Wie viel Aren Land braucht man, um sich selber zu versorgen?

wuwtanalyst  03.07.2020, 13:34

Welche Lebensmittel schließt dies mit ein? Normale Vollkost oder Vegetarisch, Vegan und wieviel Personen soll denn sich davon ernähren?

Horizonttaenzer 
Fragesteller
 03.07.2020, 14:09

normale vollkost und 1 Person

wuwtanalyst  03.07.2020, 13:37

Dann ,soll der Hof 100% , 75% oder nur zu 50% dich versorgen?

Horizonttaenzer 
Fragesteller
 03.07.2020, 14:10

was meinst du damit? verstehe ich nicht genau.. 100% würde ich aber sagen

3 Antworten

Kommt auf die Ansprüche, Klimazone und Anzahl der Personen an. Selbstversorgung besteht aber nicht nur aus Gemüse - und Hühnerfutter muss ja auch irgendwo herkommen. Der wichtigste Faktor ist essbare Kalorien pro Quadratmeter.

Extrembeispiel: in der Steppe dürften es mehrere km2 sein, im Regenwald mit Etagenanbau maximal einige Are. Die effektivsten Nahrungspflanzen sind nach Algen und Entengrütze Maniok und Ölpalmen. Bitte beachte, dass man in den Tropen mehrfach jährlich ernten kann.

Man rechnet momentan mit 2400 qm in der konventionellen Landwirtschaft für jeden Mitteleuropäer. Davon ist das meiste Tierfutter. Punkt eins.

Punkt zwei: es wird sehr viel weggeschmissen.

Man kann viel Fläche durch Stockwerkanbau sparen. Sprich: Felder unter Nussbäumen oder Streubobstwiesen bis hin zu Waldgärten/Permakultur. Punkt drei.

Du musst allerdings den Blick weglenken von Getreide, auf einfach zu verarbeitende und anzubauende, möglichst mehrjährige Pflanzen. Beispiel: im schweizerischen Kanton Tessin waren früher Maronenwälder das Getreide der Armen.

Ich gebe dir mal eine Liste mit Pflanzen, die hier in geschützeren Klimaten relativ gut gedeihen, einfach verarbeitbar sind und hohe Kalorienerträge liefern:

Kohlenhydrate:

  • Mais
  • Kartoffeln
  • Süßkartoffeln
  • Maronen
  • Erbsen (enthalten wenig Protein)

Fett:

  • Walnüsse
  • Sonnenblumen
  • Erdmandeln/Tigernüsse
  • Haselnüsse

Eiweiß:

  • Ackerbohne
  • Gartenbohne
  • Soja
  • Süßlupinen

Wie du schon siehst, ist das schon eine relativ eintönige Kost, aber du kannst mir nicht erzählen, dass du Getreide von Hand ernten und dreschen willst, oder? Habe ich mal gemacht (mit Sense, Garbenbinden und Dreschflegel und so!) und ist eine sch*iß Arbeit für ein Ergebnis, für das uns jeder Biobauer ausgelacht hätte.

Wichtige Getreidesorten sind Weichweizen, Hartweizen, Roggen, Gerste und Hafer. Pseudogetreide wie Quinoa sind schwerer anzubauen, aber relativ ertragreich und sehr gesund. Weitere Kulturen wie Buchweizen, Ölkürbisse, Lein oder Hanf lohnen sich kaum.

Bei Tierprodukten kann ich dir nur Kaninchen empfehlen. Die sind in 12 Wochen schlachtreif, fressen nur Gras und Gemüseabfälle und enthalten auch viel Vitamin B12. Ziegen und Schafe sind super bei größeren Flächen. Bienen sind ebenfalls empfehlenswert.

Wenn man nicht gerade gelernter Landwirt ist und Ahnung hat, wird es alleine schon mit der Düngung sehr schwer - ihr werdet ja keine Betriebsmittel zukaufen wollen, oder? (Komposttoiletten!). Stickstoff ist oft problematisch, Kalk, Gesteinsmehle oder Kali werdet ihr zukaufen müssen.

Ein Beispiel ist Ralf vom Selbstversorgerkanal: er schafft es, obwohl er nicht arbeitet, gerade mal die Familie mit Tier und Obst/Gemüse selbst zu versorgen. Eine komplette Selbstversorgung wird nie hundertpro möglich sein, eher noch die eines Dorfes.

Wenn du dein Land intensiv bewirtschaftest, dich fast vegan ernährst und Stockwerkanbau nutzst, kannst du mit weniger wie 1000 qm hinkommen. Du solltest allerdings mit etwas geringeren Erträgen als im Bioanbau kalkulieren und auch komplette Ernteausfälle miteinberechnen. Diversifiziere deine Anbauplanungen und mische kälte/wärmeliebende Pflanzen, dann kannst du fast immer etwas ernten. Also sollte 1 ha für eine größere Familie (4-8 Leute) mehr als ausreichen. Vergiss aber nicht Bau- und Feuerholz, Faserpflanzen, Kräuter.

Hier siehst du einige flächeneffiziente Nutzpflanzen und Speisepläne. Das bezieht sich aber auf Feldfrüchte aus konv. Landwirtschaft.

Selbstversorgung aus dem Garten

Nahrungsmittel nach Fläche

Fläche Normalesser/Veganer konventionell Schweiz

Speiseplan autarke Schweiz

Erträge konventionell/bio

Bei Gemüse und Obst lohnt sich eine Selbstversorgung gesundheitlich und geschmacklich auf jeden Fall! Das ist ggf. auch noch mit einem Vollzeitjob kombinierbar. Felder müssen aber gepflügt und unkrautfrei gehalten werden. Das lohnt sich alleine nicht, punkt aus Ende.

Ein Extremszenario: Kartoffeln sind ein sehr gesundes Gemüse mit allen wichtigen Aminosäuren. Übliche Erträge sind 2-4 kg (nehmen wir mal 3 kg/qm). Das sind 2100 kcal, ein Tagesbedarf. Also 365 qm Kartoffeln pro Person. Wenn man jetzt noch etwas Gemüse, Nüsse, Soja und Obst dazu anbaut, ggf. die Felder unter Bäumen anlegt, hat man fast eine vollwertige Ernährung. Klar, das ist nicht gut für den Boden und die Fruchtfolge und nur Kartoffeln will auch keiner essen, es zeigt aber, dass man theoretisch mit 500 qm auskommt.

Falls du noch Fragen hast oder weiter diskutieren möchtest, schreib mir ruhig eine PN. Ich kenne mich damit relativ gut aus.

PS: Kennst du den 2000 qm-Weltacker? Das ist die Ackerfläche, die heute jedem rechnerisch zur Verfügung steht. Sie wird sich bis 2050 auf 1400 qm verringern.

wuwtanalyst  03.07.2020, 15:53
Also sollte 1 ha für eine größere Familie (4-8 Leute) mehr als ausreichen. Vergiss aber nicht Bau- und Feuerholz, Faserpflanzen, Kräuter

Nur 1 ha, für 4 bis 8 Personen? Für Veganer vielleicht, die das aus Spaß betreiben. Aber doch nicht wenn du dich völlig unabhängig ernähren möchtest. Alleine 15 Hühner , 3 bis 4 Ziegen, 2 Schweine, 10 Kaninchen müssen versorgt werden, müssen im Winter Futter haben....Das alles muss noch zusätzlich angebaut werden. Die Böden benötigen Dünger in Form von Mist. Also 1 ha reicht da geradeso für eine Person

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Salatkoch  03.07.2020, 17:06
@wuwtanalyst

War hier irgendwie die Rede von größeren Nutztierbeständen oder Bauholz? Richtig, nein, war es nicht. Wenn man außer der Ernährung noch Wald, Bauland, Verkehrswege etc. mitberechnet, ist klar, dass man mit einer solchen Fläche gerade (über)leben kann.

Ohnehin ist der Holzbedarf von nahe 0 bis dutzende Festmeter im Jahr je nach Energieversorgung und Bauweise stark schwankend.

Ich habe den Flächenbedarf pro Tier irgendwann mal ausgerechnet. Bei Bioerträgen dürften das für eine Legehenne gut 100 qm und für ein Mastschwein weit mehr als 1000 qm sein. Deswegen nur Ziegen und Kaninchen, die kann man gut unter Bäumen weiden lassen oder sie mit Reststoffen füttern, ohne das sie Nahrungskonkurrenten wie Hühner oder Schweine sind.

Ob solch eine tierarme Ernährung früher funktioniert hätte, weiß ich nicht, allerdings gab es früher weder so gute Sorten wie heute, noch hatten die Kleinbauern ein solches Wissen wie wir. Beachte bitte die Grafik der NZZ: demnach gehen über 3/4 der Fläche für Tierernährung drauf. Selbst wenn man Ertragsverluste von über 50 % einberechnet, spart man als Fast-Veganer sehr viel Fläche ein. Fast-Veganer deshalb, weil gewisse Nährstoffe nur in Tier enthalten sind. Daneben gibt es ja auch noch Fischfang oder Wildfleisch.

Bzgl. Mist kann ich nur sagen, dass mehrere Jahre abgelagerter Trockentoilettenkompost und Urin 1:10 verdünnt oder als Ammoniumsalz wie Struvit wertvolle Dünger und gesundheitlich unbedenklich sind.

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Ab 5000 Quadratmeter mit Tieren und Obst und Gemüse für eine Person. Willst du davon leben d.h. zum Verkauf und Tausch, dann 10.000 bis 10.500 Quadratmeter

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung
Salatkoch  03.07.2020, 20:04

Sind das Erfahrungswerte von früher oder ist das einfach das heutige übertriebene Konsumniveau an Fleisch, Käse & co. auf das Ertragsniveau von 1900 umgerechnet?

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wuwtanalyst  03.07.2020, 22:20
@wuwtanalyst

Diese Zahlen deken sich eher mit der Realität bzw. mit Biodynamischen anbauweisen vieler Selbstversorgerkommunen und auch meiner Erfahrung. Das optimieren solcher, nennen wir es mal Höfe, kommt mit den Jahren. Rein theoretisch und auf dem Papier lässt sich vieles ausrechnen, jedoch live und in Farbe sieht die Sache schon mal ganz anders aus. Aber ich gebe dir in vielen Punkten recht, Ziegen sind platzsparender , fressen jedoch alles kahl, wenn man nicht aufpasst. Die gehen selbst an die Bäume , fressen die Rinde ab. Es gibt viele Konzepte, jedoch ist jeder Hof individuell, Böden , Wind, Schädlinge, Lage, Grundwassertiefe, Klima, Wild usw.

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Salatkoch  04.07.2020, 10:14
@wuwtanalyst

Das ist dann das andere Extrem, wenn man Vieh hält und auf Getreideerträge von vielleicht 20-30 dt setzt. Sollte aber zB auf Mittelgebirgslagen durchaus zutreffen.

Meine Berechnung sollte nur mal die Möglichkeit aufzeigen, sich sowohl kalorien-, flächen- als auch arbeitseffizient vollwertig selbst versorgen zu können. Es zeigt zumindest, dass wir auch als Selbstversorger mit 1000-2000 qm auskämen. Klar ist das nur theoretisch, fernab unseres heutigen Ernährungsstils und es bräuchte einige Jahre, um alles soweit einzupendeln, könnte aber so oder ähnlich durchaus funktionieren. Ich rechne da allerdings mit eher milden Lagen und fruchtbaren Böden.

In einem dicht besiedelten Land mit etwas mehr als 2000 qm pro Kopf wird eine solch ineffiziente Form des Kleinbauerntums aber schnell an ihre Grenzen stoßen. Einen Sinn sehe ich hinter solchen "Höfen" oder gar Getreideanbau nicht.

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