Ich habe eine ähnliche Frage schon einmal hier gestellt. Aber jetzt ist etwas Zeit vergangen und vieles ist seither geschehen. Ich bin 23 Jahre alt und eine in Deutschland aufgewachsene Russin. Ich habe mich immer sehr mit Deutschland identifiziert.
Als der Krieg los ging in der Ukraine, hatte ich spontan den Reflex mich Russland zuzuwenden. Einfach weil alle so schockiert waren. Russische Medien wurden hier verboten. Die Russen waren die Aggressoren, die Mörder, die Kriegstreiber. Mein Cousin kämpft gerade in der Ukraine. Ich wollte nicht glauben, dass er vielleicht bei sowas mitmacht.
Im russischen Fernsehen sagte man damals schon, dass Europa und der Westen dekadent geworden ist dass man dort Nazis in der Ukraine unterstützt, die uns von der Ukraine entzweien wollen. Der Westen, so sagte man korrumpiere die Ukrainer und Russland werde ihnen helfen wieder unbeeinflusst ihren eigenen Weg zu gehen.
Auch ich habe mitbekommen, dass die Menschen anders auf mich reagieren, wenn sie wissen dass ich Russin bin. Plötzlich war ich nicht mehr die Sasha, plötzlich war ich hinter vorgehaltener Hand eine Putinschlampe oder was anderes.
Also sagte ich mir, wenn ich sowieso so gesehen werde, dann kann ich auch zu meinem Herkunftsland stehen. Ich hab es jedem ins Gesicht geschleudert. Sehr her ich bin Russin und ich sehe nicht eine Sekunde ein mich dafür zu schämen.
Doch inzwischen sind die Bilder und Berichte einfach so zahlreich, dass ich sie nicht mehr wegdiskutieren kann. Ich arbeite in einer psychiatrischen Klinik. Weil ich russisch spreche setzt man mich natürlich häufig ein wenn Ukrainer zu uns kommen und Hilfe suchen.
Auch deren Berichte kann ich nicht ignorieren. Sie wirken absolut authentisch. Ich kann nicht mehr dieses Bild aufrecht erhalten, dass unsere Soldaten in der Ukraine etwas schlimmes tun um ein höheres gutes Ziel zu erreichen. Ich habe auch hier viel geschrieben und pro russisch argumentiert. Aber letztlich bin ich an einem Punkt wo ich das kaum noch kann.
Selbst wenn alle Punkte die Putin angegeben hat wahr sind, so rechtfertigt das nicht das Leid und das Grauen, das unsere Soldaten gerade über die Ukraine bringen.
Jetzt sitze ich gerade hier im Urlaub, in der Sonne am Strand, draußen machen die Leute vom Hotel den Pool sauber und ich sehe das Mittelmeer in der Ferne.
Wie kann ich dieses Gefühl der Zerrissenheit loswerden. Ich will dass dieser Horror endet, aber ich will auch nicht akzeptieren das mein Cousein diesen Horror gerade mit verursacht und ich will auch ihn nicht "verraten".
Hat jemand vielleicht einen Gedanken der in dieser Situation hilfreich ist?