Was ist Heraklits Argumentation für „alles fliesst“?

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Heraklit (griechisch: Ἡράκλειτος [Herakleitos]) hat nach einer antiken Angabe seine Blütezeit (griechisch: ἀκμή) um 500 v. Chr. gehabt. Demnach ist er etwa 545 – 540 v. Chr. geboren und etwa 480 v. Chr. gestorben. Es gibt aber auch andere Datierungen.

Heraklit lebte in Ephesos, einer Stadt in Kleinasien, und stammte aus einer alten aristokratischen Familie. Er hat ein Exemplar seines philosophischen Werkes als Weihgabe im Artemis-Tempel von Ephesos hinterlegt.

Für eine Veränderung, ein allgemeines Werden und Vergehen, ist die als Aussage von Heraklit selbst nicht belegte griffige Formel „Alles fließt“ (griechisch: πάντα ῥεῖ [pánta rheî]) geprägt worden. Dies ergäbe eine umfassende unaufhörliche Veränderung.

Seine Deutung der Wirklichkeit als nicht feststehend und bleibend, sondern sich wandelnd, als Geschehen eines Prozesses, begründet Heraklit in einer Verbindung von zwei Umständen:

  • durch Sinneswahrnehnung vermittelte Erfahrung einer fortlaufenden Veränderung der Welt
  • auf Gegensatzpaare und die Feststellung des Nebeneinanders von Gegensätzlichem und des Übergehens ineinander in einem Werden und Vergehen gerichtetes Denken, das nach Heraklits Verständnis zu einer spannungsvollen/gegenstrebigen Einheit der Dinge führt

Werden und Vergehen: Fluss der Dinge

Nach Heraklits Auffassung befindet sich die Wirklichkeit in einem Wandel. Dieses Werden und Vergehen drückt er auch im Bild eines Fließens aus.

FVS DK 22 B 91 (FVS = Fragmente der Vorsokratiker; eine Sammlung von Texten, VS bzw. FVS abgekürzt; DK = Diels/Kranz, eine Standardausgabe dazu, herausgegeben von Hermann Diels und Walther Kranz, nach der die Zählung geschieht):

ποταμῷ γὰρ οὐκ ἔστιν ἐμβῆναι δὶς τῷ αὐτῷ

„Zweimal in denselben Fluss hineinzusteigen ist nicht möglich“.

Dies wird dort damit näher erläutert, dass der Fluss zerstreut/auseinandertreibt und zusammenführt, herangeht und fortgeht.

FVS DK 22 B 12 enthält die Aussage:

ποταμοῖσι τοῖσιν αὐτοῖσιν ἐμβαίνουσιν ἕτερα καὶ ἕτερα ὕδατα ἐπιρρεῖ•

„Den in dieselben Flüsse Hineinsteigenden strömen/fließen andere und andere Wasser zu.“

Platon, Kratylos 402 a sagt die Dialogfigur Sokrates:

λέγει που Ἡράκλειτος, ὅτι πάντα χωρεῖ καὶ οὐδὲν μένει· καὶ ποταμοῦ ῥοῇ ἀπεικάζων τὰ ὄντα λέγει, ὡς δὶς ἐς τὸν αὐτὸν ποταμὸν οὐκ ἂν ἐμβαίης.

„Heraklit sagt irgendwo, dass alles im Gange ist und nichts bleibt. Und indem er das Seiende mit dem Strömen/Fließen eines Flusses vergleicht, sagt er, daß man wohl nicht zweimal in denselben Flus hineinsteigen kann.“

Heraklit sieht die Welt durch vielfältige Gegensätze (kontradiktorische, konträre und polar-konträre Gegensätze) gekennzeichnet, die sogar ineinander umschlagen (bei späteren Philosophen wird daraus ein Ansatzpunkt für Dialektik). Metaphorisch ausgedrückt bringt Streit/Kampf/Krieg (FVS DK 22 B 80) die Dinge hervor.

Heraklit bleibt aber bei dieser Gegensätzlichkeit der Erscheinungen nicht stehen.

FVS DK 22 B 10: συνάψιες· ὅλα καὶ οὐχ ὅλα, συμφερόμενον διαφερόμενον, συνᾷδον διᾷδον, καὶ ἐκ πάντων ἓν καὶ ἐξ ἑνὸς πάντα.

„Verbindungen/Zusammenknüpfungen: alles und nicht alles, Einträchtiges Zwieträchtiges, Harmonie Disharmonie und aus allem eines und aus einem alles.“

Er hat den Gedanken einer Übereinstimmung des Unterschiedlichen, einer gegenstrebigen Zusammenfügung/Harmonie (παλίντονος ἁρμονίη [bzw. παλίντροπος ἁρμονίη; darüber, welches Wort von Heraklit an dieser Stelle verwendet worden ist, sind die Meinungen nicht ganz einheitlich] FVS DK 22 B 51). Einer Prozesshaftigkeit liegt nach seiner Deutung etwas zugrunde, etwas Seiendes. Heraklit hat offenbar auch eine Lehre von der Einheit der Dinge und dem Zusammenfallen der Gegensätze vertreten. Der in und zwischen Gegensätzen verlaufende Prozess ist nach Heraklits Auffassung zugleich Teil einer umfassenden Herrschaft des Logos (λόγος). Der Logos bei Heraklit ist teils Weltprinzip in Form eines vernunftbegabten, feuerähnlichen (bzw. wie ein Glutwind/Äther beschaffenen), unveränderlich mit sich identischen Urstoffes, teils mächtiges allgemeines Weltgesetz, teils alles durchwaltende Weltvernunft bzw. Weltseele.

Das Feuer ist wohl der Logos unter stofflich-physikalischem Gesichtspunkt. Es kommt dem Begriff der Energie nahe, ob Heraklit aber tatsächlich einen modernen Energie-Begriff mit einer Äquivalenz von Energie und Materie hatte, ist unsicher. Nach Heraklit ist das Feuer das, was dem Kosmos (die Welt, die Weltordnung), der für alle derselbe (also ein einziger) ist, als Seiendes und Einheitliches zugrundeliegt.

FVS DK 22 B 30: κόσμον τόνδε, τὸν αὐτὸν ἁπάντων, οὔτε τις θεῶν οὔτε ἀνθρώπων ἐποίησεν, ἀλλ' ἦν ἀεὶ καὶ ἔστιν καὶ ἔσται πῦρ ἀείζωον, ἁπτόμενον μέτρα καὶ ἀποσβεννύμενον μέτρα.

„Diesen Kosmos, denselben aller, hat weder irgendeiner der Götter noch der Menschen geschaffen, sondern er war immer und ist und wird sein immerlebendes Feuer, sich entzündend/entflammend/aufbrennend/erglimmend nach Maßen und erlöschend nach Maßen.“

Es gibt Wenden/Umwendungen/Umwandlungen des Feuers.

FVS DK 22 B 31: πυρὸς τροπαί· πρῶτον θάλασσα, θαλάσσης δέ τὸ μὲν ἥμισυ γῆ, τὸ δὲ ἥμισυ πρηστήρ. ... <γῆ> θάλασσα διαχέεται, καὶ μετρέεται εἰς τὸν αὐτὸν λόγον, ὁκοῖος πρόσθεν ἦν ἢ γενέσθαι γῆ.

„Wenden/Umwendungen/Umwandlungen/Wandlungen des Feuers: zuerst Meer, vom Meer aber die eine Hälfte Erde, die andere Hälfte Glutwind/Gluthauch. ... Erde fließt zu Meer auseinander und bemisst sich nach demselben Verhältnis (Logos), wie es bestand, bevor es (das Meer) Erde wurde.“

Dieser Wandel betrifft die als wahrnehmbare Welt in Erscheinung tretenden Ausformungen eines Urstoffes/Prinzips.

Bewegt sich wirklich Alles? So finden wir Dinge, die bis zur Unendlichkeit überall vorkommen, so wie Raum, Zeit, Schwerkraft, unbestimmte Temperatur und ein unbestimmtes Lichtverhältniss an sich. Das sind also Dinge die immer und überall dem Da- Sein zugeordnet werden. Zur Begründung: Jede Schwerkraft benötigt eine Gegenschwerkraft um wirksam werden zu können.Quelle Isaac Newton, Wechselwirkungsprinzip von Kräften.