weiss jemand wie die Stoiker und Epikurer zur Todesstrafe stehen?

3 Antworten

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Eine grundsätzliche Ablehnung der Todesstrafe durch die Stoiker und die Epikureer hat es anscheinend nicht gegeben, zumindest soweit dies aus der erhaltenen Überlieferung bemerkbar ist.

Epikureer

Von Epikur gibt es in erhaltenen Texten keine Stellungnahme.

Ziel allen Handelns ist nach Epikur das gute Leben (εὐ ζῆν) oder anders gesagt das Glück (die Eudaimonie/Glückseligkeit [εὐδαιμονία]). Nach Epikurs Meinung besteht Glück in der Empfindung von Lust. Lebewesen streben von Natur aus nach Lust. Lust ist ein angenehmer Zustand des Wohlbefindens. Die Abwesenheit von Leid und Schmerz ist ein Ziel. Angestrebt wird aufgrund mit Einsicht getroffener Entscheidungen ein Zustand der Seelenruhe, die Ataraxie („Unerschütterlichkeit“, griechisch ἀταραξία).

Als das natürlich Gerechte versteht Epikur nicht etwas an sich Bestehendes, sondern einen Vertrag über das Nützliche/Zuträgliche, einander weder zu schaden noch geschädigt zu werden. Was für gerecht gehalten wird, ist nach Epikur tatsächlich gerecht, wenn es wirklichen Nutzen für die Bedürfnisse der gegenseitigen Gemeinschaft hat. Dieser Nutzen ist Maßstab zur Beurteilung, ob ein Gesetz gerecht ist oder nicht (Epikur, Kyriai Doxai 31 -40).

Demzufolge könnte geprüft werden, ob die Todesstrafe nützlich ist, indem sie Schutz für die Menschen leistet und zum Wohlergehen in einer Gemeinschaft beiträgt. Eine ausdrückliche Äußerung Epikurs zur Beurteilung der Todesstrafe kommt aber in diesen Aussagen in den Kyriai Doxai (Hauptlehrsätzen) zum Thema Gerechtigkeit nicht vor.

Der römische Epikureer Lukrez (Titus Lucretius Carus) nennt in seinem Lehrgedicht De rerum natura (Über die Natur der Dinge) 3, Vers 1014 – 1023 verschiedenen Strafen, darunter den Sturz vom tarpeischen Felsen, eine Todesstrafe. Der Zusammenhang ist aber eine Furcht der Törichten, während Lukrez (Epikur folgend) darlegt, der Tod sei nicht zu fürchten. Ob Lukrez für oder gegen die Todesstrafe ist, erklärt er nicht.

Lucius Annaeus Seneca stellt Überlegungen über die Notwendigkeit von Strafe/Züchtigung (castigatio) an, daber nicht mit Zorn (ira), einem Affekt, sondern mit Vernunft (ratio), denn sie schädigt nicht, sondern heilt unter dem Anschein des Schadens. Ziel von Schmerz ist die Berichtigung verkehrter Charaktere. Seneca stellt Vergleiche mit dem Vorgehen eines Arztes an. Scharfe Bestrafung ist ein letztes Mittel.

Stoiker

Seneca, De ira 1, 6, 3 – 4 (zum Schützer der Gesetze und Lenker des Staates):
ultima supplicia sceleribus ultimis ponat, ut nemo pereat nisi quem perire etiam pereuntis intersit. Hoc uno medentibus erit dissimilis, quod illi quibus vitam non potuerunt largiri facilem exitum praestant, hic damnatos cum dedecore et traductione vita exigit, non quia delectetur ullius poena — procul est enim a sapiente tam inhumana feritas — sed ut documentum omnium sint, et quia vivi noluerunt prodesse, morte certe eorum res publica utatur.

“Äußerste Strafen wird er für äußerste Verbrechen aufstellen, damit niemand zugrunde geht, außer wenn sogar einem Zugrundegehenden daran liegt, zugrundezugehen. In diesem einem wird er Heilenden unähnlich sein, daß jene denen einen leichten Ausgang/ein leichtes Ende gewähren, denen sie das Leben nicht haben schenken könne, dieser Verurteilte unter Schande und Bloßstellung aus dem Leben vertreibt, nicht weil er sich an der Bestrafung irgendeines Menschen erfreut – denn einem Weisen liegt eine so unmenschliche Wildheit fern - , sondern damit sie ein warnendes Beispiel/eine Lehre für alle sind, und weil sie lebend nicht nützen wollten, ihre Tod doch gewiß dem Staat nützt.“

Seneca, De ira 2, 31, 8:
Ne viperas quidem et natrices et si qua morsu aut ictu nocent effligeremus, si in reliquum mansuefacere possemus aut efficere ne nobis aliisue periculo essent; ergo ne homini quidem nocebimus quia peccavit, sed ne peccet, nec umquam ad praeteritum sed ad futurum poena referetur; non enim irascitur sed cavet. Nam si puniendus est cuicumque pravum maleficumque ingenium est, poena neminem excipiet.

„Nicht einmal Vipern und Nattern und was sonst irgenwie durch Biß oder Stoß/Schlag/Hieb/Stich/Schnitt schadet würden wir umbringen, wenn wir in Zukunft zähmen könnten oder bewirken, daß sie weder für uns noch andere eine Gefahr sind; also nicht einmal einem Menschen werden wir schaden, weil er gefehlt hat, sondern damit er nicht fehlt, und die Strafe wird sich nicht auf die Vergangenheit richten, sondern auf die Zukunft; sie zürnt nämlich nicht, sondern hütet sich/sieht vor/trifft eine Vorsichtsmaßnahme/beugt vor. Denn wenn ein wie auch immer beschaffener verkehrter und übel handelnder Charakter bestraft werden muß, wird die Strafe niemanden ausnehmen/bei niemandem eine Ausnahme machen.“

Kaiser Marcus Aurelius, ein Stoiker, hat die Todesstrafe im römischen Reich nicht abgeschafft.

Beim aufständischen Avidius Cassius wollte er auf eine Tötung verzichten (dieser wurde vor seinem Eintreffen getötet) und begnadigte in Milde die Freunde und Angehörigen.

Das wissen wir schlicht nicht. Möglich, dass sich Epikur dazu geäußert hat, da ihm und seinen Nachfolgern nachgesagt wird, eine Unmenge von Büchern geschrieben zu haben. Doch wir besitzen nur noch eine dürre Auswahl. Gerechtigkeit war Epikur wichtig, aber ob er als letzte Konsequenz auch die Todesstrafe befürwortet oder abgelehnt hat, wissen wir nicht. Wir können höchstens ableiten, dass er Willkür ablehnte, da sie die Grundlage der Gerechtigkeit untergräbt. Im römischen Reich zur Zeit Cäsars und des Kaisers Augustus bis hin zu Marc Aurel (röm. Kaiser und Stoiker) waren Epikureer in den Kreisen führender Familien zu finden. Da ging es um Fragen guten Lebens. Ansonsten war Staatsräson angesagt. Da schützte man sich gegen Willkür durch Freunde und Freundeskreise. Mir ist nicht bekannt, dass nach dem von Kaiser Nero befohlenen "Selbstmord" des Stoikers Seneca irgendwelche Proteste laut wurden. Das hat die allgemeine Öffentlichkeit nicht interessiert und hätte auch keine Resonanz gefunden. Und der Stoiker und römische Kaiser Marc Aurel hat seine "SELBSTBETRACHTUNGEN" bei Feldzügen an der Donaugrenze (Regensburg - siehe Film "Der Gladiator") geschrieben, im Zelt und freier Flur, während seine Soldaten schufteten und kämpften. Und wenn jemand die Nase voll hatte und desertierte, wurde er hingerichtet, wenn man ihn erwischte. Darüber gab es keine öffentliche Debatte.

Nun, Stoa hat den Schierlingsbecher getrunken.

moonrise21 
Fragesteller
 07.06.2012, 17:22

aber aus welchen beweggründen?

und wie siehts mit den epikurern aus...

trotzdem schonmal danke für die schnelle antwort =D

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moonrise21 
Fragesteller
 07.06.2012, 18:50
@moonrise21

sind die Stoiker denn jetzt für oder gegen die todesstrafe?

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moonrise21 
Fragesteller
 07.06.2012, 19:00

ich hab mir mal überlegt...wenn die stoiker ja versuchen das leben so angenehm wie möglich zu leben, und sogar den freitod wählen, falls es ihnen nicht gefällt, so würden sie es doch befürworten dem leben ein schnelles ende zu setzen anstatt in einem kerker zu verenden (z.B. durch den von dir genannten schierlingsbecher).

oder?

würden die Epikurer genauso handeln?

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AGPym  28.04.2015, 12:13

Stoa ist eine Philosophie oder ein Gebäude. Beide trinken höchstens metaphorisch.

Sokrates dagegen trank zwar einen Schierlingsbecher, gehörte aber nicht eigentlich zu Stoa.

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