Ehrlich gesagt, komme ich über die erste Seite kaum hinaus. Du erklärst zu Beginn einfach zu viel und dadurch liest sich der Text für mich leider sehr zäh.
Mehr "Show", weniger "tell" würde dem Anfang gut tun. Mehr Handlung, mehr Dialog, mehr Atmosphäre, weniger Erklärungen - auf der zweiten Seite funktioniert das schon etwas besser. Als Leser will man die Figur durch ihre Handlungen und ihr Innenleben erleben, nicht erklärt bekommen wie sie tickt oder wer sie ist.
Warum muss ich direkt zu Beginn wissen wer ihre beste Freundin ist, wenn diese eh noch nicht vorkommt? Oder warum muss ich an diesem Punkt wissen ob sie gut oder schlecht in der Schule ist? Diese Infos kommen ohne jeden Kontext und wirken daher wie willkürlich reingeworfen.
Zudem wechselst du ständig zwischen Präsens und Präteritum und das finde ich wahnsinnig anstrengend zu lesen. Ich würde dir empfehlen dich für eine Variante zu entscheiden und die dann auch konsequent durchzuziehen.
Bei dem Perspektivwechsel war ich dann völlig raus. Das ist in der Ich-Perspektive sowieso schon eine heikle Angelegenheit, wenn man die Perspektive innerhalb eines Kapitels wechselt, aber das war so ungeschickt platziert, dass es einfach nur verwirrend war.
Zumal für mich ehrlich gesagt auch nicht ersichtlich ist, warum du hier überhaupt die Perspektive gewechselt hast, denn im grunde passiert in diesem kleinen Abschnitt nichts, was man unbedingt wissen müsste.
Ich persönlich bin jetzt kein Fan von Ankündigungen mit dem Vorschlaghammer a la "POV von...", weil das plump ist und Anfänger sofort entlarvt, aber lieber plump als verwirrend.
Die Art wie sie ihren großen Bruder anhimmelt, kommt auch stellenweise etwas seltsam rüber. Sie kann ihn ja toll finden, aber mitunter wirkt das eher, als würdest du da was anderes andeuten wollen. Wenn das Absicht ist, okay. Aber wenn nicht, würde ich das nochmal überarbeiten. Den eigenen Bruder abchecken, während er an der Bar steht und "Wow" denken, find ich jedenfalls ein bisschen seltsam für ein rein platonisches Verhältnis.
Dass sie sofort in Panik gerät, als Noah "verschwunden" ist, wirkt auf mich zudem zu abrupt. Das könnte man etwas glaubwürdiger gestalten, indem man die aufkommende Panik mit ein, zwei Sätzen etwas besser aufbaut. Lass sie sich wenigstens erst einmal umsehen, statt direkt drauf los zu rennen.
Du hast generell das Problem, dass du jede Szene nur oberflächlich streifst, statt sie wirklich auszuerzählen. Das Pacing ist durchgehend schnell, als würdest du möglichst schnell einen gewissen Punkt erreichen wollen. Das impliziert jedoch oft, dass man vom Anfang selbst gelangweilt ist - und das ist meist ein Zeichen dafür, dass man am falschen Punkt angefangen hat.
Die Szene mit der Mutter am Strand beispielsweise könnte wirklich was bewegen. Viele Leser können sich damit identifizieren wie es sich anfühlt, wenn ein Elternteil die eigene Verantwortung einem älteren Kind aufdrückt. Du nutzt diesen Moment jedoch nicht, sondern prescht dran vorbei - und das ist schade.
Statt nur zu behaupten, dass sie eingeschnappt ist, wäre es besser zu zeigen, dass sie es ist. Ballt sie die Hände zu Fäusten? Sieht sie ihre Mutter überhaupt direkt an? Knirscht sie mit den Zähnen? Was denkt sie darüber, dass ihre Mutter ihr die Verantwortung zuschiebt und warum sagt sie nichts dazu? Das sind so Momente, wo du ruhig ausführlicher werden kannst, weil das deine Chance ist Leser dazu zu bringen mit deiner Protagonistin zu sympathisieren.
Selbes gilt für die Szene vor dem Spiegel. Die wurde so schnell abgehandelt, obwohl sie so unglaublich viel Potenzial gehabt hätte wirklich emotional zu werden, wenn du mehr in die Tiefe gegangen wärst. Schade!
Fazit: Du hast eine gute Grundlage, auf der du aufbauen kannst, aber du könntest aus deinem Text noch deutlich mehr rausholen.
Liebe Grüße