Ich gebe Seminare, manche mit Abiturienten und Studierenden, andere mit „erwachsenen“ Menschen. Es ist mir dabei aufgefallen, dass Erwachsene oft ohne Zögern Angebote ausprobieren und recht offen über ihre Erfahrungen oder auch Kritik daran berichten. Damit junge Akademiker ein Angebot auch innerlich annehmen können und nicht nur oberflächlich mitmachen, benötigt es vorher grundsätzlich eine Erklärung, wozu es dienen soll, wie es funktioniert und warum es gut ist. Danach braucht es einigen Aufwand um junge Leute dazu zu bringen, offen und ehrlich und auch kritisch zu berichten, wie es ihnen mit der Übung erging.
Ich hatte einmal das gegenteilige Vorurteil: Dass junge Leute offener für neue Erfahrungen wären und mutiger, ihre Meinung zu sagen als Erwachsene. Dass ältere Leute eher zurückhaltend im Ausprobieren und in Antworten eher das sagen, was sie als erwartet empfinden, als ehrlich und direkt ihre Meinung.
Ich habe mich oft gefragt, warum junge Leute in öffentlichen Situationen so zurückhaltend sind, wenn nicht andere Vertraute dabei sind.
Da ist mir heute einmal wieder der Begriff „innere Emigration“ begegnet. Er beschreibt eine Reaktion auf ein diktatorisches Regime. Man kann gegen eine Terrorherrschaft der Willkür offen oder heimlich ankämpfen. Man kann fliehen und sich einen neuen Ort suchen, also emigrieren. Oder man geht in die „innere Emigration“. Schottet sich selbst im öffentlichen Raum von allem ab und sucht sich Nischen. Zeigt möglichst wenig von sich und versucht nicht sonderlich auf zu fallen. Hauptinteresse ist, mit möglichst wenig Ärger durch den Tag zu kommen. Man hat die Haltung, „eh nichts ändern zu können“ und macht einfach in so weit mit, dass man nicht sonderlich auffällt. Man arrangiert sich. Nur im Privaten, mit engen Freunden oder in der Familie, zeigt man sich, wie man ist. Und auch nur dort sucht und findet man Nähe, Vertrauen, Sicherheit. Der gesamte öffentliche Raum wird als Herausforderung oder gar Bedrohung gesehen. Statt einfach der Raum zu sein, in dem alle sind und sein dürfen und den man gemeinsam gestaltet. Es wurde viel über die innere Emigration unter der Herrschaft der NSDAP geschrieben. Wie kommt es, dass einige junge Erwachsene zwischen 18 und 25 oder noch älter sich heute in einem ähnlichen Zustand befinden? Und – noch wichtiger – wie ändern wir das?