Warum werden keine Raumschiffe/Raumstationen gebaut die sich um sich selbst drehen um Fliehkraft zu erzeugen?

10 Antworten

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Derzeit haben wir keine Langstreckenflüge, zum Beispiel zu Mars. Über den Preis und technische Herausforderungen wurde ja schon einiges gesagt. Aber wo wäre es denn überhaupt sinnvoll?

Für Shuttle (Erde-ISS/ISS-Erde) wäre das nicht nur total unwirtschaftlich. Es gibt aber ohnehin massive g-Kräfte beim Start, zünden neuer Stufen usw. Wozu der Luxus in der "Schwebephase"?

In Stationen: Abgesehen davon, dass es teuer wäre: Es wird nicht gewollt. Die meisten Experimente (und dafür ist die ISS primär da) SOLLEN in Mikrogravitation ("Schwerelosigkeit") durchgeführt werden. Wenn es nicht um ionisierende Strahlung, Weltraum- oder Erdbeobachtungen geht, dann geht es eben genau darum, Experimente in "Schwerelosigkeit" durchzuführen.

Flug zum Mars? Ja, wäre zum ersten Mal vielleicht sinnvoll. Allerdings ist das keine Luxusreise. Wenn die Astronauten durch Trimmrad und Co fit gehalten werden können ist das wahrscheinlich effizienter als die Station drehen zu lassen. Wenn man nicht eine Raumkapsel zu einer schnell drehenden Zentrifuge machen will, dann braucht man auch einen gewissen Durchmesser und damit eine Größe. Masse ist aber entscheidend für den Marsflug. Das könnte sich also erst lohnen, wenn SEHR viele Menschen auf einmal zum Mars fliegen sollen.

Raumstation als Hotel: Ganz klar: Ja. Da wäre es sinnvoll. Aber noch sind wir nicht so weit.

Flug zum Mars für zahlende Gäste? Kombination Hotel und 'Flug zum Mars'. Muss schon groß sein und die Gäste müssen dann vielleicht 300 statt 100 Millionen zahlen (nur Hausnummern!!!). Eines Tages vielleicht - aber das ist sicher lange hin.

Die technischen Herausforderungen und die Kosten wären gewaltig! Würde schlicht eine enge Kapsel in eine hochfrequente Rotation versetzt, würde den Astronauten nur schwindelig. Das rotierende System sollte schon möglichst einen Radius von wenigstens. 10-20 Metern haben, möglichst mehr. So ließe sich

  • erstens die Rotationsgeschwindigkeit erheblich reduzieren bei gleicher Beschleunigung der Astronauten im äußeren Bereich, mit hoher Kreisbahngeschwindigkeit.
  • zweitens die Beschleunigung der Astronauten einigermaßen konstant halten, wenn sie kleine radiale Ortsveränderungen im rotierenden System durchführen. Denn in der Drehachse ist die Kreisbeschleunigung ("künstliche Schwerkraft") gleich null. Dort wird es dem Passagier nur schwindelig durch die Drehung um die eigene Achse.
  • drittens die wechselnden Präzessionsbewegungen (Umwucht, "Eiertanz") des Systems einigermaßen klein halten, die durch die Schwerpunktverlagerungen in dem System entstehen bei Ortsveränderungen der Passagiere.

Kurzum, wenn das System einigermaßen stabil funktionieren soll, braucht man schon ein mobiles System mit gewaltigem Trägheitsmoment, mit großer Ausdehnung und großer träger Masse (zwecks Stabilisierung). Und die macht sich beim Start von der Erde als große schwere Masse bemerkbar. Der Energieaufwand für den Start und auch für die Navigation im Weltraum mit der trägen Masse wäre kaum zu bezahlen.

Ich schätze, dass man zumindest für orbitale Raumstationen solche Rotationen in's Auge fassen wird, wenn sich dort Menschen jahrelang aufhalten sollten. Dabei würde aber noch ein ganz neues Problem auftauchen: Bei herannahenden natürlichen Trümmern oder v.a. Weltraumschrott würde sich das Ausweichmanöver sehr schwierig gestalten mit dem hohen Trägheitsmoment.

Alles klar, oder noch Fragen dazu?

In der Praxis gibt es da große Probleme, das ganze ordentlich zu wuchten und somit die Materialbelastungen gering zu halten. Da sich permanent Menschen bewegen würden, wäre das ein erhebliches Problem, dazu kommt das unregelmäßige Kraftempfinden zwischen Beinen und Kopf, dazu der konstruktive Aufwand für ein Problem, von dem nicht einmal klar ist, ob es überhaupt existiert (immerhin verbringen ISS-Besatzungen derzeit auch 6 Monate an Bord).

Ich denke, das liegt unter anderem daran, dass sich ohne Schwerkraft der gesamte, ohnehin schon knapp bemessene Innenraum nutzen lässt. Die Astronauten können quasi an der Decke schlafen oder sie als Lager nutzen, weil es ohne Schwerkraft auch kein Oben und Unten gibt. Würde man die Station in Rotation versetzen, würde auch alles im Inneren nach außen gedrückt werden, der nutzbare Bereich würde sich auf die Außenwand reduzieren.

Bei einer entsprechend großen Station wäre das kein Problem, nur ist es derzeit vermutlich nicht wirtschaftlich, derartige Massen in die Umlaufbahn zu befördern und dort zu halten. Wenn Starship soweit ist, dass es zumindest regelmäßig Frachtflüge ausführen kann, könnte sich das aber durchaus ändern.

Daran wird seit langem gearbeitet. Hätte man Wernher von Braun mehr Geld gegeben, wäre das schon Realität. Es gibt aber Anzeichen dafür, das Fliehkraft die Schwerkraft nicht vollständig ersetzen kann. Man müsste erstmal so ein Ding bauen und vergleichend ausprobieren. Genausowenig weiss man, ob der Mensch dauerhaft unter geringerer Schwerkraft, wie auf Mond oder Mars, überleben kann. Muss auch noch ausprobiert werden. Die Raumfahrt an sich ist momentan ein großes ausprobieren. Die Vorserientests lassen noch keine Interpretationen zu. (anderer Begriff dafür, das uns auch alles um die Ohren fliegen könnte.)