Was meint Karl Marx damit?

7 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Eine "Klasse" bilden nach Karl Marx alle Menschen, die aufgrund ihres Besitzes bzw. Nichtbesitzes an Produktionsmitteln in einer prinzipiell ähnlichen Lebenslage sind.

Das dürfte klar sein, oder?! Alle, die, sagen wir, gar keine Produktionsmittel besitzen, gehören einer Klasse an: Arbeitslose, Niedriglöhner, Arbeitnehmer.

Dabei ist egal, wie viel Einkommen sie haben, ob sie sich also zur Unterschicht oder zur Mittelschicht zählen: Sie alle bilden eine gemeinsame Gruppe (oder eben "Klasse").

Der objektiven Klassenlage entspricht ein objektives Klasseninteresse

Der Besitz von Produktionsmitteln ist kein Selbstzweck; ein Unternehmer besitzt also die Produktionsmittel nicht, weil es lustig ist, Produktionsmittel zu besitzen, sondern weil er damit Profit erzeugen will.

Ein "objektives" Interesse ist ein Interesse, das unabhängig von der Person existiert. Es ist also egal, ob die Mitglieder der Klasse sich in Veganer, Frutarier oder sonstwas aufteilen ließen; sie alle haben Interessen, die sie alle gemeinsam haben.

Daraus wird das objektive Klasseninteresse zusammengesetzt: Was ist es, das die Mitglieder der Gruppe (oder eben "Klasse") gemeinsam haben? Sagen wir, "faire Löhne ohne Ausbeutung"?

nicht aber immer zwingend ein subjektives Bewusstsein der gemeinsamen Lage.

Was "Bewusstsein" ist, weißt du, ja?! ;) Es ist die Fähigkeit, seine Umgebung wahrzunehmen und beurteilen zu können.

Subjektiv ist, was sich nur auf deine Person bezieht: Du magst gern Eis, ich nicht. (Das ist - zumindest auf meine Person bezogen - gelogen, muss aber als Beispiel herhalten.) Du bist zufrieden, wenn du runde 1.500 Euro im Monat verdienst. Ich hingegen bin erst zufrieden, wenn mindestens 10.000 Euro im Monat in meiner Kasse klingeln.

Trotzdem gehören wir immer noch derselben Klasse an: Wir besitzen keine Produktionsmittel.

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Nun bewegen wir uns wegen unserer unterschiedlichen Einkommen in völlig unterschiedlichen Welten: 

Mir geht es ziemlich gut, ich kann mir meine 3, 4 jährlichen Urlaube leisten, mein Weihnachtsfest fällt üppig aus und häufigere Restaurantbesuche sind für mich so normal, dass ich gar nicht darüber nachdenke und es mehr wie eine "verlängerte Küche meiner Wohnung" wahrnehme.

Du hast hingegen nur 1.500 Euro im Monat. Da sind keine großen Sprünge drin. Urlaub gibt's nur im Sparangebot; die Weihnachtsgeschenke werden ganz bewusst ausgewählt und ggf. zusammengespart, und Restaurantbesuche sind etwas besonderes, das du nicht alle Tage machen kannst.

Trotz dieser offensichtlich erheblichen Unterschiede zwischen uns gehören wir aber immer noch der gleichen Gruppe ("Klasse") an: Wir besitzen keine Produktionsmittel.

Doch ist uns das auch subjektiv bewusst? Bin ich nicht für dich "die da oben"? Und bist du nicht für mich "die da unten"? Erkennen wir also, dass wir auf einer Ebene, also auf Augenhöhe nebeneinander stehen? Ist mir klar, dass wir uns beide - obwohl wir doch scheinbar in verschiedenen Welten leben - in derselben Klasse befinden und damit die gleichen objektiven Interessen haben?

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Bleibt noch eine Frage: Warum hackt Marx so sehr auf dem "Besitz der Produktionsmittel" herum? Warum genügt es ihm nicht, wenn jemand, wie ich in unserem Beispiel, "einfach nur ein gutes Leben" hat?

Und die Antwort darauf gibt dir jede Krise ganz plakativ. In "guten Zeiten" mag das wunderbar funktionieren und die Missstände zudecken. Da wirkt Marx dann wie aus der Zeit gefallen: Völlig veraltet, ja, geradezu absurd. Du bist (halbwegs) mit deinem Einkommen zufrieden; ich bin es ebenfalls. Wir können mehr oder weniger nach unseren Vorstellungen leben und glücklich werden. 

Doch in Krisenzeiten kann es mit der Seligkeit schnell vorbei sein: Reihenweise Entlassungen, beispielsweise. Oder erhebliche Lohnkürzungen. Und schon wird uns sehr drastisch vor Augen geführt, dass uns beide mitnichten ganze Welten trennen. Wir waren die ganze Zeit in der gleichen objektiven Lage; auch wenn wir es subjektiv vorher nicht wahrgenommen haben.

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Einzig die Besitzer von Produktionsmitteln werden weniger (oder sogar gar nicht) geschoren, wie auch die aktuelle Krise wieder beweist: So hat sich der Reichtum der Reichen in Deutschland in der aktuellen Krise, die seit 2007 anhält, um rund 400 Milliarden Euro erhöht. Gleichzeitig sind die Armen in Deutschland noch ärmer geworden.

Man könnte es auch "marx-gerecht" formulieren: "Der Reichtum der Klasse der Besitzer der Produktionsmittel ist auch in der aktuellen Krise gestiegen. Die Armut der Klasse, die keine Produktionsmittel besitzt, ist ebenfalls gestiegen."

... Deshalb ist ihm genau dieser Punkt so wichtig: Es reicht nicht, "einfach nur ein gutes Leben" zu haben; denn dieses Leben hängt trotz allem immer noch von den Besitzern der Produktionsmittel ab. Genauso, wie das Leben jener, die ganz, ganz unten auf der sozialen Leiter stehen. 

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Zusammenfassung

Das objektive Interesse der Klasse der "Nicht-Besitzer der Produktionsmittel" - ganz egal, ob du dabei an die Leute in der Suppenküche, an die Leute im mittleren Management oder an all die dazwischen denkst - ist es also, sich von dieser Abhängigkeit und dem Wohlwollen Dritter zu lösen und, wie es im Liberalismus immer so schön gesagt wird, "ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen". 

Es ist aber subjektiv fraglich, ob jeder Angehörige der Klasse wirklich verstanden hat, in welcher Abhängigkeit er sich tatsächlich befindet; oder ob er sich durch subjektive Einflüsse davon ablenken lässt...

memo50 
Fragesteller
 20.06.2016, 19:54

Wow Top, also ich danke dir auf jeden Fall für deine Bemühungen und dass du dir Zeit dafür genommen hast und dich ausgiebig damit beschäftigt hast :)
Jetzt leuchtet mir das auf jeden Fall besser und genauer ein also der gesamte Klassenbegriff nach Karl Marx,
Danke !

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dandy100  20.06.2016, 23:48
@memo50

Nichts gegen den Kommentar  von unsinkable, aber in einem Forum wie diesem, das nur dem Meinungsaustausch dient, wäre ich sehr vorsichtig, wenn es um wissenschaftliche Fragen geht.

Die diversen Antworten sollte man auf keinen Fall einfach ungeprüft übernehmen, sondern grundsätzlich immer auch selber nachforschen.

Nichts, ausser echte Fachliteratur, kann das ersetzen.

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Unsinkable2  21.06.2016, 00:15
@dandy100

Das ist grundsätzlich absolut richtig, dandy100. Doch das hier ist eine "Stammtisch-Plattform", kein wissenschaftliches Forum. Hier geht es in der überwältigenden Mehrzahl um Fragen des Grundverständnisses.

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dandy100  21.06.2016, 00:33
@Unsinkable2

Ja, genau - aber Marx zu analysieren geht definitiv über ein Stammtischgespräch hinaus.

Nichts gegen Deinen ausführlichen Kommentar, aber Schüler, die sich darauf verlassen, dass sie hier auf derartigen Fragen auch immer richtige Antworten bekommen, leben gefährlich; hier gibts nämlich z.B. auch eine Antwort, die grundfalsch ist.

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Unsinkable2  21.06.2016, 00:43
@dandy100

Marx zu analysieren geht definitiv über ein Stammtischgespräch hinaus.

Darin sind wir uns wohl alle drei (memo50, du und ich) einig. Doch wenn ich nicht ganz falsch liege, war das Teil von Hausaufgaben; maximal aber eine Frage zum fundamentalen Grundverständnis des Klassenbegriffs, der in unserer Propaganda ja bewusst ausgehebelt und mit "Schichten" vernebelt wird. 

Da sind wir noch Welten von einer "Marx-Analyse" entfernt...

leben gefährlich; hier gibts nämlich z.B. auch eine Antwort, die grundfalsch ist.

Das ist leider Normalität. Schaue dir allein mal die Antworten zu Fragen zu den Themen "Sozialismus" und "Kommunismus" auf dieser Plattform an. Da rollen sich dir direkt die Fußnägel auf, weil 70 - 80 Prozent der Antworten vollständig oder größtenteils falsch sind oder sogar vorsätzlich in die Irre führen. 

Letztlich bleibt nur die Hoffnung, dass die Kinder in der Schule wenigstens einen allgemeinen "Umgang mit dem Medium Internet" erlernen und JEDE Information gegenprüfen; ganz besonders, wenn sie aus Foren stammt.

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Das ist keine Aussage von Marx, sondern über seine Ansichten.

Wenn du das schon nicht auseinanderhalten kannst...:-/

Als solche ist sie eine sehr gröbliche Wiedergabe der Ansichten von Marx.

Was genau verstehst du daran nicht?

Theoretisch werden Menschen anhand ihrer Stellung zum Produktionsmittelbesitz als wesentlichem Kriterium zu begrifflichen Großgemeinschaften zusammengefasst.

In dieser Hinsicht haben sie "objektive" gemeinsame Interessen. Z.B. ist das unterstellte objektive Interesse der Besitzer der Produktionsmittel, möglichst hohen Profit zu erwirtschaften.  Nun wäre aber auch jemand denkbar, den das nicht interessiert, der seine Produktionsmittel verkauft und sich um andere Dinge kümmert, also sich subjektiv für diese Zuweisung eines "objektiven" Interessenstandpunkts nicht iteressiert...

Beispiel: Eine Gruppe von Menschen hat eine schlechte Bildung und kein Geld. Hierdurch sind sie in einer ähnlichen Lebenslage.

Das Interesse dieser Gruppe ist es, Ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder krass ausgedrückt, zu überleben. Kaum einer dieser Menschen wird sich um Sozialen Aufstieg, Urlaub, großes Auto Gedanken machen. Das Gruppeninteresse ist Überleben. Bewusst sind sie sich Ihrer Lage aber meistens nicht. 

Weiteres Beispiel: Eine Gruppe von Menschen hat ein gutes Bildungsniveau und Familiären Besitz, sind aber nicht wirklich reich. 

Das Interesse dieser Menschen wird es sein, den Besitz zu erhalten und mäßig zu vermehren. Das Interesse ist Soziale Sicherheit und ein solides Ansehen. Bewusst der Situation sind auch viele dieser Menschen nicht.

Ist das für Dich verständlich?

dandy100  20.06.2016, 17:26

Sorry, aber so stimmt das nicht: Natürlich sind sich die Angehörigen der jeweiligen sozialen Schichten ihrer Interessen bewußt - jeder Mensch ist das.

Entscheidend ist für Marx die Unterscheidung zwischen objektiven und subjektiven Interessen, und das heißt, dass man die eigenen Belange zwar subjetiv wahrnimmt, aber nicht erkennt, dass man im Grunde keine individuellen Probleme hat, sondern ein kollektives Problem, das nämlich alle andere Mitglieder derselben Schicht auch haben - dieses Bewußtsein hat allerdings nicht jeder, denn die meisten Menschen kreisen nur um sich selbst,  ohne zu erkennen, dass ihre Probleme nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun haben, sondern ausschließlich mir ihrer Klassenzugehörigkeit

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Dass kein subjektives Bewusstsein der gemeinsamen Lage vorhanden ist, zeigt z.B. die jüngst russische Geschichte.

Von 1992 bis 1994 fand in Russland unter der Leitung von Jedor Gaidar eine radikale Auflösung der staatseigenen Betriebe statt. Dabei wurden, nach dem Modell des Deutschen Burkhard Wehner ein Privatisierung in der Form durchgeführt, dass Anteilsgutscheine (Aktien) an die Belegschaften ausgegeben wurden. Viele verkauften ihre Gutscheine jedoch an die Betriebsleitungen !

Auch 1995/96 wurden dann Staatsbetriebe wieder privatisiert, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Allerdings wurden diesmal die Privatisierungen von Oligarchen aus dem Bankensektor weitgehend manipuliert, so dass viele die Betriebe weit unter Wert erwerben konnten.

Das Merkwürdige ist nur, dass diese Vorgänge z.B. bei uns ziemlich unbeachtet bleiben. Jedenfalls hat man hier von dem Wehnerschen System Abstand genommen und die Privatisierungen über die Treuhand abgewickelt.

http://www.dekoder.org/de/gnose/die-1990er

Das ist ganz einfach: Ein Angehöriger einer bestimmte sozialen Schicht hat dieselben Interessen wie alle anderen Angehörige dieser Schicht, z.B. die Verbesserung der wirtschaftliche Situation, Lösung finanzieller Probleme, Veränderung der Arbeitsbedingungen usw. - das alles sind objektive Interessen.

Das bedeutet aber nicht, dass man sich auch bewußt darüber ist, dass man mit allen anderen seiner sozialen Klasse sozusagen in demselben Boot sitzt.

Man sieht nur sich selbst - subjektiv -  und hält die eigenen Sorgen für individuell, ohne zu erkennen, dass es gar keine persönlichen Sorgen sind, sondern die der gesamten sozialen Schicht