Warum wurde Nietzsche unreligiös?

7 Antworten

Religion verträgt sich in ihrer Kompromisslosigkeit oft nicht gut mit der umfassenden Nutzung des eigenen Intellekts. Manche können das miteinander vereinbaren, aber das setzt oft trotzdem voraus, dass man sich den religiösen Kodex ein bisschen zurecht biegt.

Die Vorgabe, was man zu denken hat ist so lange zu ertragen, wie es einem entweder egal ist oder es mit der eigenen Meinung konform geht.

Ich wurde nie religiös erzogen, also kann ich nicht sagen wie eine solche Entfremdung abläuft, aber ich habe durchaus schon in anderen Kontexten erkannt, dass Dinge die ich früher mal akzeptiert und nicht hinterfragt habe, inzwischen kaum noch zu ertragen sind und durchaus auch dazu führen, dass ich mit Menschen breche.

So klar anti-christlich war Nietsche gar nicht. Im Gegenteil bestand fast eine Art "Hass-Liebe". Von unreligiös kann somit keine Rede sein.

"...Als die Menschen Gott zum höchsten Wert herabwürdigten, schlug Friedrich Nietzsche Alarm. Im Christentum seiner Zeit sah er eine sinnentleerte, lebensfeindliche Religion....
Nietzsche war auch kein Theologe, obwohl er in Bonn kurze Zeit protestantische Theologie studierte... 
Aber Nietzsche stand in ständigem Austausch mit anderen Gelehrten, beispielsweise mit seinen Basler Kollegen, dem Religionswissenschaftler Johann Jacob Bachofen und dem Kulturhistoriker Jacob Burckhardt....
In Nietzsches nachgelassenen Notizen findet sich die beiläufige Bemerkung: „Mit dem Christentum werde ich nicht fertig.“
Nietzsche hat im Grunde niemals den mythischen Urgrund der Religion verlassen, nämlich das Heilige als das Menschen und Götter Einigende. Seiner scharfen Zivilisationsdiagnose stellte er das von Jesus gelebte Christentum entgegen:
„Das Evangelium war doch gerade das Dasein, das Erfülltsein, die Wirklichkeit dieses ‚Reichs’ gewesen."-“ ‚Das Reich Gottes‘ ist nichts, das man erwartet: Es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in ‚tausend Jahren‘ – es ist eine Erfahrung an einem Herzen: Es ist überall da.“....
Friedrich Nietzsche hält am Glauben fest, trotz aller rationaler Gegenargumente, die er immer wieder selbst vorbrachte....
Nietzscheanische Religion bedeutete zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Kampf gegen die etablierte kirchliche Ordnung, Suche nach den Wurzeln des Christentums, nach dem Leben der ersten christlichen Gruppen. Kurz und gut: Die erstarrte Religion soll neu belebt werden...."
https://www.deutschlandfunk.de/philosophie-gott-ist-tot-und-nietzsche-unsterblich-100.html

Weil der die "tiefe" Verlogenheit, Grausamkeit und Entmenschlichung im sog. "Christentum" erkannte: „Ich verurteile das Christentum, ich erhebe gegen die christliche Kirche die fruchtbarste aller Anklagen, die je ein Ankläger in den Mund genommen hat. Sie ist mir die höchste aller denkbaren Korruptionen, sie hat den Willen zur letzten auch nur möglichen Korruption gehabt. Die christliche Kirche ließ nichts mit ihrem Verderbnis unberührt, sie hat aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht. Man wage es noch, mir von ihren 'humanitären' Segnungen zu reden! Irgend einen Notstand abschaffen ging wider ihre tiefste Nützlichkeit, sie lebte von Notständen, sie schuf Notstände, um sich zu verewigen ..." "Christlich ist ein gewisser Sinn der Grausamkeit gegen sich und andere; der Haß gegen die Andersdenkenden; der Wille, zu verfolgen. ... Christlich ist der Haß gegen den Geist, gegen Stolz, Mut, Freiheit, libertinage des Geistes; christlich ist der Haß gegen die Sinne, gegen die Freuden der Sinne, gegen die Freude überhaupt." (Friedrich Nietzsche)

Nietzsche wurde doch niemals unreligiös!!

Er kämpfte doch nur rational gegen die damalige Mitleidsethik des Christentums, das er von Kindheit an kennenlernte, gegen die dissozial kapitalistische Ideologie der jüdisch-christlichen Kirchenfunktionäre, die niemals gegen die mächtigen Reichen handelten, sondern höchstens den ohnmächtigen betont Frauen und Kindern, die im Kirchensaal hockten und sich noch vor dem Teufel und dem alttestamentarisch-jüdisch strafenden Gottvater fürchteten, verkündend predigten, dass es nach dem Tod von ihrem lieben Gott, der ja alles sieht, eine ewige Gerechtigkeit gäbe.

Deshalb schimpfte ja auch Karl Marx früher als Nietzsche gegen alle geistigen Mitläufer des Raubtierkapitalismus für einen humanistischen Kommunismus, dass deren ewiges Interpretieren der Welt unsinnig sei, dass nur die weltverbessernde Veränderung für jeden Menschen das Ziel allen Denkens und Handelns zu sein habe.

Und Nietzsche war emotional von Mitgefühl und Mitleid im höchsten Maße erfüllt, so sehr, dass er einfach gegen alles und jeden war, das und der auch nur in kleinster Weise Zwang auf den Menschen, der von Natur aus von größter Stärke sei, auszuüben versuchte. Er versuchte die physische und psychische Unabhängigkeit jedes Menschen von Irgendwem und von Irgendetwas jedem Menschen zu predigen.

Als seine Religion des freien Übermenschen verwendete Nietzsche das patriarchalische Weltbild des parsischen, männliches Gottes Zoroaster, über das wir zu Nietzsches Zeit noch viel weniger wussten als wir heute wissen. "Also sprach Zarathustra" schrieb Nietzsche und er meinte damit ausschließlich seinen eigenen Gott, seine eigene Religion des absoluten egomanen Intellektuellen, - nicht die der faschistischen Diktatoren oder die der sozialistischen Demagogen -, der eben zum höchsten Glücksgefühl lebenslang nur sein Ich verwirklicht.

Wie minderwertig und unwichtig, wie sinnlos und vollkommen überflüssig muss sich wohl Nietzsche gefühlt haben!? Ein vernichtetes Selbstwertgefühl wie Kafkas Gregor-Käfer im Haus der jüdisch-christlichen Familie mit deren Jahwe-Gott-Vater und abertausenden devot dressierten Mitläufern...

Nietzsche war nicht darauf bedacht alte Werte zu verfolgen, sondern seine eigenen Werte und Ideale zu schöpfen. Was ihn exakt dazu bewegt hat, kann man nur spekulieren.