Unterschied Altgriechisch - Neugriechisch?

4 Antworten

Ich spreche selber etwas Neugriechisch (ca. A2, mein realistisches Ziel ist mindestens B1) und habe das Graecum und kann dir sagen, dass sich das Griechische über 3000 Jahre ziemlich gewandelt hat.

Schon im Altgriechischen sind indogermanische q-/w-/f-Laute nur noch in Ansätzen vorhanden, das Digamma taucht schon im Attischen nicht mehr auf. Weitere Diphtonge (ωι, ηυ, ηι..) sind früh verschwunden. Der Iotazismus (ει, η, υ, οι = i) trat etwa im 10. Jh auf und führte dazu, dass es heute nur noch die Vokale a, e, ä, i, o und u gibt. Der H-Anlaut und Polytonie sind etwa gegen 1900 verschwunden.

Altgriechisch hat mit die meisten Verbformen und Unregelmäßigkeiten der IGen Sprachen. Dual, Optativ, Medium-, Passivendungen, ein reiner Konjunktiv, μι-Verben, Aspektverhätnisse und diverse unübersetzbare Infinitive/Partizipien machen es so spannend. Nur Sanskrit und Slawische Sprachen sind da noch komplizierter. Im Ng. sind das Aspektsystem und Mediopassivendungen geblieben. Hingegen sind diverse Personalendungen (Imperfekt, Passiv), Modi und alle Infinitive verschwunden:

Der Perfekt und PQP werden mit haben gebildet, ähnlich dem Englischen; der Infinitiv mit να: εθελω βλεπειν wird θελω να δω, der Futur mit θα. Die Partikel sind kombinierbar, das System heißt Ypotaktiki. Damit gibt es diverse Konstruktionen wie einen Futur 2 und Konditional, Konjuntiv und Optativ gibt es aber nicht mehr. Es ist also periphrastisch wie im Deutschen, Italienischen... Aoriste und Imperfekte werden aber ähnlich dem Deutschen in einem Wort gebildet. Schau dir Verbtabellen an, dort sieht man die Unterschiede gut: etwa bei βρισκω, εχω, ερχομαι, ερωταω, επομαι, διδωμι/δεινω, λυω/λυνω...

Duale und Dativ gibt es nicht mehr, außer in Redewendungen.

Ansonsten ist viel Vokabular geblieben und hat höchstens die Bedeutung und Rechtschreibung/Aussprache gewechselt. Latinizismen und Anglizismen sind eher selten. Einige Wörter werden parallel zum Romanischen/Germanischen neu gebildet.

Man kann moderne neugriechische Grammatik abgesehen von Aorist und Passivendungen gut mit der Englischen vergleichen. Man beachte aber die Aspekte und Persobalendungen

Die Aussprache ist ganz anders, mit vielen i's, wobei die erasmische Aussprache echter Murks ist: echtes Altgriechisch klingt ganz anders, je nach Dialekt! Neugriechisch ist etwas gewöhnungsbedürtig, aber irgendwann normal.

Verstehen ist so eine Sache: ich verstehe Altgriechisch relativ gut abgesehen von vielen Vokabeln. Es gibt Mischformen wie Koine (Kini), Mittelgriechisch oder Katharevousa, die sind Zwitter aus beiden. Muttersprachler verstehen viele geschrieben Wörter. Ng. ausgesprochen klingt Ag. wiederum furchtbar (oinopoieiētēs vs inopiïïtis - Weinmacher), auch wenn ALLE Griechen meinen, es sei die einzig korrekte. Homer sollte man nie mit Ng. oder Erasmus lesen, der klingt noch mal ganz anders als das NT!

Weiterentwickelt hat sich das Griechische nicht, eher abgeschliffen und ziemlich geändert, ist meine Meinung dazu. Die Grammatik ist vom Umfang her etwa mit dem Deutschen vergleichbar, wobei die griechische etwas regelmäßiger ist. Schon von Homer zum Attischen hat sich etwa das Digamma und der Dual verloren. Durch den regen Austausch im Mittelmeerraum wurde die Koine wiederum abgeflacht.

Volksgriechisch (Dimotiki) ist erst seit etwa 1982 (?) Amtssprache. Vorher wurde vor Gericht usw. Katharevousa gesprochen - ein Wust aus alten, neuen und erfundenen Elementen, nationalistischer Kitsch, mehr nicht. Es ist der Athener Dialekt. Im Norden oder an der Hacke des italienischen Stiefels gibt es noch Volksgruppen, die etwas in Richtung Ionisch sprechen!

Insgesamt ist Neugriechisch aber nicht einfacher zu verstehen. Es ist durch die Moderne wesentlich komplexer geworden und klingt einfach ganz anders als Ag.! Nur einzelne Wurzeln erinnern noch an die alte Herkunft vieler Wörter, es ist moderne Sprache wie jede andere.

Ich hoffe, ich konnte dir etwas helfen. Wenn du Beispielsätze oder Vokabeln auf Ng. brauchst, kommentiere ruhig, ich helfe gerne!

Grüße

derguteBauer001  17.11.2018, 18:08

*ich meine statt Iotazismus (I) Itazismus (bzw. Eta, H)

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Die Sprachen sind einander einigermaßen ähnlich, jedenfalls mehr als Latein mit ir­gend­einer romanischen Sprache. Die konservative Orthographie tut ein Übriges: Viele alt- und neugriechische Wörter werden exakt gleich geschrieben, auch wenn sie ganz anders klingen.

Ich kann einigermaßen altgriechisch und kann mir auch ganz passabel den Inhalt einer neu­griechischen Zeitungsschlagzeile erschließen. Längere Texte zu lesen ist aber schwie­rig, weil nicht alle Verbformen erhalten sind und außerdem das Vokabular merk­liche Ver­än­de­run­gen durchgemacht hat.

Woher ich das weiß:Hobby – Angelesenes Wissen über Sprach­geschich­te und Grammatik
derguteBauer001  17.11.2018, 18:12

Ich glaube mit Verlaub eher nicht, dass Altgriechen eine durchschnittliche griechische Zeitung entziffern und verstehen können. Hochsprache mag kein Problem sein, aber gerade das Alltagsvokabular haben sich strukturell ziemlich dem Romanischen/Germanischen angeglichen; die Grammatik ist aber abgesehen von einigen Vereinfachungen und gleichen Endungen eine ganz andere.

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indiachinacook  31.01.2019, 11:15
@derguteBauer001

Das ist vollkommen richtig, ich scheitere bei der Betriebsanleitung jedes Staubsaugers.

Auch eine Zeitung kann ich nicht lesen, aber bei den Schlagzeilen habe ich oft Glück, weil dort die Grammatik sehr simpel ist und sich die Wörter oft wiedererken­nen lassen. Das ist zugegebenermaßen nicht viel, aber mehr als jeder Lateiner mit dem Corriere della Sera anfangen kann.

Und selbst dieser kleine Vorteil ist größtenteils der Orthographie geschuldet, denn verstehen würde ich kein Wort.

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zu 1

Für einen Neugriechen (Schüler der Student) ist es genauso schwierig einen altgiechischen Text zu lesen wiefür ujns einen mittelhochdeutschen Text, z. B das Nibelungenlied.

Ich habe mich mal mt einem griechischen Gymnasiasten unterhalten, der gerade an der Ilias rumgekaut hat. Er fand das extrem schwer und er durfte bei Schulaufgaben dazu eine spezielle Wortkunde benutzen. Dagegen ist natürlich ein Xenophon Text leicht, der ständig und mantrartig dieselben Textbausteine benutzt.

zu 2

Die Formenlehre hat sich eigentlich nicht weiterentwickelt. Selbst in der neugriechischen Hochsprache braucht man sich nicht mehr mit allen Formen des Aorists rumplagen. in der Volkssprache schon gar nicht. Auch die Präpositionen mit den verschiedenen Fällen sin abgespeckt.

zu 3

Natürlich hat sich der Wortschatz - wie bei allen Sprachen - verändert. Es muss ja neue Worte für sämtliche technischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen Entwicklungen geben.

Wahrscheinlich haben sich auch manche Wortbedeutungen verändert. Unter dem Telosbegriff des Aristoteles versteht man heute vielleicht etwas.anderes.

1. Das kann man nicht pauschalisieren. Auch für Griechen ist das Unterrichtsfach Altgriechisch (= tote Sprache) unterschiedlich schwer. Genau wie bei uns manchen Leuten Latein schon deshalb nicht so liegt, weil es ebenfalls eine tote Sprache ist.

2. ist zu umfangreich, um das hier alles aufzuschreiben.

3. Ja.

derguteBauer001  09.11.2018, 21:58

Tot sind sie sicher nicht! Beide leben weiter!

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rotreginak02  10.11.2018, 11:27
@derguteBauer001

au weia. Bei Sprachen gibt es offiziell den Begriff "tote Sprache", welcher ausdrücken soll, dass diese Sprache zum gegenwärtigen Zeitpunkt von keinem Volk dieser Erde weder gesprochen wird, noch als offizielle Landessprache den Schriftverkehr regelt.

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derguteBauer001  10.11.2018, 14:16
@rotreginak02

Das ist natürlich richtig, ich würde es aber ausgestorben nennen. Altgriechisch wird noch heute in Griechenland gelehrt, in Theater und Kirche benutzt und oft verstanden. Latein war und ist teilweise noch Wissenschafts- und Kirchensprache. Vergiss nicht die Einflüsse ud Nachfolger, die beide Sprachen hinterließen!

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