Am wenigstens Wahrheit findet sich in der Mathematik. Es heißt zwar, diese oder jene Aussage sei wahr oder unwahr, aber das gilt immer nur unter den Voraussetzungen der gültigen Axiome. 1+1=2 ist nur deshalb wahr, weil das so definiert ist. Definiere ich 1+1=3 dann ist diese Aussage wahr. In der Mathematik findet sich also gar keine Wahrheit.
Dekonstruieren wir mal den Begriff. Fangen wir mit Wahrheit an. Ich verweise mal auf berkerheims hervorragenden Beitrag und fasse diesen (hoffentlich wahrheitsgetreu) zusammen: Wahrheit meint die tatsächlichen Umstände einer Situation, die Wahrhaftigkeit unverstellt zu leben, die Bewertung von Hypothesen zu Dingen in der Welt und zuletzt die Wahrheit einer Glaubensvorstellung. Zu Glaubensvorstellungen muss ich glaube ich nicht viel sagen. Das muss jeder selbst wissen, was er zu glauben im Stande ist. Aber eine objektive Wahrheit gibt es bei den Religionen nicht, außer Du bist ein fanatischer Anhänger einer solchen.
Am spannendsten sind ist die Wahrheit in unserer Interpretation der Realität. Das findet sich in berkers Punkt 1 und 3.
Wenn wir uns nämlich jetzt der Objektivität zuwenden, stellt sich die Frage, wie wir denn an Informationen gelangen. Z.B nehmen unsere Augen von Dingen reflektierte Sonnenstrahlung auf und die Zellen der Retina senden elektrische Impulse an das Gehirn. Dort wird dann interpretiert. Wir haben aber keinen direkten Kontakt zu den Dingen, sondern unsere Sinne produzieren Wahrnehmungen in dem sie elektrische Impulse senden. In unserem Gehirn bauen wir dann eine Konstruktion dessen zusammen, was wir für eine legitime Interpretation der Wirklichkeit halten. Aber: niemand sagt uns, dass unsere Interpretation wirklich richtig ist. Niemand kann uns das sagen, da auch das gesagte wieder durch die Ohren aufgenommen würde und im Gehirn elektrische Impulse interpretiert würden. Abgesehen davon, dass unsere komplette Umgebung konstruiert ist, wirft dies ein Licht darauf, dass alle Erkenntnis zwangsläufig subjektiv ist, egal welcher Art die Erkenntnis ist. Ohne interpretierendes Individuum keine Erkenntnis.
Jetzt könnte man ja sagen, wir erklären uns gegenseitig die Wirklichkeit, das ist auch nicht abwegig. Aber nur, weil eine bestimmte Gruppe in einem Punkt eine Übereinstimmung der Interpretation gefunden hat, heißt das noch nicht, dass diese Interpretation auch wahr ist. Das interessante ist, selbst wenn diese Vorstellung der objektiven Wahrheit, also der Realität entspräche, könnten wir das niemals zweifelsfrei wissen. Ich weiß, der Konstruktivismus ist gewöhnungsbedürftig.
Zurück zu unseren schönen Beispielen: Die Schwerkraft ist doch ein Naturgesetz, oder? Stimmt nicht, sie ist kein Gesetz. Sie gilt nur so lange, wie der Apfel immer nach unten fällt. Fällt er nur ein einziges Mal nach oben, ist das "Gesetz" dahin. Außerdem heißt es Erdbeschleunigung. Wenden wir uns den kleinen Dingen zu. Das schönste Beispiel ist das von Optimist und Pessimist mit dem Wasserglas. Hier sehen wir, wie die Beschreibung der Wirklichkeit Probleme bereitet. Man könnte allerdings sagen, das Glas sei zu 50% gefüllt. Angenommen wir sind dazu in der Lage Aussagen über unsere Umwelt zu treffen, könnte man meinen, dass das stimmt. Aber wir nehmen erstens nur das wahr, was wir mit unseren Sinnen erfassen können. zweitens ist das Glas in den restlichen Teil mit Luft gefüllt, es ist also ganz voll, nur nicht mit Wasser, und es weiß niemand ob nicht vielleicht doch halbvoll oder halbleer die "wahre" Beschreibung ist.
Wahrheit hängt also auch noch von unserer Beschreibung der Wirklichkeit ab, lassen wir es mal dahingestellt, ob unsere Wirklichkeitskonstruktion auch der Realität entspricht. Aber so wie wir beschreiben, so erfahren wir Dinge und ihre Wahrheit. Jetzt mag es aber noch das Problem geben, dass wir gar nicht die Worte haben, um ein Ereignis zu beschreiben. Dann produziert unsere Sprache Probleme und Widersprüche in der Konstruktion der Wirklichkeit. Zur vertiefenden Lektüre hierfür empfehle ich Ludwig Wittgensteins Philosophische Grammatik.
So, nun zum Schluss des ganzen Sermons meine Interpretation der Wirklichkeit. Ich bin der festen Überzeugung, dass außer unseren Gedanken und Gefühlen (interessanter Weise) nichts für uns erkennbare, objektive Wahrheit enthält. Alles ist eine Frage der Interpretation und der Konstruktion. Nur das, was in uns selbst ist, das mag tatsächlich einwandfrei als wahr bezeichnet werden, allerdings können diese Dinge niemals objektiv sein. Es mag tatsächlich objetive Wahrheiten geben, aber der Mensch ist nicht dazu in der Lage diese zu erkennen, und, wenn er sie erkennt, zweifelsfrei zu wissen, dass es sich um eine objektive Wahrheit handelt.