Wie enttraumatisiert man einen Hund?

7 Antworten

Es ist möglich. Aber es braucht Zeit, Geduld und einen Profi, der dem Halter dabei zur Seite steht. Es kommt auch auf die Art des Traumas an.

Bei meiner ersten Hündin war ich mitten im Prozess ein Trauma zu brechen, als sie verstarb. (Nicht aufgrund des Traumas, sie hatte eine unentdeckte Blutkrankheit) Ich kann also nicht sagen ob, und wenn ja, nach wieviel Zeit wir erfolgreich gewesen wären. Aber ich war zuversichtlich. Sie war eine kopfstarke Persönlichkeit, wenn auch sehr schüchtern.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung – Seit 20 Jahren im Bereich Rettungshunde tätig und Tierhalter

Eine direkte Anleitung gibt es dafür nicht, aber in der Hundeerziehung gibt es dafür einige erfolgversprechende Hilfsmittel, eine der leider noch zu wenig genutzten mit verschiedenen „Werkzeugen“ je nach Trauma und wie lange dieses schon vorhanden ist nennt sich systematische Gegenkonditionierung.

Das ist eine schonende und wissenschaftlich fundierte Vorgehensweise.

Eine andere „Möglichkeit“ die leider noch von viel zu vielen schlechten Hundeschulen genutzt wird ist Flooding (Reizüberflutung).

Der Nachteil daran, der Hund wird dem angstauslösendem Reiz gezielt ausgesetzt und immer wieder direkt damit konfrontiert. Z.B. Silvesterangst, der Hund wird festgebunden und es werden in direkter Nähe Böller hochgejagt. Das Ergebnis ein komplett traumatisierten Hund, der dann in der erlernten Hilflosigkeit feststeckt, bei dem ersten Böller alles laufen lässt und in keiner Weise mehr lernen kann, da der Sympathikus (Stressachse) die „Führung“ im Körper übernommen hat, denn da geht es für das betroffene Wesen nur noch ums nackte Überleben und da findet bewusstes denken und handeln nicht mehr statt, da der Hund ins Hinterhirn fällt durch den starken Einfluss des Stresses.

Je nach Art der Traumatisierung, des Hundetyps und der begleitenden Umstände kann Flooding helfen, aber eine Garantie gibt es dafür nicht und das kann auch vorhergehend nicht erkannt werden, auch sind dabei schon hoch aggressive Hunde herausgekommen und somit ist das mit ein Grund das solch eine obsolete Technik niemals Anwendung finden sollte.

Des Weiteren kann man den Hund auch nicht fragen ob er es noch aushält und weitermachen möchte, ein weiterer Faktor der bei der Anwendung von Flooding in der Humanpsychologie aber stattfindet und somit aber gegen die Anwendung bei Hunden spricht.

Traumatisierungen von Hunden sind im übrigen bei fast allen Hunden Gang und Gebe und gesetzlich erlaubt, denn die Trennung von Mutter- und Wurfgeschwistern löst ein solches aus. Das ganze könnte auch ohne Trauma stattfinden, ergo wesentlich schonender aber das würde auch mehr Zeit in Anspruch nehmen, allerdings auch oftmals weniger Folgeproblematiken verursachen. Hierzu zählen z.B. eine der bekanntesten, nämlich der Trennungsstress der dann dummerweise auch noch eine zusätzliche genetische Komponente besitzt.

Ob nun aber eine Trainingstechnik wirklich funktioniert und das Trauma löst ist stark konträr diskutiert, da die Kenntnisse bei vielen Hundehaltern und auch Hundeschulen nicht vorhanden sind. Tritt das Verhalten welches damit behandelt werden soll nicht mehr auf ergo die Symptome, werten die Hundeschulen und viele Halter das als Erfolg, ist es aber in 98% der Fälle nicht tatsächlich und das könnte auch durch eine einfache Kot- Urin- oder Speichelprobe zweifelsfrei bewiesen werden, nämlich an der Konzentration der Stresshormone in der jeweiligen Probe.

Aber auch bei der schonenderen Variante hängt der Erfolg von vielen Faktoren ab. So gibt es auch angeborene Ängste die sind z. B. bedingt der genetischen Disposition allenfalls verbesserbar aber nicht unbedingt heilbar.

Die Lebensumstände spielen eine weitere Rolle, der Hundetypus (Stichwort der Humanpsychologie:Resilienz), in einigen Fällen auch die Rasse, die Arbeitsbereitschaft des Halters, die Fähigkeit des Trainers Wissen zu vermitteln, der physiologische Zustand des Hundes usw.

Du siehst, diese Frage ist nicht in 3 Sätzen mit einer konkreten Anleitung zu beantworten und somit entschuldige bitte meine ausführliche aber ehrliche Antwort 😊

Woher ich das weiß:Berufserfahrung

Virgilia  15.06.2021, 17:06

Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft selbsternannte "Experten" uns erzählen wollten, dass unsere Hündin "einfach da durch muss", wenn ihr eine Situation Angst gemacht hat -.-

2
Elocin2910  15.06.2021, 17:47
@Virgilia

Ja traurig wirklich traurig, vor allen Dingen für den Hund, wobei ich bei Dir nicht davon ausgehe, dass Du das zugelassen hast.

1
Virgilia  15.06.2021, 19:48
@Elocin2910

Nicht, wenn es sich verhindern ließ. "Gruselige" Fahrzeuge z.B. mussten wir ertragen, wenn es keine Ausweichmöglichkeit gab. Da konnten wir nur versuchen sie zu "beschützen". Ansonsten haben wir versucht jede "Gefahr" in ihrem Tempo zu bezwingen. Dann sind wir halt jeden Tag einen (kleiner werdenden) Umweg gelaufen, weil sie sich nicht an der Statue vorbeigetraut hat. Irgendwann hat sie realisiert, dass die genauso ungefährlich ist, wie der "laute" (sehr nette) Besitzer der Imbissbude. Und wenn doch etwas unheimlich sein sollte, kann sie sich hinter Herrchen verstecken - der kümmert sich schon drum.

2
Elocin2910  15.06.2021, 19:52
@Virgilia

Naja aber das ist ja auch kein Flooding, das würde ja das beabsichtigte konfrontieren mit auslösendem Reiz beinhalten und ein Teil Stress gehört nun einmal zum Leben dazu.

So ist das doch vollkommen ok, wie ich finde und ne Versteckmöglichkeit gibbet auch 😍

1
Virgilia  15.06.2021, 21:04
@Elocin2910

Sie bewusst einer vermeidbaren Stresssituation auszusetzen war nie eine Option. Der Versuch des Flooding muss ja nicht einmal erfolgreich sein, selbst wenn es "Erfolgserlebnisse" gibt. Unsere Hündin hat sich z.B. schnell an die Geräusche aus dem Fernseher gewöhnt, ihr Herrchen ist leidenschaftlicher Gamer, und schläft selbst wenn z.B. Shooter gespielt werden oder im Spiel/Film Explosionen oder Feuerwerk vorkommen. (Sie kann und konnte sich jeder Zeit in einen anderen Raum zurückziehen bzw. die Geräusche wurden leiser/aus gemacht, wenn sie Stresssymptome gezeigt hat.) Laute Geräusche in der Realität, z.B. zu Silvester, sind trotzdem der Horror für sie. Es bringt in meinen Augen also nicht viel, wenn man einen Hund, der sowieso schon Probleme mit solchen Geräuschen hat, auch noch mit Video-/Tonaufnahmen zu quälen, wenn sie ihn stressen.

Oder der Hund einer Gassibekanntschaft von mir, der wahnsinnige Angst vor Brücken hat. Warum sollte man den Hund unnötig stressen, anstatt zu versuchen ihm langsam zu zeigen, dass keine Gefahr besteht? Es ist doch nicht erstrebenswert, wenn der Hund nur rüberläuft, um möglichst schnell der "Gefahr" zu entgehen und/oder Angst hat, dass sein Besitzer ohne ihn weitergeht?

Ich weiß selber, was das Gefangensein in einer Hochstresssituation mit einem macht, besonders wenn man die Situation nicht verlassen und/oder sich runterskillen kann. Diesen Zustand wünsche ich weder Mensch, noch Tier.

1
Elocin2910  16.06.2021, 12:59
@Virgilia

Na wenn sie ihn stressen, wenn sie aber in einer bestimmten Lautstärke nur eine Taxis bewirken, dann halte ich es schon für sinnvoll damit zu arbeiten.

Erleichtert ja dem Hund auch das Leben. Aber wie Du schon schreibst, alles kleinschrittig, dann stellen sich große Erfolge von selbst ein 😊

Ja leider kenne ich das auch, vermutlich muss man als Mensch diese Erfahrung mal gemacht haben um seinem Hund so etwas nicht aussetzen zu wollen.

1
Virgilia  16.06.2021, 14:17
@Elocin2910

Wenn das Training im Tempo des Hundes gesteigert wird, ist das natürlich überhaupt nichts schlimmes. Unsere Hündin musste sich z.B. auch an die Geräusche gewöhnen, weil sie in dem Haushalt einfach dazugehören. Aber ich habe schon mehrfach den "Tipp" gehört/gelesen, bei einem Hund, der Angst vor bestimmten Geräuschen hat, einfach entsprechende (laute) Videos abzuspielen und die Tür zuzumachen, damit er sich daran "gewöhnen" muss. Das halte ich für absolut falsch.

Bei der Brücke auch. Wir hatten zwar bisher keinen Hund, der Angst vor Brücken hatte, nur eine Hündin, die Schienen (und Züge) unheimlich fand. Deshalb haben wir versucht ihr zu zeigen, dass ihr mit uns nichts passiert. Wir wären nie auf die Idee gekommen einfach außer Sicht zu laufen, wenn sie beim Überqueren Angst gehabt hätte. Bahnübergänge und vorbeifahrende Züge fand sie nie toll, aber sie ist auch nicht super zögerlich rüber-/weitergelaufen, sondern hat sich an uns orientiert.

Ein großes Problem ist leider, dass viele Leute schnelle Erfolge (und möglichst wenig Arbeit) wollen. Unter anderem deshalb haben "Hundetrainer" wie CM so viel Zulauf. Aber um an solchen Vehaltensweisen zu arbeiten braucht man Geduld, Einfühlungsvermögen und zumindest ein gewisses Grundwissen. Manche "Probleme" haben sich nach ein paar Tagen erledigt, bei anderen kann es Monate dauern, bis sie zumindest abgeschwächt sind.

Gerade bei sehr vorsichtigen oder ängstlichen Hunden finde ich es schön, wenn sie von sich aus immer mutiger werden ^__^

1
Elocin2910  16.06.2021, 23:24
@Virgilia

Da stimme ich Dir vollkommen zu, dennndas wäre ja, auch wenn es nicht der echte Auslöser ist, wieder Flooding, aber wenn der Hund es in einer gewissen Lautstärke gut verträgt, hat man nen Fuß in der Tür und, da wären wir eben beim Thema, langsam die Lautstärke steigern bis man dann irgendwann beim echten Auslöser landet.

Na doch so Probleme kenne ich, also das mit der Brücke z.B. meine bis jetzt echt heftigste Herausforderung ist meine eigene Hündin, da sie eben absolut nicht umweltsicher war, ihr hat alles Angst bereitet ob das nun Bahnübergänge, Brücken oder ein stehendes Auto war, fliegende Tüten selbst Blätter von den Bäumen, eben einfach alles.

Das was Du im letzten Satz beschreibst ist das, was mir immer wieder den Antrieb gibt weiter zu machen, denn genau das lässt mein Herz aufgehen, wenn man zusehen kann, das der Hund sich plötzlich am Halter orientiert oder sogar selbständig versucht bis dahin angsteinflössende Dinge zu untersuchen. 😍

1
Virgilia  17.06.2021, 20:07
@Elocin2910

Brücken waren erstaunlicherweise so ziemlich das einzige, womit unsere Hündin nie Probleme hatte... allerdings hatten wir auch keine Nähe und haben sie erst relativ spät ausprobiert 😅 Ansonsten kann ich ein Lied davon singen. Die erste Zeit sind wir nur, doppelt gesichert, zur "Pipiwiese" auf die andere Straßenseite gelaufen. Aber nicht zu dicht an die hundefressenden Mülleimer!

Das hat uns bei unserer Angsthündin auch immer motiviert und gezeigt, dass wir auf dem richtigem Weg waren. Es ist so schön, wenn sie ihrer Neugier nachgibt oder in "gruseligen" Situationen guckt, wie ihr Herrchen reagiert und entweder mutiger wird oder bei ihm Schutz sucht ❤

0
Elocin2910  18.06.2021, 14:33
@Virgilia

Bei unserer war es der Wald 😂 Dort geht sie auf.

Ja das kenne ich, unsere war auch anfangs doppelt gesichert, denn son Geschirr welches angeblich ausbruchsicher sein soll muss wohl erst noch erfunden werden.

Mensch genauso sollte es sein, das macht Mut, das es doch noch tolle Menschen mit nem Hundeherz gibt 😍

1
Virgilia  19.06.2021, 12:50
@Elocin2910

Im Wald (wenn da keine keine "Fremdkörper" sind) oder offenem Gelände blüht unsere Süße auch richtig auf, aber da mussten wir am Anfang erst einmal hin... Autofahren war unheimlich und an den Fußwegen lauerten überall hundefressender Monster! (Mülleimer, parkende Autos, Kiosk, Bushaltestelle, etc.) Die mussten erst einmal nach und nach besiegt werden ;)

Wir hatten anfangs zusätzlich ein Sicherheitsgeschirr, aber sie hat irgendwie einen seltsamen Brustkorb und es saß einfach nicht richtig. Deshalb gab es am Anfang ein Halsband ohne Zugstopp (nur für den Notfall!) und ein vernünftig sitzendes Geschirr und eben zwei Leinen. Damit sind wir ganz gut gefahren.

Ich muss sagen, ich war selten so stolz, wie nach unserer ersten Stunde mit dem (TsD-)Trainer, als dieser meinte, dass wir ihn gar nicht unbedingt brauchen würden, weil wir ziemlich genau das vorhatten, was er im Sinn hatte und auch nicht auf schnelle Ergebnisse aus waren. Wir wollten ihn trotzdem in der Anfangszeit als Sicherheit dabei haben, falls es Probleme gibt, die uns überfordern oder die wir vielleicht erst zu spät bemerkt hätten. Wir hatten zwar beide bereits Hundeerfahrung, aber noch keinen Angsthund. Außerdem kann man seine eigene Körpersprache nur schlecht korrigieren, wenn man alleine ist. (z.B. wenn man sich unbewusst anspannt, weil man weiß, dass man gleich an den Mülltonnen vorbei muss) Man weiß es zwar eigentlich besser, aber manchmal hapert es an der Umsetzung ^^

Die Hündin wird nie entspannt mit zu einem Stadtbummel können, mutig auf neue Sachen zugehen, oder die Karnevalszeit (im Rheinland) toll finden, muss sie aber auch nicht. Mein Ex war vor ein paar Wochen für ein paar Tage mit ihr wandern, da sind sie sogar 'geklettert', letztes Jahr haben die beiden bei mir wieder Urlaub an der Nordsee gemacht - wir haben sie kaum wieder vom Strand wegbekommen :D

0

Oh das ist sehr schwer oder fast unmöglich, man kann es verbessern würde ich sagen aber das die Macken ganz weg sind glaube ich nicht. Ich war einkaufen und mein Hund war draußen angeleint. Dann kam ein betrunkener und hat meinen Hund ohne Grund zusammen getreten. Seitdem muss er Maulkorb tragen, weil wenn Menschen an ihm vorbei gehen wo er sich erschreckt zu beisst. Auch fängt er an zu heulen wie ein Wolf sobald ich ihn verlassen, Müll weg bringen oder kurz einkaufen. Das ist stellenweise besser geworden.

Ein echtes Trauma macht man nicht einfach irgendwie weg. Und inwiefern derjerjenige lernen kann mit dem Trauma gut umzugehen oder nicht hängt sehr stark von dem Trauma selbst, dem Umfeld, der Hilfe und dem Charakter der Person (oder des Tieres in dem Fall) ab.

Es dauert unter Umständen sehr lange, einen traumatisiertem Hund wieder einigermaßen "normal" zu kriegen, manchmal geht so ein Trauma auch gar nicht mehr wirklich weg. Ist vergleichbar mit einem Menschen. Manche stecken traumatische Erlebnisse besser weg als andere, manche leiden da stärker. So wirklich eine Aussage, auf die man sich zu 100 % verlassen kann, kann man da nicht sagen.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung