicht vor dem Tod fürchten, ist es uns egal, dass wir nur eine begrenzte Zeit auf der Erde haben. Das wiederum bewirkt, dass wir uns nicht darauf versteifen, unsterblich sein zu wollen. Und diesen Zwang, dieses dringende und ablenkende Bedürfnis, los zu sein, erzeugt Lust.

Bei Epikur geht es ja sowieso nur darum, seine Bedürfnisse zu kontrollieren. Wenn man zum Beispiel am Abend Alkohol trinken will, aber weiß, dass man am Morgen einen Kater haben wird, lässt man das Trinken lieber sein, um seine Lust zu steigern (am Morgen keinen Kater zu haben und gut gelaunt zu sein). Man muss seine Vernunft anwenden (logisch denken) und damit die Lust steigern.

Der Hinweis von Epikur: "Solange wir da sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, sind wir nicht da." wirft für das Leben im Jetzt zwei, eigentlich sogar drei Betrachtungen auf.

1) Epikur gibt ja kaum positive Empfehlungen, womit man zu einem erfüllten Leben gelangen kann. Das ist zu sehr von individuellen Prägungen abhängig. Aber Epikur setzt Rahmen, was man vermeiden sollte, wovor man sich in Acht nehmen sollte, wenn man ein freies, erfülltes Leben nicht verfehlen will. Ein großes Themengebiet dabei ist die "nicht natürliche Angst". Angst ist als starke Emotion ein Überlebensschutz. Aber, sie kann, wenn einem nicht natürliche Ängste eingeredet werden (oder sie kulturell weitergegeben werden) hinderlich sein für ein freies, erfülltes Leben. Angst kann uns zu Marionetten an den Zugseilen anderer machen. Der Tod, einschließlich aller möglichen und unmöglichen Vorstellungen über das danach (Unterwelt, Hölle, Strafe usw.) kann zu einer Quelle werden, dass uns andere über diese Ängste beherrschen. Das Mittelalter mit seinen Sühneorgien war voll davon. Epikurs Aussage: Es gibt keinen Grund, vor dem Todsein Angst zu haben. Wenn wir tot sind, merken wir es nicht mehr.

2) Jetzt leben wir. Also lass Dir die Aufmerksamkeit, im Jetzt unbeschwert zu leben nicht von Gedanken rauben an etwas, das irgendwann kommt und mit Dir nichts mehr zu tun hat, außer dass Dein Jetzt dann ein Ende hat. Schau es Dir einmal in Ruhe an: Ja, die ganze Natur zeigt, dass es nichts ewig gibt. Alles ist auf Zeit. Also nutze die Zeit, die Du hast und versaure sie Dir nicht durch Gedanken an eine Zeit, in der Du nicht mehr über sie verfügen kannst. Lebe im Jetzt. Schöpfe aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Mach in Maßen Pläne für die Zukunft ohne Dich daran zu klammern, weil Du Dich durch allzustarkes Klammern an ein Erreichen müssen dem unberechenbaren Schicksal auslieferst.

3) Außer als Individuum bist Du Teil einer Gesellschaft, im besseren Fall, Teil eines Freundeskreises. Das Lob der Freundschaft ist die einzige wirklich positive Empfehlung Epikurs. Teil der Freundschaft ist die Trauer und die Erinnerung. Wenn Du gegangen bist, gibt es Freunde, die Dich vermissen, die sich Deiner im Guten erinnern. Dadurch ist Dein Leben jetzt nicht nur ein langsames Ausklingen nach dem Tod. Es ist auch eine Quelle von Erfahrung die im Freundeskreis an andere als Beispiel weitergegeben wird. Du hast nicht umsonst gelebt. Gute Freunde machen nach Deinem Tod das Beste aus Deinem Leben.

Alle drei Einstellungen fließen letztlich in eine Grundstimmung der Gelassenheit, des sich Aufgehobenfühlens. So gibt man seinem Leben nicht nur im aktiven Teil einen Sinn sondern auch über den Tod hinaus, auch ohne Unterwelt und ihre Schauergeschichten. Der Epikureer Horaz: Carpe Diem - nutze den Tag, lebe im Jetzt.