Also, was du außer im Fall der reinen Schreibvarianten σ / ς beobachtest, ist, dass EIN Laut einer Sprache (in diesem Fall Griechisch) in seiner Orthographie mit VERSCHIEDENEN Buchstaben wiedergegeben wird.
Das gilt für sehr viele Sprachen und hat "historische" Gründe. "Historisch" bedeutet meist, dass früher tatsächlich verschiedene Laute gesprochen wurden, heute nicht mehr, dass die Schreibweise aber nicht angepasst wurde und "so tut, als würde man noch so aussprechen wie vor 100, 300, 500, 1000, 2000, ..." Jahren.
Hier ein deutsches Beispiel:
Die erste Silbe der folgenden Wörter wird haargenau gleich ausgesprochen:
1) heute
2) Räuber
Der o-Vokal der folgenden Wörter wird ebenfalls genau gleich ausgesprochen:
1) Boot
2) rot
3) droht
Jetzt zum Griechischen:
Es gab vor über 2000 Jahren deutlich mehr Vokale im Griechischen. Sie wurden mit diesen Buchstaben wiedergegeben:
α, ε, η, ι, ο, υ, ω
Mehrere der damaligen Vokale veränderten sich im Laufe der Zeit und fielen dadurch mit anderen Vokalen zusammen. ι war vor über 2000 Jahren ein i-Laut und η ein e-Laut. η veränderte sich aber und wurde nach und nach ebenfalls ein "i".
Solche Prozesse haben dazu geführt, dass es heute im Griechischen 5 Vokale gibt aber 7 Vokalbuchstaben und dazu auch noch rein schriftliche "Diphthonge", also SCHRIFTLICHE "Vokalbuchstabenverbindungen", die dann doch als ein normaler Vokal ausgesprochen werden (d.h. mit einem der 5 existierenden).
LESEN kann man Neugriechisch mit extremer Verlässlichkeit, d.h. beim LESEN gibt es nur sehr sehr wenige Aussprachezweifelsfälle.
Beim SCHREIBEN ist es ganz anders. Ähnlich wie man bei Deutsch "läuten" mit "ä" schreibt, weil es mit "laut" zusammenhängt, "rund" mit "d" am Schluss (statt "runt"), "da der Plural 'runde'" ist (so als einfache "Schulregel"), so gibt es auch im Neugriechischen eine ganze Reihe "Gründe", weswegen der ein oder andere Buchstabe verwendet wird.
Am Anfang erscheint das sehr schwierig, aber nach und nach kann man all die Zusammenhänge erblicken und dann doch eine hohe Fähigkeit entwickeln, orthographisch Bescheid zu wissen. Wenn man Deutsch kann, hat man noch den Trick, zu beobachten, wie altgriechische Wörter als deutsche Fremdwörter wiedergegeben werden. "Psychologie" wird z.B. mit "y" geschrieben. Auf Griechisch sagt man ja "psicholojía", spricht und hört in der ersten Silbe also ein "i". Die deutsche Schreibweise (die sich immer nach dem ALTgriechischen richtet) deutet aber darauf hin, dass in der griechischen Schreibweise (auch heute noch) ein "y", also "υ" verwendet wird: ψυχολογία. Es gibt Abertausende solcher "Tricks" bzw. Wortbeziehungen.