Ich frage mich schon länger als Anime Fan, weshalb Oregairu so viel Anerkennung bekommt. Meiner Meinung nach, wird der Anime unnötig „geglazed“.
Grundsätzlich würde ich zwar zustimmen, dass sicherlich gewisse Leute diesen Anime weit überbewerten - aber deine Einschätzung verkennt aus meiner Sicht die Natur des Gesamtwerkes völlig unabhängig davon, wie gut es seine Konzepte nun umsetzt.
Hachiman entwickelt einen Opferkomplex, stellt sich absichtlich als Sündenbock dar, und der Anime stellt dieses ungesunde Verhalten als edel dar, statt es kritisch zu beleuchten. (,,Ach die Pubertät, so geht es vielen, dass ist normal.“)
Hikigaya hat nie einen Opferkomplex gehabt oder entwickelt. Ganz im Gegenteil ist Hikigaya gar davon besessen, dass er kein Opfer ist - seine schlechte soziale Situation versucht er stoisch zu rationalisieren und Verantwortung versucht er zu sich zu ziehen statt auf andere abzuwälzen; das ist quasi das genaue Gegenteil eines Opferkomplexes. Sich als Sündenbock anzubieten und einen Opferkomplex zu haben, sind völlig verschiedene Sachen.
Ich wüsste auch nicht, inwiefern dies als edel dargestellt wird. Im Gegensatz zum Light Novel ist die Grundstimmung tatsächlich etwas lockerer, da Hikigaya deutlich selbstsicherer agiert, aber die grundsätzliche Tatsache, dass nicht einmal er wirklich an seinen vorgehaltenen edlen Stoizismus und Gesellschaftskritik glaubt, wird durchaus wahrnehmbar gezeigt.
Ach die Pubertät, so geht es vielen, dass ist normal:
Was genau ist denn diese Normalität? Die Charaktere und deren Ansichten zum Leben (/dem Teilbereich der Pubertät) sind in fast allen vom Anime behandelten Punkten konträr und keine dieser Ansichten wird jemals als umfassende Wahrheit dargestellt.
Der Erzähler des Animes ist nahezu ausschließlich Hikigaya selbst. Vom Zuschauer wird klar erwartet zu erkennen, dass es sich um einen unzuverlässigen Erzähler handelt ... folglich ist deine Erkenntnis, dass die reine Darstellung (Framing bzw. Inszenierung als normal) nicht der eigentlichen Kernaussage des Werkes entspricht, eine an den Zuschauer gestellte Grundanforderung.
Sein Verhalten wird toleriert von anderen denen es genau so geht.
'Genauso geht'? Ich wüsste nicht, welcher Charakter Hikigayas Verhalten ähnelt.
Aber sowas ist doch nichts positives und worauf man stolz sein sollte.
Wir sind offensichtlicher Weise uneinig darüber, wo Hikigayas Schwächen liegen - aber es wäre mir neu, dass diese als positiv oder stolz dargestellt werden. Hikigaya selbst weicht doch ständig aus, weil er sich implizit eingesteht, dass er seinen Ansprüchen nicht gerecht wird - nicht einmal die voreingenommene Erzählperspektive versucht dies zu behaupten.
Seine Beziehung zu Yukino wirkt nicht natürlich, da sie auf emotionaler Distanz, Schweigen und Ausweichverhalten basiert, nicht auf wirklicher Kommunikation oder Verständnis.
Die zweifelnde Haltung gegenüber dieser Beziehung ist letztlich nicht falsch oder richtig - Hikigaya, Hiratsuka und ggf. Isshiki(?) zweifeln allesamt in gewisser Hinsicht an der Natürlichkeit der Beziehung. Der letzte Dialog zwischen Hikigaya und Hiratsuka ist letztlich nur die in schwammigen Worten getarnte Einsicht (Hikigayas etablierte Art seine Selbstzweifel vor sich herzuschieben), dass beide nicht so recht wissen, ob das Ziel einer wirklich 'unverfälschten' Beziehung wirklich erreicht ist. Es ist für den Anime recht üblich, dem Zuschauer die Interpretation zu überlassen, während er selber nur das Angebot für potentielle (teils Extrem)-Ansichten durch die verschiedenen Charaktere liefert. Im Endeffekt ist es ja Kernaussage des Animes, dass solche sozialen Dynamiken viel zu kompliziert sind, um sie in einfaches Ja und Nein zu verpacken.
Außerdem sind beide Charaktere durchgängig daran bemüht sich aus wirklicher Verständigung mit anderen Herauszuwinden, nicht nur Gegenüber. Die bloße Tatsache, dass sie miteinander weniger (verbal) kommunizieren, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Kommunikation dafür deutlich ehrlicher/direkter (von Seiten Yukinoshitas) und interessierter/verständnisvoller (von Seiten Hikigayas) ist als gegenüber den meisten anderen Charakteren. Yukinoshita öffnet sich quasi ausnahmslos nur dann gegenüber ihrer Familie/Yuigahama, wenn Hikigaya versucht ihre Motivationen konfrontativ zu ergründen. Hikigaya hingegen öffnet sich zwar allen Personen gleichermaßen (mäßig viel), aber er erkannte bereits 2 Staffeln früher als bei Yuigihama (welche er für Ewigkeiten für rein instinkt-gesteuert und damit ausreichend verstanden hält), an welchen Stellen er sein Verständnis von Yukinoshitas Charakter füllen muss.
Das Ende widerspricht dem eigenen Anspruch, keine typische Schulromanze zu sein, indem es auf ein klassisches, vorhersehbares Happy End hinausläuft.
Eigentlich ist der Teil des Titels mit der 'als falsch erwarteten komischen Teeny-Romanze' zumeist nur eine Spielerei des Light Novels, welche im Anime größtenteils ignoriert wird. So ist die die Tatsache, dass Hikigaya und Totsuka sowie Yuigahama und Yukinoshita zunächst enge Beziehungen aufbauen anstatt die Mädchen mit den Jungen, eine dieser witzhaften Anspielungen an den Titel, die im Anime relativ unterschwellig verläuft (ebenso das Lehrer-Schüler-Verhältnis).
Außerdem ist das Werk ist ja nicht einmal vordergründig eine Romanze sondern Behandlung sozialer Interaktion und Weltansichten im Allgemeinen ... womit es eigentlich bereits keine typische Comedyromanze ist. Das ist gar die Pointe eine der Anspielungen auf den Titel, in welcher Hikigaya anmerkt, dass die Teeny-Romanze insofern ein Irrtum war, dass sich die eigentliche Romanze erst nach Ende seiner Teeny-Zeit (und der tatsächlich erzählten Geschichte) abspielt.
Und ein klassisches, vorhersehbares Happy End? Du wirktest eigentlich recht entfremdet gegenüber dem Gedanken, dass Hikigaya und Yukinoshita zusammenkommen ... diese Subversion einer stereotypischen und freudigen Liebe ist Absicht.
Yuis Gefühle werden nicht ernsthaft behandelt, sie wird emotional ignoriert und am Ende ohne Auflösung zurückgelassen.
Weil der Anime nahezu ausschließlich aus Hikigayas Perspektive erzählt wird (die kurzen und seltenen Übergaben an Yuigahama dienen nur dazu, dem Zuschauer Wissen zu vermitteln, welches aus Hikigayas Perspektive nicht [gesichert] existiert) - und für Hikigaya ist Yuigahama nun mal weitestgehend zunächst uninteressant. Bis kurz vor Ende Staffel 2 ist Yuigahama für ihn nur ein von sozialen Instinkten getriebenes Wesen, sodass er sich damit zufrieden gibt ihre soziale Rolle in seinem Weltbild der normalen Gesellschaft zu beschreiben und ab Staffel 3 weigert er sich dazu über ihre Motivationen nachzudenken, da ihr Streben gegen "Unverfälschtheit" ihn schmerzlich darauf aufmerksam macht, dass er seinem eigenen Anspruch nach Unverfälschtheit nicht gerecht wird.
Zudem gibt es in diesem Anime quasi keine wirklichen Auflösungen - die Kernaussage des Animes ist es immerhin, dass abschließende soziale Wirklichkeiten nicht greifbar sind und viel mehr ein Ideal. Du hast ja selbst erkannt, dass auch die Beziehung zwischen Yukinoshita und Hikigaya teils aus nicht aufgelösten Uneinigkeiten (~Kompromissen) beruht.
Hiratsuka-sensei bleibt eine passive Figur, obwohl sie Hachimans Probleme erkennt, greift sie nie wirklich ein oder hilft aktiv.
Eigentlich ist sie ein schon fast unangenehmer künstlicher Katalysator für den Plot, war mein Eindruck. Nur auf Grund ihres Erkennen der charakterlichen Mängel von Hikigaya und Yukinoshita gibt es letztlich überhaupt irgendeinen Fortschritt. Die Tatsache, dass sie Hikigaya erst zwingt und danach hilft Yukinoshita zu konfrontieren, ist doch ein aktiver Eingriff. Ohne ihr Zutun wäre Hikigaya nicht einmal aufgefallen, dass Yukinoshita seine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der Gesellschaft teilt, und somit wären auch die Konfrontation und teilhafte Synthese beider Weltbilder nie geschehen.
Die Serie spricht soziale Masken und Unehrlichkeit an, aber keine der Hauptfiguren legt diese Masken wirklich ab oder entwickelt sich konsequent weiter.
Keine Maske wird abgelegt, weil die Idee, dass dies möglich wäre, Hikigayas Extremposition ist. Der Anime kritisiert gerade den Gedanken, dass solche einfachen Schwarz-Weiß-Interpretationen komplexer sozialer Zusammenhänge auf die Realität anwendbar sind.
Was eine 'konsequente' Weiterentwicklung sein soll, ist mir nicht klar, aber Hikigaya hinterfragt seine Extremhaltung durchaus und weicht von dieser im Laufe des Animes ab. Er ist auch nicht die einzige Person, die so etwas tut. Der Gedanke, dass Menschen ihr Weltbild radikal verändern anstatt inkrementell und stetig anzupassen, ist auch etwas, das der Anime kritisiert und als Kernthema führt ... daher mag es diese konsequente Weiterentwicklung, wie du sie dir wünschst, schlicht nicht geben.
Tiefe wird oft nur vorgetäuscht, etwa durch bedeutungsschwere Monologe oder angedeutete Konflikte, die nie vollständig aufgelöst werden.
Der Anime behauptet eigentlich, dass soziale Beziehungen viel zu tief sind, um sie vollkommen zu ergründen ("vollständig aufzulösen"). Anstatt in die Tiefe zu gehen, geht er folglich auch in die Breite und zeigt verschiedene Ansichten auf die soziale Natur des Menschen. Daher die vielen Andeutungen und bedeutungsschweren Monologe, welche die verschiedenen Philosophien in den Raum stellen. Da ist schon deswegen kein kohärenter Tiefgang möglich, weil sich die Aussagen dieser Monologe teils gegenseitig widersprechen und den Zuschauer dazu einladen sollen, seine eigene Position zu überdenken und Stellung zu beziehen.