Sind wir frei? Oder ist unser Wille komplett neuronal determiniert?

Support

Liebe/r DerProphet,

gutefrage.net ist eine Ratgeber-Plattform und um einen Rat scheint es Dir nicht zu gehen, oder? Wenn Du diskutieren möchtest ist das Forum der richtige Ort dafür: http://www.gutefrage.net/forum

Bitte beachte zukünftig unsere Richtlinien unter http://www.gutefrage.net/policy. Deine Beiträge werden sonst gelöscht.

Vielen Dank für Dein Verständnis!

Herzliche Grüsse

Klara vom gutefrage.net-Support

11 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die Frage der Willensfreiheit ist umstritten.

Bei Freiheit ist zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit zu unterscheiden. Handlungsfreiheit bedeutet, tun zu können, was man will. Personen sind Urheber des Geschehens (ob mit Absicht oder nicht). Gegensatz von Handlungsfreiheit ist Zwang und Fremdbestimmung. Willensfreiheit bedeutet, selbst Auslöser seines Wollens zu sein, also wollen können, was man will (Selbstbestimmung). Es ist eine echte Wahl zwischen mindestens zwei Alternativen vorhanden. Willensfreiheit bedeutet nicht, ohne Gründe zu handeln, und ist mit dem Vorhandensein von Einflüssen verträglich, wenn diese ihn nicht auf notwendige Art bestimmen. Menschen haben ein inneres Erleben von Freiheit, was zumindest ein starkes Argument für die Existenz von Willensfreiheit ist, weil auch bei Vertretern eines Determinismus das subjektive Erleben nicht als durchschaute Täuschung verschwindet. Dies erzeugt eine intuitive Hinneigung zur Annahme, einen freien Willen zu haben.

Die Existenz von Willensfreiheit wird mit Auffassungen bestritten, wonach er in Wirklichkeit ganz bestimmt ist und die Entscheidung notwendig so ausfällt, wie sie geschieht.
Solange die Existenz von Willensfreiheit in dem angegebenen Sinn nicht eindeutig widerlegt ist, besteht kein durchschlagender Grund, die Auffassung aufzugeben, die große Bedeutung für unser Selbstverständnis hat.

Willensfreiheit ist zwar von einigen für eine Illusion erklärt worden, aber bisher ist eine neuronale Determinierung, durch die der Wille auf völlig notwendige Weise festgelegt ist und keinerlei Spielraum für Freiheit besteht, nicht nachgewiesen worden.
Experimente von Benjamin Libet (es gibt Nachfolgeexperimente, z. B. von Patrick Haggard und Martin Eimer, bei denen die Versuche etwas geändert wurden) haben in der Erörterung des Problems der Willensfreiheit Bedeutung gehabt. Bei Handbewegungen wird ein Bereitschaftspotential schon kurz vor einer bewußt empfundenen Handlungsentscheidung gemessen. Die gezogenen Schlüsse hängen von der Deutung ab. Benjamin Libet selbst hatte sogar ursprünglich angenommen, mit dem Experiment Willensfreiheit nachweisen zu können (die wenigstens implizite Annahme, mentale/geistige Willensakte seien ganz von physischen Dingen getrennt, lösten ganz von selbst Handlungen aus und es gehe im Gehirn nichts voraus, war wohl eine falsche Erwartung). Später hat er aus Messungen auf die Existenz einer Veto-Möglichkeit des Willens geschlossen (die geplante Handlung kann vor der Ausführung gestoppt werden). Damit vertritt er einen Indeterminismus. Manche Deutungen leiteten aus dem Libet-Experiment eine Determination (Bestimmung auf eine notwendige Weise) durch neurophysiologische Prozesse ab, die in das Gebiet der Biochemie gehören. Solche radikalen Schlüsse haben vor allem, aber nicht ausschließlich einige (nicht alle) Hirnforscher (z. B. Gerhard Roth und Wolf Singer) gezogen. Willensfreiheit halten sie für eine Illusion. Die ursprünglichen Antriebe entstehen nach ihrer Auffassung im limbischen System, einem Bereich des Gehirns. Die Experimente widerlegen nicht zwingend die Existenz von Willensfreiheit. Das Bereitschaftspotential scheint vor einem Bewußtsein der Handlungsabsicht vorhanden zu sein, bei dem erst ein freies Wollen stattfinden könnte. Dies ist aber noch nicht mehr als eine gewisse Ausrichtung hin zu einer Handlung bzw. eine Vorbereitung. Ein Eingreifen eines kontrollierenden Bewußtseins/Denkens ist nicht ausgeschlossen. Das Bereitschaftspotential allein ist noch keine völlige Festlegung (kein nicht mehr rückgängig machbarer Handlungsimpuls). Eine Innensicht durch das Bewußtsein kann erst durch Aufmerksamkeit auf etwas Vorausgegangenes entstehen. Wichtige Handlungen, die für den Gebrauch von Willensfreiheit typischer sind als Handbewegungen ohne einen weiteren Zusammenhang, haben oft eine deutlich längere Zeit des bewußten Überlegens und anfänglichen Schwankens. Welche neuronalen Vorgänge in welcher Art eventuell Korrelate (Entsprechungen) zu mentalen (geistigen) Vorgängen sein könnten, ist ein kompliziertes Problem und auf keinen Fall schon restlos geklärt. Die Messungen suchen Willensfreiheit wohl dort, wo sie weder nachzuweisen noch zu widerlegen ist.

Als Grundhandlung des Denkens kann ein unterscheidendes Erfassen (das als solches ohne weitere Vorgänge nicht direkt als neuronale Aktivität identifiziert und gemessen werden kann), verstanden werden, nicht die Vergegenwärtigung in bewußten Vorstellungen. Wollen ist ins Handeln übergehendes Denken. Ein Gedanke kann formal grundsätzlich stets bejahend oder verneinend (eine einfache Unterscheidung) sein (A oder Nicht-A als Alternative). Daher kann auch eine Entscheidung getroffen werden, eine Handlung durchzuführen oder nicht. Ein Subjekt mit seinem Bewußtsein hat grundsätzlich bei Entscheidungen eine Kontrollmöglichkeit, nein zu sagen.

Albrecht  27.05.2011, 01:36

Menschen haben die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen und auszudenken, das nicht in der gegenwärtigen Lage gegeben ist. Entscheidungen stehen am Ende eines Willensbildungsprozesses. Regungen, Wünsche und Neigungen setzen sich nicht automatisch durch. Menschen haben zumindest grundsätzlich die Möglichkeit, innezuhalten und zu ihnen auf Abstand zu gehen.
Die Vernunft kann eine Leitung ausüben. So etwas kann nur selbstbestimmt stattfinden. Eine Einsicht in die Sache und eigene Urteilskriterien haben Bedeutung. Menschen haben Anteil an der intelligiblen Welt. Geist hat die Eigenschaft, nur in der Ausrichtung auf geistig Einleuchtendes bei sich selbst zu sein.

Bei den neurologisch argumentierenden Deterministen besteht oft eine Neigung zu Vorannahmen und begrifflichen Grundlagen im Bereich der Hirnforschung, die Fehlschlüsse (falsche Schlüsse vom Teil auf das Ganze) sind. Sie geben eine Darstellung des Gehirns oder Teile von ihm wie ein handelndes Subjekt, das (statt der Person insgesamt) Träger von Wahrnehmungen, Denken, Fühlen und Entscheidungen ist, also weit mehr als Ort des Geschehens.

methodische Kritik eines Biologen und eines Philosophen daran: Maxwell R. Bennett/Peter M. S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften. Aus dem Englischen übersetzt von Axel Walter. Mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert. Darmstadt :Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010, besonders S. 87 - 142

Radikale Deterministen setzen oft einfach das Kausalprinzip (Jedes Ereignis hat eine Ursache), den Grundsatz, alles Geschehen aus dem Vorliegen eines Zusammenhangs von Ursache und Wirkung zu erklären, mit dem Determinismusprinzip gleich. Daraus, daß notwendigerweise jedes Ereignis eine Ursache/einen zureichenden Grund hat, kann jedoch nicht abgeleitet werden, daß jedes Ereignis unausweichlich notwendig ist.
Es gibt eine weitergehende (und daher zu begründende) Zusatzbehauptung, jedes Ereignis unterliege ausnahmslosen Gesetzen, die es mit strikter Notwendigkeit festlegen. Dabei ist offenbar an Naturgesetze gedacht (wobei nicht jede Art von Naturgesetzen für die These herangezogen werden kann, sondern nur Sukzessionsgesetze [Verlaufsgesetze]). Der Ablauf des Geschehens unterliegt angeblich ausnahmslosen Verlaufsgesetzen, die vereinfacht ausgedrückt Sätze der Form „immer wenn etwas der Art A geschieht, dann geschieht danach etwas in der Art B“ sind.
Ein universaler Universalismus dieser Art, der darauf hinausläuft, der gesamte Weltlauf sei durch Anfangsbedingungen und Naturgesetze ein für alle Mal alternativlos festgelegt, kann meiner Meinung nach nicht empirisch überprüft werden. Denn das Universum können wir nicht zweimal in den genau gleichen Zustand bringen, sozusagen mit einer Neustarttaste für den Weltlauf. Verlaufsgesetze für einen universalen Determinismus sind auch nicht angegeben worden.

Wer die Existenz von Willensfreiheit bejaht, ist nicht gezwungen, das Kausalprinzip aufzugeben und eine Welt anzunehmen, in der es „nicht mit rechten Dingen“ zugeht (Wunder). Der Begriff Ursache führt noch nicht als logisch einzige Möglichkeit zu der radikal deterministischen Auffassung, auch andere Auffassungen sind denkmöglich.

dazu ein Buch eines Verfechters der Willensfreiheit : Geert Keil, Willensfreiheit. Berlin ; New York : de Gruyter, 2007 (Grundthemen Philosophie), besonders S. 15 – 49 (Determinismus) und S. 154 – 191 (Willensfreiheit und Hirnforschung)

1
DerProphet 
Fragesteller
 28.05.2011, 08:48
@Albrecht

Die Veto Theorie hat einen Haken. Wenn einer bewußten Entscheidung unbewusste Hirnaktivität vorangeht, warum nicht auch dem bewussten Veto?

0
Albrecht  29.05.2011, 03:06
@DerProphet

Ein Vorausgehen unbewußter Vorgänge bewirkt keine Unfreiheit. Die Willensbildung ist mental, es geschieht ein ins Handeln übergehendes Denken. Entscheidend ist, daß vorausgehende Faktoren keine kausal hinreichenden Bedingungen sind, die das Geschehen naturgesetzlich unausweichlich machen.

0

Buch zum Thema: Christine Zunke: Kritik der Hirnforschung: Neurophysiologie und Willensfreiheit, Akademie-Verlag. Das Buch ist leider etwas teuer (fast 50 Euro) und auch nicht leicht zu lesen, es ist die Doktorarbeit der Autorin. Vorkenntnisse in der Philosophie (besonders der Immanuel Kants) sind für das Verständnis hilfreich.

Wenn Dich das Thema wirklich interessiert, dann empfehle ich die "3-Welten" Theorie von Karl Popper. Es ist grob gesprochen wie mit dem Computer und einem Programmierer. Ohne PC ist sein Programm nutz- und wirkungslos. Auch muss er die Architektur des PC berücksichtigen, sonst läuft nichts. Tut er das, kann er den PC per Programm rechnen lassen oder malen, Texte schreiben und formatieren oder Filme schneiden. Und jemand, der das Schreibprogramm benutzt, ist zwar an die Programmstruktur gebunden, doch kann er damit das Telefonbuch abtippen oder ein Gedicht schreiben. Es gibt keine neuronale Notwendigkeit zu einer Oper.

Meines Wissens nach, ist wissenschaftlich nichts erforscht, dass beweisen würde, dass "irgend etwas" unser Handeln vorherbestimmt. Abgesehen von Instinkten, Grundbedürfnissen und Erfahrungen (Erziehung, Gelerntem, ...), die sehr wohl in unser Handeln einfließen.

In einer damaligen Studie wurde festgestellt, dass wir eine Bewegung ZUERST ausführen und DANACH unser Gehirn vermittelt, dass wir diese Bewegung ausführen wollten. Warum das so ist und was man da übersehen hat, ist aber wohl noch nicht klar. Trotzdem irgendwie "gruselig" :-)