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Ja, aber sicher doch! Wenn man bedenkt, dass viele autistische Menschen sehr oft bereits früh im Leben negative Erfahrungen in sozialen Situationen machen. Mobbing in der Schule ist da ein Beispiel. Aussagen wie „Autisten sind einfach einfältiger für Depressionen“ sind schlicht und ergreifend falsch. Zwar gibt es bei der Entstehung von psychischen Krankheiten jeglicher Art immer eine genetische Veranlagung - mitunter kann das stark erhöhte Risiko für psychische Störungen bei Autismus auch zum Teil darin begründet sein, dass mit dem Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung, Defizite in den sogenannten exekutiven Funktionen vorhanden sind. Exekutive Funktionen sind neurologische Strukturen in unserem Gehirn - genauer gesagt im präfrontalen Kortex, eine Hirnregion, die im Frontalhirn zu finden ist. Ein Defizit in den exekutiven Funktionen kann sich folgendermaßen zeigen:
- Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen
- reduzierte Willensbildung
- mangelnde Impulskontrolle/Emotionsregulation
- eingeschränkte Flexibilität
- Priorisierungsschwäche
Dazu gehört noch viel mehr, aber hier soll es ja nicht explizit um die exekutiven Funktionen gehen, sondern um die Frage, warum Autisten so häufig psychische Probleme entwickeln.
Die Genetik bzw. autistische Veranlagung/Neurologie könnte dabei durchaus eine Rolle spielen, allerdings spielen andere Faktoren ebenfalls eine erhebliche Rolle. Was meiner Meinung nach, nicht unerwähnt bleiben sollte, ist, Folgendes: Selbst wenn tatsächlich von Autismus Betroffene, allein durch ihre besondere Hirnanatomie „einfach anfälliger“ für Depressionen oder Angststörungen wären, wäre die „logische“ Schlussfolgerung, Autismus zu „heilen“.
Meiner Ansicht nach, ist solch eine Behauptung, zu eindimensional betrachtet. Wesentlich ausschlaggebender, ist die Tatsache, dass wir Autisten uns in einer Welt zurechtfinden müssen, in welcher die allermeisten Menschen neurotypisch sind, sprich „normal“. Dieses Gefühl, irgendwie „anders“ zu sein, nicht dazuzugehören, begleitet viele von uns, mehr oder weniger, unser gesamtes Leben lang. Viele tun sich daher recht schwer, stabile Freundschaften zu anderen Menschen, zu knüpfen. War bei mir auch schon in der Schule so. Besonders der Kontakt zu Gleichaltrigen fiel mir (und vielen anderen im Spektrum) immer nicht leicht. Autisten unterscheiden sich halt signifikant von der Normbevölkerung. Daher bekommen sie bereits von klein auf gesagt, dass sie nicht gut wären, so wie sie seien. Die Folge: Wer das Gefühl hat, dass das Umfeld sich scheinbar nicht für seinen inneren Zustand interessiere, wird, mit einer stark erhöhten Wahrscheinlichkeit, depressiv. Es wäre also erstaunlich, wenn autistische Menschen unter solchen Bedingungen, keine psychischen Probleme bekommen würden. Menschen -egal, ob neurotypisch oder neurodivergent - sind soziale Wesen. Soziale Kontakte sind maßgeblich dafür verantwortlich, wie wir uns fühlen. Tatsächlich scheinen Menschen, einsam leben, viel häufiger an psychischen Störungen, wie Depressionen oder Angststörungen, zu erkranken - die beiden genannten Störungsbilder sind übrigens jene, welche unter Autisten/Autistinnen besonders häufig vorkommen. Prinzipiell kann aber jede psychische Störung als Komorbidität (Begleitstörung) vorkommen. Ebenso Persönlichkeitsstörungen - häufig: paranoid, schizoid, Borderline, ängstlich-vermeidend, abhängig, kombiniert- , Sozialphobie sind recht häufige Co-Diagnosen.
Leider werden gerade Depressionen bei autistischen Menschen häufig verharmlost - nach dem Motto „Wenn ich solch eine Krankheit hätte, die sogar dafür sorgen kann, dass ich keine Arbeit finde oder nicht selbstständig leben kann, dann wäre ich auch depressiv. Ist doch kein Wunder.“ Mal abgesehen davon, dass es sich im Falle von Autismus NICHT!!! um eine Krankheit handelt, sondern eine neurologische Entwicklungsstörung -nicht wenige behaupten nunmal, Autismus sei eine Krankheit. Aber gut, darum soll es hier nunmal nicht gehen - nur so am Rande.
Fakt ist, mit der richtigen Unterstützung könnte man doch so viel daran ändern - Leider ist es ja gerade im Erwachsenenalter eher die Ausnahme, als die Regel, genügend passende Unterstützungsmöglichkeiten zu finden. Da herrscht bis heute noch ein starker Mangel. Viele Psychologen/Psychotherapeuten/Psychiater kennen sich nicht wirklich mit Autismus aus. In sehr vielen Fällen verfügen sie über ein sehr oberflächliches Wissen über das Thema, was hauptsächlich damit zu begründen ist, dass Autismus KEIN Teilgebiet eines Psychologiestudiums darstellt.