Wieso ist NH4+ eine "nicht-titrierbare" Säure?

4 Antworten

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Die zwei Bilder zeigen insgesamt vier Titrationen: Je ein H₂PO₄⁻/HPO₄²⁻-Puffer und ein NH₄⁺/NH₃-Puffer (jede Spezies 0.1 mol/l) werden mit 0.1 mol/l HCl und 0.1 mol/l NaOH titriert. Negative Volumina entsprechen Säure­verbrauch, positive Basenverbrauch; der Äqui­valenz­punkt liegt bei 20 ml bzw. Vielfachen davon.

Beim Phosphatpuffer sieht man, daß bei Verbrauch ±20 ml ein respek­tab­ler pH-Sprung von mehr als zwei Ein­heiten auftritt. Das ist mit einem gut ge­wähl­ten In­di­ka­tor titrierbar, und mit pH-Elektr­ode auf jeden Fall (die Maxima in der ersten Ab­lei­tung sind schön scharf).

Beim Ammoniakpuffer ist das anders. Die Titration mit Säure ist möglich und gibt einen sehr leicht de­tek­tier­ba­ren pH-Sprung von knapp 6 Einheiten. Titriert man mit Base, dann sieht man nur einen sehr ver­wasche­nen pH-Sprung um weniger als 2 Ein­heiten; das zu­gehöri­ge Maximum in der ersten Ab­lei­tung ist erst nach Ver­größe­rung (um den Faktor 80) sicht­bar und ziem­lich breit.

Die Titrationen sind jeweils korrekt berechnet, mit allen Gleich­gewich­ten und unter Berück­sichti­gung der Volums­verände­rung durch die Maß­lösung. Die Hinter­grund­farben geben die Ver­tei­lung der beteiligten Spezies an (rot ist H₃PO₄ bzw. NH₃, blau PO₄³⁻ bzw. NH₃, Violet­töne sind die Hydrogen­phosphate), und das Karo markiert den Anfangspunkt, also die 1:1-Puffer­lösung.


Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
Titration von Ammoniak-Puffer mit Säure und Base - (Chemie, Säure, Nieren) Titration von Phosphatpuffer mit Säure und Base - (Chemie, Säure, Nieren)

Nach längerem Gegrübel verstehe ich, was Deine Frage bedeutet: NH₄⁺ ist eine Säure, aber eine reichlich schwache. Man kann sie in wäßriger Lösung nicht gut titrieren, weil der pH-Sprung am Äquivalenzpunkt nicht hoch genug ist.

Zum Beweis hänge ich eine solche Titrationskurve an: 20 ml 0.1 mol/l NH₄Cl werden mit 0.1 mol/l NaOH titriert, der Äquivalenzpunkt muß also bei 20 ml Verbrauch liegen.

Am Anfang ist die Lösung leicht sauer, und praktisch aller Stickstoff liegt als NH₄⁺ vor (roter Hintergrund). Im Verlauf der Titration steigt der pH sehr rasch an und es bildet sich immer mehr NH₃ (blauer Hintergrund), und der pH-An­stieg verflacht zunehmend.. Am Äqui­valenz­punkt passiert pH-mäßig nicht allzu viel, man be­obachtet einen leichten Anstieg, aber es ist eher eine Boden­welle als ein echter Sprung.

Mit einem Indikator hättest Du keine Chance, den Endpunkt zu finden. Mit einer pH-Elektrode ginge es, aber auch nicht wirklich gut. Man würde dazu das Maximum der ersten Ableitung (eingezeichnet in weiß) heranziehen, aber so richtig superscharf ist das auch nicht.

Wenn man mit 1–5% Genauigkeit zufrieden ist, dann geht es wohl, aber das ist im Vergleich dazu was sonst volumetrisch möglich ist natürlich sehr grob.

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung – Chemiestudium mit Diss über Quanten­chemie und Thermodynamik
Titration von NH₄⁺ mit NaOH - (Chemie, Säure, Nieren)
MusicGirl2011 
Fragesteller
 15.07.2016, 10:11

Super Antwort! Damit kann ich leben. Es geht also nicht darum, dass man nicht titrieren KANN, sondern dass das Messverfahren in diesem Fall wegen fehlender Genauigkeit ungeeignet ist. 

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indiachinacook  15.07.2016, 10:41
@MusicGirl2011

Vielleicht stammt die Bezeichnung ja noch aus der Zeit, in der man Indi­ka­toren in Titrationen verwendete. Und da sind Sprunghöhen unter 2 Ein­heiten nicht zu gebrauchen.

Und denk daran, daß die berechnete pH-Kurve ohne Fehler in der pH-Elektr­ode, ohne statistisches Rauschen und ohne an der Bürette halb­herum­hängende Tropfen auskomm­t. Eine echt gemes­sene Titrations­kurve sieht da wohl noch ein bißchen häßlicher aus.

Eigentlich denkt man bei Volumetrie an 0.1% Genauigkeit und besser. Und davon ist man in diesem Fall wohl ein bis zwei Größen­ordnungen entfernt.

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Wenn Du ein in Wasser gelöstes Ammoniumsalz gegen Natronlauge titrierst entsteht Ammoniak

NH4+  +  OH-  -->  NH3 +  H2O

Möglicherweise soll sich die Nichttitrierbarkeit darauf beziehen, daß Ammoniak ein Gas ist, das aus der Lösung entweichen kann. Dadurch würde sich das Verhältnis zwischen NH4+ und NH3 verschieben und Du könntest den Halbäquivalenzpunkt nicht mehr korrekt bestimmen.

Ein starkes Entweichen von Ammoniak wird allerdings nur dann auftreten wenn Du einen sehr konzentrierten Puffer vorliegen hast. Du könntest den Puffer also immer verdünnen, titrieren und dann zurückrechnen.


ThomasJNewton  14.07.2016, 16:57

Wobei ein

Ein starkes Entweichen von Ammoniak

meist an der starken Löslichkeit in Wasser scheitert.

P.S: So ganz habe ich die Frage nicht verstanden, du hast zumindest eine Idee.

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indiachinacook  14.07.2016, 17:13
@ThomasJNewton

Ich glaube, ich konnte das Rätsel lösen: Der pH-Sprung bei einer Titration NH₄⁺ mit NaOH ist einfach zu mager.

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indiachinacook  14.07.2016, 17:47
@WeicheBirne

Ja schon, aber für NH₃ (mit HCl), gefragt ist hier aber NH₄⁺ (mit NaOH).

Und die Titrationskurve von NH₄⁺ mit NaOH habe ich an meiner Antwort angeheftet. Wirklich schön sieht sie nicht aus.

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ThomasJNewton  14.07.2016, 18:55
@indiachinacook

Es war aber von einem Ammoniak-Puffer die Rede.

Während du glaubst, es verstanden zu haben, verstehe ich immer noch nur "Bahnhof".

Der Marqius du Mersaque schlägt ein Versöhnungslied vor:
Piep, Piep, Piep, ich titriert' was mir noch blieb.

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indiachinacook  14.07.2016, 19:17
@ThomasJNewton

Wenn Du einen Phosphatpuffer hast (also H₂PO₄⁻ plus HPO₄²⁻), dann kannst Du den sowohl mit NaOH als auch mit HCl titrieren. Damit bestimmst Du jeweils eine Komponente des Puffers, und Du kriegst einen passablen Endpunkt (das sind dieselben zwei, die man auch bei der bekannten Titration von H₃PO₄ so schön sieht).

Einen Ammoniakpuffer kannst Du natürlich mit Säure titrieren (und damit den NH₃-Anteil bestimmen), aber mit Base (um den NH₄⁺-An­teil zu finden) geht das sehr schlecht, aus dem beschriebenen Grund: Am Endpunkt macht der pH einen Hüpfer wie ein lethargischer Elefant auf Valium.

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WeicheBirne  14.07.2016, 23:23
@indiachinacook

Hm... Wenn ich Deine Antwort richtig verstehe geht es Dir um die Genauigkeit, mit der man den Endpunkte bestimmen kann. Ungenauer Endpunkt heißt dann also "nicht titrierbar".

Das ist ein gutes Argument. Danke für die Erklärung. :o)

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indiachinacook  15.07.2016, 10:46
@WeicheBirne

Ich vermute, daß es so ist: Man sieht den Endpunkt einfach nicht, oder so gut wie nicht. Man sagt ja z.B. auch, daß die dritte Stufe des Phosphorsäure „nicht titrierbar“ ist, einfach deshalb, weil am Endpunkt kein merklicher pH-Sprung auftritt (allerdings aus etwas anderen Gründen als beim NH₄⁺).

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Schwache Säuren wie Ammoniumionen kann man im Prinzip wasserfrei titrieren. Auf die Schnelle habe ich allerdings keine Vorschrift für speziell Ammoniumionen gefunden.