Der Sinn des Lebens besteht in einem Nachdenken des Menschen über seine Schuld.
Meiner Anschauung liegt zunächst einmal ein theistisches Weltbild zugrunde und damit verbunden eine radikale Ablehnung des Atheismus. Denn letzterer führt zu der widersinnigen Annahme, dass die Natur mit all ihrer geschaffenen Lebewesen, der Vielfalt der Tiere und Pflanzen, des komplizierten Aufbaus ihre Organismen bzw. deren einzigartigen Funktionieren schlicht und einfach aus dem Nichts entstanden sei. (Wer hat übrigens allen Wesen auf der Erde den Lebenshauch eingegeben, damit sie sich bewegen, essen und trinken, Freude und Leid zeigen?)
Erst recht zeigt uns die göttliche Kunst, dass es eine über uns stehende kraftvolle und anbetungswürdige Instanz gibt. Ein gebrechlicher Mensch wie zum Beispiel Johann Sebastian Bach - wie konnte er mit seinen Werken derart bis in die göttliche Sphäre vordringen? Ein hinfälliger, kraftloser Mensch wäre dazu niemals in der Lage. Es ist nur so zu erklären, dass Gott oder einer seiner Erzengel ihn dabei assistiert oder auch mit der nötigen Inspirationskraft ausgestattet haben. („Göttlicher Bach...: Trotz aller Begeisterung für Ihre Musik komme ich mir als Schreiberling oft unbeholfen und hilflos vor, wenn es darum geht, all jene Schönheiten, Besonderheiten und komponierten Weltwunder (in der ‘Matthäuspassion‘) angemessen zu würdigen.“ (Michael Maul in „J.S.Bach“)
Wenn aber von vielen Christen - jetzt auch wieder in einem Beitrag - immer wieder gesagt wird, dass Gott den Menschen liebe, so würde ich dagegen sagen: das tut Gott nicht, im Gegenteil: Er mag die Menschen überhaupt nicht. Dafür gibt es die folgenden Belege, um nicht zu sagen: Beweise:
Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich die Menschen auf dem Planeten Erde in einer vollkommen einsamen und gefährdeten Lage befinden. Allein schon die Tatsache, dass man den Menschen während seines Daseins auf der Erde irgendwann die physische Vernichtung zumutet, wobei keiner weiß, wann das geschieht, liegt bereits ein deutlicher Hinweis, dass Gott, sein Erschaffer, es nicht besonders gut mit ihm meint. Wir alle starren mit großer Angst diesem Vernichtungsprozess entgegen, zumal keiner weiß, was nach dem Tode auf uns zukommt. Für diese Form des unerwarteten gewaltsamen, uns oft Schmerzen bereitenden „Abtretens“ von der Welt spricht eigentlich doch ein ziemlich rücksichtsloser Zug Gottes. Hinzu kommt, dass er uns in dieses Leben, ohne uns zu fragen, einfach hineingestoßen hat, was auch nicht für die Güte Gottes spricht. Und was bedeutet dieses Leben auf der Erde? Dass wir mitten auf einem Planeten in der schauerlichen Einsamkeit des Weltalls unser Dasein verbringen müssen! Heute wissen wir genau, was das heißt: Die Raumsonde zum Saturn Cassini hat es uns in aller Deutlichkeit durch eine Fotoaufnahme gezeigt: in der Ferne erkennen wir im riesenhaften schwarzen Kosmos einen winzigen Punkt, der die Erde darstellt. Außerdem werden wir Menschen in unserem Dasein mit einer knüppelharten Existenz konfrontiert, auf die wir wohl lieber gerne verzichtet hätten (dass viele von einem „erfüllten Leben“ reden oder in Nachrufen dieses „Erfüllt-sein“ zugestanden bekommen, ist doch belanglos, denn der Sausewind der Zeit lässt solche Selbstbelobigungen oder auch Belobigungen sinnlos erscheinen). Zwar erscheint vielen, wenn nicht den meisten zunächst einmal das Leben auf der Erde, trotz der sie umgebenden Wüstenei des gestirnten Himmels, in einem angenehmen, hoffnungsvollen Licht, doch da täuscht man sich: Das Licht erlöscht nach und nach oder auch ziemlich rasch, und statt seiner erscheinen uns nur noch Leid, Qual und Jammer als das eigentliche Credo unseres Lebens.
Mit dieser Deutung des irdischen Lebens stimmt man vollkommen mit Schopenhauers Analyse des menschlichen Schicksals überein, der (in seiner ‘Welt als Wille und Vorstellung‘) folgendes schrieb: ‚Will man wissen, was die Menschen, moralisch betrachtet, im ganzen und allgemeinen wert sind, so betrachte man ihr Schicksal, im ganzen und allgemeinen. Dieses ist Mangel, Elend, Jammer, Qual und Tod. Die ewige Gerechtigkeit waltet: wären wir nicht, im Ganzen genommen, nichtswürdig, so würde ihr Schicksal, im Ganzen genommen, nicht so traurig sein. In diesem Sinne können wir sagen: die Welt selbst ist das Weltgericht.‘ Und dieses ständig tagende Weltgericht zeugt auch nicht von Güte oder mildtätiger Zuwendung gegenüber dem Menschen durch die höhere Macht Gottes.
Wenn man fragt, wie man sich dieses, man kann doch wohl sagen: negative Verhalten Gottes erklären kann, so lautet die Antwort: Letztlich können wir uns dieses Verhalten nicht erklären. Man kann sich allenfalls und mutmaßlich zu einer bestimmten Erklärung durchringen. Da die höhere Gewalt (also Gott) dermaßen mit uns Menschen in der genannten Weise gefühllos, ja unbarmherzig umgeht, so muss man in der Tat fragen, warum wir Menschen Gottes Sympathien so sehr verscherzt haben. Es gibt m.E. nur diese eine Erklärung: alle Menschen, die ständig durch die Geburt auf der Erde herunterkommen, sind aus irgendeinem Grunde schuldig, allein schon durch ihr Dasein hier auf der Welt. Und diese Schuld (Schopenhauer spricht von „Minderwertigkeit“) hat offenbar die höhere Gewalt dermaßen in Zorn versetzt, dass sie uns beinah in allen Belangen unseres Hierseins über unser Schicksal im Unklaren lässt, ja dass es ihr völlig egal ist, ob wir hier während unseres Daseins ständig und verzweifelt die Frage stellen, warum wir auf der Erde weilen, warum wir auf diesem einsamen, in der Wüstenei des Weltalls unsere Tage verbringen müssen, warum wir und vor allem wann wir sterben müssen.
Wir sollten deshalb alles tun, damit wir das, worüber Gott ständig äußerst erzürnt ist, aus der Welt schaffen, und zwar unsere Schuld. In diesem Nachforschen nach einer vermutlich schweren Verfehlung (oder Verfehlungen) in unserem Leben liegt m. E. der Sinn des Lebens; wir sollten nicht nachlassen, nach dieser Schuld zu suchen. Sie liegt für Gott, das heißt für seine Allwissenheit, zu der auch seine Vorausschau gehört, von vornherein ganz klar zu tage. Haben wir diese Schuld gegenüber Gott bereut, dann könnte sich das Verhalten Gottes uns Menschen gegenüber - uns individuellen Menschen - ändern.