Wie und warum haben sich höfliche Umgangsformen bzw. Etikette entwickelt?

3 Antworten

Moin,

sehr komplexes Thema mit vielschichtigen soziokulturellen und sozioökonomischen Teilaspekten in Wechselwirkung.

Mein Tip: Schau mal, ob du eine zusammenfassende Beschreibung (Sekundärliteratur) findest, die sich mit dem Standardwerk (3 Bände) zu diesem Thema von >Norbert Elias - "Über den Prozess der Zivilisation"< beschäftigt und dadurch dem interessierten Laien einen guten Ein- und Überblick in das aktuelle Theoriemuster zum Thema und ggf. Querverweise zu weiteren Erklärungsansätzen verschafft.

Vielleicht gibts ja auch was qualifiziert Vorsortiertes im Internet (sozusagen einen "Harald Lesch" für dieses Thema), um im Internet entspannt zum stöbern.

Der Versuch, im GF-Format darauf seriös einzugehen müsste das GF-Format sprengen oder Stückwerk bleiben.

Gruß

Der Ausdruck "höflich" suggeriert ja schon, dass sich diese Art Verhaltensregeln bei Hofe entwickelt haben.

Ja. So ist es, wobei es immer schon Höflichkeitsregeln gab,sie haben sich halt mit der Zeit in der "besseren Gesellschaft" entwickelt. Die sog. bessere Gesellschaft konnte sich halt bessere Manieren erlauben als der hart arbeitende Bauer oder Knecht.

Weil hier viele Falschinformationen verbreitet werden, möchte ich auch etwas dazu sagen.

Aber waren die Königshöfe und Fürstenhöfe im Mittelalter wirklich der Ursprung dessen, was wir heute als gute Umgangsformen oder Etikette bezeichnen?

Ja. Im Mittelalter setzt sich eine höfische Kultur im Adelsstand durch, die natürlich auch der Nicht-Adel zu kopieren versucht. Das bezieht auch habituelle Verhaltensweisen mit ein.

Diese Kultur war letzlich ein übertünchen der Kriegskultur und kann als Gegenpol dazu gesehen werden. Nicht das man diese höfische Kultur bekämpft hätte, eher im Gegenteil. Sie kam den damaligen Menschen gut gelegen und wurde angenommen.

Gerade vom Nicht-Adel kommen häufig absurd extreme Entwicklungen in eine bestimmte extreme Richtung (z.B. bei gut betuchten Bürgern/Patrizian) . Das Bürgertum hat sozusagen die Bräuche des Adels zur Nachahmung ins unermessliche Gesteigert. Das ist in der Gesellschaft häufig so. Auch in früheren Gesellschaften (in praktisch jeder) gab es immer eine Elite, an der sich der Bürger orientiert hat.

Und im Mittelalter haben wir die Praxis, dass die wohlhabenden Bürger, die weder selbst viel Arbeiten mussten, noch einen "Berufkriegerstand" bildeten, das Statussymbol (möglich unpraktisch zu sein) ins Extrem gesteigert haben.

So wurden Patrizia im Hoch- und Spätmittelalter vom Turnierwesen ausgeschlossen, weil sie ähnliche Mittel für teure hochspezialisierte Ausrüstung und zeitgleich ungemein viel mehr Zeit zum üben hatten.

Und wieso entwickelte sich das gerade zu dieser Epoche der Menschheitsgeschichte?
Wieso nicht bereits vorher oder erst später?

Weil der mittelalterliche Adel in seiner Vielzahl stärker von seiner Außenwahrnehmung abhängig war, als in jeder Epoche zuvor.

Andre von Geschichtsfenster vergleicht gerne den Ritter mit dem heutigen Gangster-Rapper, wenn es um die Darstellung geht.

Dieses höfische war deshalb häufig nur Tünsche, weil es letztlich auch dabei viel um Selbstdarstellung ging.