Gab es keine Forschung im Mittelalter?

9 Antworten

Natürlich gab es im Mittelalter Forschung, es gab sogar sehr viele Innovationen. Es gab aber zwei Punkte, die den Fortschritt verhindert haben. Das eine war die Unterdrückung durch die Kirche und das andere der Mangel an Papier.

Bei den Römern konnte fast jeder schreiben, weil Papyrus billig war. Im Mittelalter gab es kein Papyrus mehr, es wurde auf Pergament geschrieben und ein Buch war so teuer wie ein Haus. Deshalb lernten nur noch sehr wenige Menschen Lesen und Schreiben. Die Dummheit der Ungebildeten griff in ganz Europa um sich, wie eine Seuche und erst als Gutenberg seine Druckerpresse und in diesem Zuge auch gleich das Papier erfand, war dieser unhaltbare Zustand beendet.

Es gab auch im MA Forschung. Kaiser Friedrich II. war sogar sehr interessiert an Naturwissenschaften.


diderot2019  28.11.2021, 22:48

Friedrich II von Preussen wurde 1712 geboren. Zum Mittelalter wird etwa die Zeit zwischen dem 6. und 15. Jahrhundert bezeichnet.

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Waldi2007  07.10.2022, 07:13
@diderot2019

Du verwechselst das mit König Friedrich II - auch als "Alter Fritz" bekannt. Hier ist aber der Stauferkaiser gemeint - und dieser wurde am 26. Dezember 1194 in Jesi bei Ancona geboren. Mittelalter paßt also!

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Neugier4711  30.11.2021, 20:44

Friedrich II. hatte dementsprechend immer Probleme mit den jeweiligen Past. Schließlich wurde er mit den Kirchenbann belegt. Das heute immer noch aktuelle wissenschaftliche Werk des Kaisers geht über die Aufzucht von Falken.

Hildegard von Bingen hat vieler Erkenntnisse über die Heilwirkung von Kräutern überliefert. Ich finde, dass die bedeutenden Frauen der Geschichte immer zu wenig Beachtung erhalten, daher diese Anmerkung.

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"In der Antike waren die Menschen durchaus experimentierfreudig, aber im Mittelalter wurde jeglicher Fortschritt unterschlagen."

Naja, ich würde mal die Behauptung aufstellen, dass auch in der von manchen Leuten hochgelobten "Antike" so etwas wie "Forschung" oder "Wissenschaft" allerhöchstens ein Hobby von ein paar wenigen Leuten war, die sich das durch ihre eher privilegierten Lebensumstände überhaupt leisten konnten. Da einige von diesen "Gelehrten" aber auch schreiben konnten, sind deren Leistungen wenigstens zum Teil für die Nachwelt erhalten geblieben. Von den eher über 99% der übrigen Menschen der Antike haben wir einfach keine Überlieferungen, obwohl die auch nicht einfach nur ihre Zeit vertrödelten.

Um deine Frage zu beantworten bringe ich das Beispiel Roger Bacon.

Roger Bacon lebte von etwa 1214 bis 1292, wobei die genauen Daten nicht bekannt sind. Er war im Hochmittelalter eine Leuchte der Wissenschaft und war seiner Zeit weit voraus.

Bacon war ein englischer Theologe und Naturphilosoph, Franziskanermönch, Professor der Philosophie in Paris und Oxford. Bacon ignorierte die Gebote der Kirche »nicht hinauszugehen, sondern in das eigene Innere zurückzukehren, denn dort wohnt die Wahrheit«, sondern suchte neue Erkenntnisse durch Erfahrung und Experiment - er führte als einer der ersten (chemische) Experimente durch und prägte den Begriff des Naturgesetzes. Er stellte Theorien auf mathematischem, optischem und astronomischem Gebiet auf, die wegweisend für die modernen Naturwissenschaften waren.

Am besten lässt sich seine Denkweise durch Zitate von ihm belegen:

Wir dürfen das Weltall nicht einengen, um es den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens anzupassen, wie der Mensch es bisher zu tun pflegte. Wir müssen vielmehr unser Wissen ausdehnen, so dass es das Bild des Weltalls zu fassen vermag.

„Man wird Schiffe ohne Ruder bauen, so daß die größten von einem Mann zu steuern sind. Und unglaublich schnelle Fahrzeuge, vor die kein Tier gespannt werden muß. Und fliegende Maschinen. Und solche, die ohne Gefahr bis auf den Grund der Meere und Ströme tauchen können.“

Mathematik ist das Tor und der Schlüssel zu den Wissenschaften. … Die Vernachlässigung der Mathematik schadet allen Erkenntnissen, denn wer sie nicht kennt, kann die anderen Wissenschaften oder die Dinge dieser Welt nicht kennen. Und was noch schlimmer ist, Menschen, die so unwissend sind, können ihre eigene Unwissenheit nicht wahrnehmen und suchen daher nicht nach Abhilfe.“

„Das stärkste Argument beweist nichts, solange die Schlussfolgerungen nicht durch Experimente bestätigt werden.“

etc.pp.

Besonderer Aufmerksamkeit widmete er dem Kalender.

Im Jahre 1267 n.Chr. schrieb er: „Dieser Kalender, der sich jeder Weisheit entzieht, ist ein Greuel für Astronomen und ein Witz aus Sicht der Mathematik“.

Veranlasst dazu wurde er durch die Nachrechnung der Länge des Sonnenjahres. Dabei hatte er festgestellt, dass das Kalenderjahr des Julianischen Kalenders mit 365 Tagen und 6 Stunden nicht stimmte. Nach seinen Berechnungen war das tropische Jahr tatsächlich um 11 Minuten kürzer. In einem Schreiben an den damaligen Papst Clemens IV. beschwerte sich Bacon heftig darüber, dass dadurch der Kalender alle 125 bis 130 Jahre um einen Tag dem tropischen Jahr voreilte. Tatsächlich betrug die Voreilung 1 Tag pro 128 Jahre. Zur Zeit Bacons hatte sich die Voreilung schon auf 9 Tage angehäuft. Er warnte ausdrücklich davor, dass wenn man nichts unternehmen würde, der März eines Tages in den tiefsten Winter und der August in den Frühling fallen würde. Außerdem warnte er davor, dass Ostern und alle anderen christlichen Feiertage zum falschen Zeitpunkt begangen würden. Im tiefgläubigen 13. Jahrhundert war dies ein schwerwiegender Vorwurf an die Katholische Kirche, die die Oberhoheit über den Kalender und die Osterberechnung inne hatte.

Der Vatikan fasste dies als Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Katholischen Kirche auf. Da Bacon zudem die generelle Forderung aufstellte, die Wissenschaft müsse über den Glaubensdogmen des Vatikans stehen, spielte er mit der Gefahr, als Häretiker, also Gotteslästerer, angeklagt zu werden. Zu den damaligen Zeiten hätte dies seinen sicheren Tod bedeutet. Um den Rebellen in den Griff zu bekommen, wurde alles unternommen, um ihn in seinen weiteren Forschungen zu behindern. Dazu wurde er in seinem Kloster mit so viel Gartenarbeit, Beten und Fußbodenschrubben beschäftigt, dass ihm keine Zeit mehr fürs Forschen und Schreiben übrig blieb. Gelegentliche Bestrafung durch Nahrungsentzug sollte dies unterstützen.

Zwischendurch kam mit Clemens IV ein eher progressiver Papst an die Macht, der Bacon aufforderte, ihm seine wissenschaftlichen Schriften zuzusenden. In einem Schreiben an diesen Papst beschwerte sich Bacon: „Meine Prinzipalen und meine Brüder bestraften mich mit Nahrungsentzug und hielten mich unter strenger Bewachung, so dass niemand in meine Nähe gelangen konnte. Sie suchten zu verhindern, dass meine Schriften jemand anders als ihnen in die Hände fiel.“

Da er auf Anweisung des Papstes aber wieder frei arbeiten durfte, verfasste er für den Papst in den folgenden zwei Jahren sein Hauptwerk Opus Majus, in dem er den Fehler im Kalender erneut bemängelte. Um dieses Problem zu lösen, schlug er vor, alle 125 Jahre einen Tag ausfallen zu lassen. Zu seinem Pech verstarb Clemens IV. aber 1268, bevor der Kalender reformiert werden konnte. Die nachfolgenden Päpste wollten dann nichts mehr von Bacon hören.

Bacon rebellierte weiter und beklagte 1272 in einer Schrift den Niedergang der Bildung. Er warf Universitäten, Königen, Fürsten, Rechsgelehrten und sogar dem Vatikan Dummheit vor. Er forderte die Verbreitung von Wahrheit und Objektivität in der Christenheit und scharte zu diesem Zweck Mönche aus ganz Europa um sich, um seine Lehren weiter zu verbreiten. 1277 landete er dafür im Gefängnis und wurde erst nach etwa 15 Jahren, vermutlich kurz vor seinem Tod, wieder entlassen. Seine Schriften wurden von der Kirche verdammt und verschwanden weitgehend.

Bis mindestens Galileo Galilei war das, was Aristoteles geschrieben hatte in der Wissenschaft Gesetz. Etwas dagegen zu sagen war praktisch so unmöglich wie etwas gegen den Papst zu sagen. Erst Galileo - anfangs ein Bewunderer des antiken Philosophen - stellte mit Bestürzung fest, dass ein Großteil der Aussagen falsch war.

Aristoteles stellte Behauptungen auf, die ihm sinnig erschienen, aber überprüfte sie nicht wissenschaftlich. Das moderne wissenschaftliche Prinzip wurde erst später entwickelt (und hat viel damit zu tun, dass sich Europa von einem rückständigen Gebiet zum Vorreiter der Naturwissenschaften entwickelte).

So sagte Aristoteles, dass schwere Objekte schneller fallen als leichte. Das scheint ja im ersten Moment einleuchtend. Galilei überprüfte das Experiment akribisch (übrigens mit Fallexperimenten vom Schiefen Turm von Pisa) und stellte fest, dass das Gewicht keinen Einfluss hatte. Dann sezierte er geradezu die Aussagen und das ganze wissenschaftliche Gebäude auf das man sich über Jahrhunderte gestützt hatte stürzte in sich zusammen. Als Professor hatte er die Autorität das zu sagen - allerdings war der Umdenkprozess ein längerer.

Heute spricht man in der Physik nur noch von Theorien, nicht mehr von Naturgesetzen. Die Relativitätstheorie ist vielfach experimentell bestätigt worden (und es gibt keine anderen Theorien, die alle entsprechenden Effekte erklären könnte), aber dennoch bleibt es eine Theorie: Wenn sie irgendwann durch eine bessere ersetzt werden kann, dann soll das geschehen. Hier soll es keine Denkverboten mehr geben (übrigens ist eine wissenschaftliche Theorie immer noch mehr gesicherter Fakt, als das was man umgangssprachlich als Fakt oder Beweis sieht). Deswegen hat die Fixierung auf Aristoteles vielleicht mehr Fortschritt verhindert als die Kirche.

Übrigens: Galileo hat wie damals nicht unüblich seine Erkenntnisse als Gespräch zwischen 2 Personen in einem Buch publiziert. Einer ist dabei der Kluge, der andere der "dumme August". Der Dumme stellt Fragen oder postuliert etwas, was der andere dann wunderschön wiederlegen kann.

Das Problem: Er hatte sich zuvor mit dem neuen Papst getroffen. Der hat ganz ähnliche Fragen gestellt wie der "dumme August" und Galilei hatte natürlich ähnlich geantwortet wie im Buch. Der Papst fühlte sich persönlich angegriffen und verhöhnt - und Galileo fand sich plötzlich im Kerker wieder. Es ging hier also weniger um das Weltbild als um persönliche Eitelkeit (war sowieso nicht der netteste Zeitgenosse - dieser Papst lies die Vögel im Vatikan vergiften, weil ihm das Gezwitscher auf die Nerven ging).

Natürlich gibt es viele Dinge die durch den Zusammenbruch des römischen Reiches in Europa unterging, dazu die kirchliche Macht, die zu viel Änderung als machtgefährdend ansah usw. Aber der genannte Punkte ist für mich zentral und wird meist übersehen.