Wie konnte Napoleon das Heilige römische Reich so leicht auflösen?

6 Antworten

Die näheren Umstände sind recht verworren und kompliziert. Im Prinzip war schon Napoleon der Totengräber des heiligen römischen Reiches.

Zuerst krönte er sich selber zum Kaiser Frankreichs.

Dann zwang er den letzten Kaiser des heiligen römischen Reiches Franz II. dazu, daneben den erblichen Titel des Kaisers von Österreich anzunehmen, oder Napoleon würde Österreich angreifen.

Nach dem Sieg bei Austerlitz diktierte Napolen Russland und Österreich einen Frieden, in dem diese anerkannten, dass Bayern, Württemberg und Baden aus dem Reichsverbund ausschieden und souveräne Königreiche wurden.

Dann veranlasste Napoleon, dass sein Onkel Josef Kardinal Fesch der nächste Reichskanzler werden würde, wenn der aktuelle abtreten würde.

Dadurch stellte sich für Österreich die Alternativem entweder das heilige römische Reich aufzulösen oder es andernfalls in französische Hände zu geben.

Als dann der Rheinbund unter dem Oberbefehl Napoleons gegründet wurde und die teilnehmenden Königreiche und Fürstentümer ihren Austritt aus dem Reich erklärten und obendrein der schwedische König die unter seiner Oberherrschaft stehenden nördlichen Teile des Reiches aus dem Reich herausnahm, hatte das Hl. R. Reich de facto aufgehört zu existieren, denn es blieben nur noch kleine unbedeutende Teile übrig.

Napoleon ließ dann am Ende dem östereicheischen Gesandten in Paris ein Ultimatum überreichen, sollte Kaiser Franz II. nicht als Kaiser des Reiches abdanken, dann würden französische Truppen Österreich angreifen. So dankte Franz II ab und das Heilige Römische Reich war auch formal beendet.

Weil es seit dem Ende des dreißigjährigen Krieges kein einheitliches Reich mehr gab, sondern jede Menge unterschiedlich große Fürstentümer. Die einzigen ernstzunehmenden deutschen Mächte waren Österreich und Preußen. Die Österreicher haben es den Franzosen durchaus schwer gemacht, der preußische König hat auf eine friedliche Lösung gesetzt und wurde am Ende von Napoleon ausgetrickst.

HugoHustensaft  25.07.2022, 20:15

Preußen wurde erst später bedeutend und der preußische König setzte eben nicht auf eine friedliche Lösung sondern verlor die Doppelschlacht von Jena und Auerstedt.

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Napoleon hat das heilige römische Reich nicht aufgelöst, sondern modernisiert:

Das "römische Reich" war per Definition das Reich, das der römische Kaiser, welcher vom Papst ernannt wurde, beherrschte.

General Napoleon Bonaparte hatte nun mit seiner Revolutionsarmee (Grande Armée) die österreichische kaiserliche Armee in Italien besiegt und grosse Teile von Italien besetzt, einschliesslich Rom.

1804 liess sich Napoleon dann vom Papst Pius VII in Paris zum römischen Kaiser krönen. WP schreibt: "Der Papst segnete nun beide und sprach: „Vivat in aeternum semper Augustus!“ Gleiches war auch bei der Krönung Karls des Großen im Jahre 800 in Rom gerufen worden."

(Die Behauptung, N. habe sich nur selbst gekrönt, ist spätere Propaganda - es ist zweifelsfrei, dass der Papst nicht bloss anwesend war, sondern selbst die Salbung vornahm und auch die Segnung und Verleihung der Insignien. D.h. er wirkte mit und stimmte zu.)

Napoleon war nun der neue römische Kaiser (bzw. offiziell lateinisch "Imperator Augustus") und damit war der bisherige Inhaber dieses Titels (Franz von Österreich) abgesetzt bzw. ersetzt; dieser legte auch förmlich den Titel "römischer Kaiser" ab und nahm statt dessen den dafür neu erfundenen Titel "Kaiser von Österreich" an.

Damit war N. nun der amtierende Kaiser des heiligen römischen Reichs, und alle deutschen Staaten haben Napoleon in dieser neuen Rolle als Schirmherr ("Protektor") des Reiches akzeptiert, mit Ausnahme von (Ungarisch-)Österreich, (Dänisch-)Holstein, (Preussisch-)Brandenburg und (Schwedisch-)Pommern, die alle jeweils eh nur so "mit einem Bein" zum Reich gehört hatten.

Diese Neuordung des heiligen römischen Reiches unter Napoleon nannte man "Rheinbund". Das Ziel war, das ursprüngliche heilige römische Reich wie unter Karl dem Großen wieder herzustellen, aber in modern, d.h. mit Verfassungen und Parlamenten. Allerdings auch unter der klaren Vorherrschaft den katholischen Kirche, die ja grade N. zum ihrem neuen Kaiser ernannt hatte.

Die größeren deutschen Staaten haben sich rasch auch familiär mit Napoleon verbunden, so hat z.B. die älteste Tochter des Königs von Bayern den (adoptierten) Sohn von N. geheiratet, und die älteste Tochter des Königs von Württemberg den jüngsten Bruder von N., der Erbprinz von Hohenzollern-Sigmaringen ein Nichte des Schwagers von N., usw.

Die deutschen Staaten haben sich nun auch Verfassungen nach dem Vorbild von Frankreich gegeben, Bayern z.B.1808: Diese erste bayrische Verfassung basierte auf den Idealen der französischen Revolution und der Aufklärung. Festgeschrieben wurde vor allem der Grundsatz der „égalite“, auch für die Untertanen in Bayern: Gleichheit vor dem Gesetz, gleiches Recht aller männlichen Bayern (auch Juden!) zu allen Graden des Staatsdienstes, Freiheit und Sicherheit der Person, Sicherheit des Eigentums, Gewissensfreiheit und Pressefreiheit. Die Leibeigenschaft wurde aufgehoben und ein Parlament wurde eingeführt. Das allererste deutsche Parlament aber tagte im Königreich Westphalen.

Hat sich alles sehr vielversprechend entwickelt, bis N. dann leider von seinen Gegnern, den alten (vorrevolutionären) Mächten, militärisch besiegt wurde. Danach wollte plötzlich keiner mehr für ihn gewesen sein ...

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PS: formell hat der abgesetzte Kaiser Franz tatsächlich das heilige römische Reich für aufgelöst erklärt, um es nicht N. überlassen zu müssen. Das war aber eine für die Praxis wirkungslose Trotzreaktion des abgesetzten Ex-Kaisers.

rr1957  21.08.2022, 13:03

Eines der Hauptprobleme des heilgen römischen Reiches war gewesen, dass schon vor Napoleon grosse wichtige Teile des Reiches in den Besitz von ausländischen Herrschern geraten waren, die selbst nicht zum Reich gehörten und sich nicht den Gesetzen des Reiches unterwerfen wollten:

  • Holstein gehörte dem dänischen König
  • Pommern gehörte dem schwedischen König
  • Hannover gehörte dem britischen König
  • Brandenburg gehörte dem preussischen König (und Preussen war selbst eben NICHT im Reich)
  • Österreich und Böhmen gehörte dem ungarischen König (ein Habsburger, der aber sein Königstum im nun größeren Ungarn bervorzugte)

Alle diese fremden Herren hatten gar kein Interresse, das Reich zu erhalten oder gar zu stärken oder zu modernisieren.

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Er hat alle wesentlichen Teile davon erobert, es war vorher schon nur noch eine Mumie.

die Säkularisation und der Reichsdeputationshauptschluss waren richtig gute Aktionen

Das hat er doch gar nicht - der letzte Kaiser legte das Amt aus freien Stücken nieder, ein echtes "Reich" im Sinne eines Staates war das ohnehin nicht, eher ein Staatenbund.

User420416 
Fragesteller
 25.07.2022, 20:11

Das mit dem Staatenbund wusste ich. Aber krass. Mir wurde es beigebracht das Napoleon es aufgelöst hat

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HugoHustensaft  25.07.2022, 20:13
@User420416

War eben falsch. Der österreichische Herrscher, der diese Kaiserkrone innehatte, legte das Amt nieder, ohne das Napoleon ihn dazu gewungen hätte (wie auch, der war noch weit weg), er wollte dem Franzosen einen potenziellen Angriffsgrund entziehen, schließlich waren größere Teile des "Reiches" ja schon von den französischen Truppen erobert worden.

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