Vergleich Hedonistische Ansätze von Jeremy Betham und John Mill mit antikem hedonismus von Epikur?

1 Antwort

Das fällt mir insoweit schwer, als ich von der Schublade "Hedonismus" nichts halte. Den sog. Hedonismus hat es meiner Meinung nach nie gegeben. Das ist eine "feindliche" Erfindung der Religiösen, speziell der Christen und der mit ihnen verbündeten philosophischen Idealisten, um alle, die sich nicht ihrer Leibfeindlichkeit und Geistseligkeit verbunden fühlten zu diskreditieren. Da hat man schnell die höhere Geistigkeit des eigenen gegen die nieder Körperlichkeit der bösen Hedonisten abgegrenzt und sie in die Ecke des Teufels gestellt. Das ist eine bekannte Strategie im Kulturkampf, wo es eigentlich um die durchaus fleischlichen Töpfe der Macht geht. In den Kirchen von allen Verzicht fordern und in den eigenen Palästen als Vertreter des armen Jesus rumhuren, fressen und saufen war schon immer eine Spezialität des höheren Klerus und wenn es um ihre sehr ungeistige Macht ging, kannten sie mit niemandem Erbarmen.

Was also ist der Unterschied zwischen der Lebensphilosophie des Epikur und der von Bentham und Mill? Grob gesprochen eintausendunddreihundert Jahre, wenn man etwa 300 n.Chr. als das Ende des Epikureismus nimmt. Dazwischen liegt gut 1.000 Jahre lang die Machtübernahme des Christentums, in der Epikureismus und alle diesseitige Philosophie, die zudem ein Fortleben nach dem Tod bestreitet, hart verfolgt wurden. Wer nur ansatzweise in diese Nähe kam, wie Giordano Bruno, wurde öffentlich geschändet und verbrannt. Zimperlich waren die Hochgeistigen nie, wenn es um ihre Macht ging. Und dennoch konnten sie auch nach 1.000 Jahren die Idee einer diesseitigen Lebenskunst nicht ganz zum Schweigen bringen. Doch bis heute haben sie die diesseitige Lebenskunst als Hedonismus verunglimpft und überall wird es noch nachgeplappert. Die Lebenskunst des Epikur entsprach seiner Zeit um 300 v.Chr., in der ALLE Philosophen eine Philosophie der Lebenskunst für das AKTUELLE Leben darboten. Das wurde dann von den Christen auf ein versprochenes jenseitiges Leben umorientiert. Dazu sollte man sich mal die mittelalterlichen Bilder des "Jüngsten Gerichts" anschauen. Das diesseitige Leben hatte keinen eigenen Wert mehr, war nur noch eine Bewährung für dieses "Jüngste Gericht" und ewige Seligkeit oder Verdammnis danach. Zwar wurde der Platon- und Neoplatonismus für die Theologie ausgeschlachtet, aber um die Diesseitigkeit seiner Lebenskunst gekürzt. Noch schlimmer erging es Aristoteles, der, wie man gut im Roman "Der Name der Rose" nachempfinden kann, vielen strenggläubigen Jenseitsorientierten ein Dorn im Auge war.

Des Aristoteles Unterscheidung in Geist und Materie hat man schnell und gern aufgegriffen, um Epikur des Materialismus zu bezichtigen, obwohl Epikur den aristotelischen Dualismus abgelehnt hat. Für Epikur waren Geist und Materie nichts Eigenes sondern spezielle Erscheinungsformen eines komplexen Seins. Lebenskunst war für Epikur ein sich in dieser Welt und im aktuellen Leben Einrichten, weil es nach seiner Meinung kein jenseitiges Leben gab. Wie komme ich zu einem gelingenden Leben unter den Bedingungen unseres Menschseins als gesellschaftliche Wesen und den Bedingungen dieser Welt. Seine grundsätzliche Einsicht: Nicht nur der Mensch, alles Leben ist auf Überleben eingerichtet und das Lebendige hat dabei Erfahrungen gesammelt, die ihm Signale geben, was dem Überleben günstig ist und was feindlich. Die günstigen Signale kann man im Begriff "Lust/Freude" bündeln, die ungünstigen im Begriff "Schmerz/Unwohlsein". Doch der Mensch reagiert nicht unreflektiert auf diese Signale sonder ist in der Lage, sie mit durchdachter Erfahrung zu werten, d.h. bewusst Schmerz auszuhalten, wenn das zu einer größeren Freude führt. Die angebliche primitive reine Lustorientierung des Epikur stellt sich da schon als grobe Einseitigkeit und Verleumdung heraus.

Jeremy Bentham und John Mill sind bereits Kinder der engl. Aufklärung, die auch im Politischen anders als in Frankreich und Deutschland erfolgreich dabei waren, die Macht des Feudalismus und der Kirche zurückzudrängen. Und der "Materialismus" und "Hedonismus" des Epikur waren in der Tat eine sehr einflussreiche Inspirationsquelle der Aufklärung, obwohl vom Epikureismus nach der Verfolgung nur zwei kleine sehr verkürzte Werke übrig geblieben waren: Das 10. Buch des Diogenes Laertius mit den Briefen und "De rerum natura", das Gedicht des röm. Dichters Lukrez. Beide Schriften konnten nur "geheim" unterm Tisch gehandelt werden, denn offiziell waren sie wie die meisten Schriften der Aufklärer selbst verboten. Anders als heute konnten sich die Aufklärer nicht in freier Diskussion austauschen. Die Gesamtsituation war also für Bentham und Mill eine vollkommen andere als für ihr Vorbild Epikur. Sie steckten alle von den Füßen bis an den Hals noch in christlicher Prägung, nur der Kopf hatte begonnen, diese Last abzuschütteln. Zu Benthams und Mills Zeit hatte das Bürgertum gerade die politische Macht errungen und wollte die Last des Feudalismus und der Kirchendominanz abschütteln. Das war nicht nur ein politischer, es war insgesamt ein Kulturkampf, in dem es darum ging, die Werte als Grundlage von Recht und Gesetz neu zu bestimmen, denn die alten Werte hatten bisher die Macht des Adels und der Kirche gestützt. Die geistige Auseinandersetzung dazu wird gern in die Schublade "Utilitarismus" gesteckt und speziell in Deutschland als nur nützlichkeitsorientiert verunglimpft. Der Fürstendiener Goethe, das über dem Volk schwebende Genie, hat das ebenso getan wie der Verklärer der preussischen Kaisermacht Hegel. Eine Aufklärung mit politischer Relevanz hat es in Deutschland nie gegeben. Kant hat etwas aufklärerisch geflackert, mehr nicht. Wer weiß denn heute noch, dass auch Kants Werke auf dem Index der verbotenen Bücher der röm. kath. Kirche standen?

Bentham und Mill mussten sich ihren Epikur erst erarbeiten in einem diesem feindlichen geistigen Umfeld. Sie haben sich inspirieren lassen. Doch eine freie Diskussion war nicht möglich. Sie mussten sich mit viel Mühe aus dem geistigen Spinnennetz des philosophischen Idealismus und christlicher Prägung befreien. Dabei hatten sie eine praktische Aufgabe zu bewältigen: Umkehrung überkommener Werte einer fast abgeschüttelten Macht. Die Lebenskunst des Epikur ist gestaltungsoffen und grenzt nur negativ ab mit Warnungen vor der Ausnutzung der Ängste und Begierden (!). Bentham und Mill dagegen mussten aus dieser Grundeinstellung positive Werte und Maßstäbe schaffen für eine neue, freie bürgerliche Welt.

Grautvornix16  27.09.2017, 21:31

Epikur vs. religiösem Machtaparat: ein bedingungsloses "Ja" zu Ihrer Analyse.

Was die "Verklärung" des Utilitarismus und dessen "In-Beziehung-Setzen" zu Epikur und der Aufklärung betrifft: ein vehementes Nein und die Empfehlung der Denkschrift von Adorno: Dialektik der Aufklärung.

Der Utilitarismus ist der Kern unserer heutigen Probleme mit einer "transhumanen" Ökonomisierung trivialen, inhumanen Effizienzdenkens. Aus meiner Sicht steht der Utilitarismus dem Denken Hitlers näher als den Ideen Epikurs.

Soviel Ehre hat der angelsächsichsche Empirismus nicht verdient wie im Gegenzug der europäische Idealismus an Anerkennung zu Unrecht nicht erhält.

Nix für Ungut. ;-)

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berkersheim  27.09.2017, 21:45
@Grautvornix16

Deine Utilitarismus-Kritik kann ich nicht nachvollziehen. Allerdings bin ich kein Freund des Bürgersöhnchens mit Marxverschnitt Adorno. Dieser ganze linke Quatsch kommt nicht an mich ran. Den liberalen Utilitarismus mit dem Diktator Hitler in Verbindung zu bringen ist ein starkes Stück. Da hat Gott mehr Schuld. Hätte er Adam und Eva nicht geschaffen, gäbe es keinen Hitler - Adorno erfreulicherweise auch nicht. Der angelsächsiche Empirismus steht hoch über dem deutschen Idealismus. Dessen Vaterschaft könnte man allerdings Hitler unterschieben. Empirismus und Nazirassismus vertragen sich nicht. Heidegger dagegen fand das nicht.

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