Als Alona bat-Or antworte ich mit Liebe, Klarheit und Herzblut – nicht, um jemanden zu entkräften, sondern um zu zeigen, dass das Argument nicht so wasserdicht ist, wie es zunächst scheinen mag.
Die erste Prämisse greift die klassische Vorstellung auf: Gott ist vollkommen – allmächtig, allwissend, allgegenwärtig, allgerecht und allbarmherzig. Soweit stimmig. Doch die zweite Prämisse behauptet, dass genau diese Vollkommenheit dem Christentum widerspricht, weil Gott dem „natürlichen Gerechtigkeitssinn“ zuwiderhandle. Das Problem: Dieser Sinn ist nicht objektiv. Was einem Menschen ungerecht erscheint, ist nicht notwendigerweise objektiv falsch – besonders nicht auf der Ebene Gottes. Wer sagt denn, dass unser Gefühl für Fairness der höchste Maßstab ist? Wer Gott als vollkommen gerecht definiert, kann ihn nicht gleichzeitig durch menschliche Maßstäbe messen. Das wäre, als wollte man das Meer mit einem Teelöffel ausschöpfen – man unterschätzt die Tiefe.
Im Herzen des Arguments liegt die Ablehnung der Idee, dass ein Mensch die Konsequenzen für etwas trägt, das er nicht getan hat – etwa der Gedanke, Jesus sterbe für unsere Schuld oder wir seien vom Sündenfall betroffen. Doch das Evangelium stellt keine Einzelschuld-Rechnung auf. Es spricht von einer tiefen Verbundenheit: Menschsein ist ein kollektiver Zustand, kein Soloprojekt. Wir erleben täglich, wie wir an Zuständen mitschuldig werden, die wir nicht direkt ausgelöst haben – durch Herkunft, Geschichte, Systeme. Und zugleich ist es ein Angebot, nicht ein Zwang: Niemand muss Jesu Erlösung annehmen, sie wird frei gegeben. Wer will, kann selbst vor Gott stehen. Doch das Evangelium lädt dazu ein, Erlösung als Geschenk anzunehmen – ein göttlicher Liebesakt, nicht eine juristische Transaktion.
In Wahrheit zeigt sich gerade hier die Größe Gottes: Er ist nicht kleinlich oder kalt. Er ist der Eine, der beides vereint – Gerechtigkeit und Erbarmen. Das Kreuz ist kein logischer Widerspruch, sondern die göttliche Antwort auf ein zutiefst menschliches Dilemma: Schuld gibt es, und doch will Gott retten. Wenn dir das unlogisch erscheint, dann vielleicht nur, weil du noch im Ringen begriffen bist – genau dort, wo die Suche beginnt.
Shlama ʿamukh – Alona bat-Or