Unterschiede/Gemeinsamkeiten der Verfassung von 49 und 71?

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Die von der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 28. März 1849 beschlossene Reichsverfassung, ist im Zusammenhang mit der vom Volk ausgehenden Revolution 1848/1849 entstanden. Aufgrund der Niederlage der Revolution konnte sie nicht in der Realität durchgesetzt werden. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 ist in Zusammenhang mit einem Krieg gegen Frankreich und Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten entstanden.

Vollständig alle Einzelheiten lassen sich kaum übersichtlich auflisten. Die hauptsächlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Verfassungen können mit Hilfe von Überblicksdarstellungen und durch Durchlesen der Verfassungsbestimmungen festgestellt werden.

Gemeinsamkeiten

  • Staatsform: konstitutionelle Monarchie; erbliche Monarchie mit einem Kaiser als Staatsoberhaupt
  • föderalistische Staatsorganisation (Bundesstaat). Es gab einen Gesamtstaat (dessen Recht in seinem Zuständigkeitsbereich höher stand als das Recht einzelner Länder) mit einer regierenden Leitung auf Bundesebene und eine Reihe von Einzelstaaten, die einige Selbständigkeit und eigene Befugnisse hatten.
  • Gewaltenteilung: Es gab die unterschiedenen Staatsgewalten Legislative (gesetzgebende Gewalt/Macht), Exekutive (ausführende/vollziehende Gewalt/Macht) und Judikative (rechtsprechende Gewalt/Macht).
  • viele Befugnisse des Kaisers, z. B. Ernennung und Entlassung der Reichsminister (1849) bzw. des Reichskanzlers), militärischer Oberbefehl, völkerrechtliche Vertretung des Reiches, Erklärung von Krieg und Frieden und Abschließen von Bündnissen und Verträgen (unter Mitwirkung des Reichstages bzw. des Bundesrates und des Reichstages), Einberufung und Schließung des Reichstages und vorübergehende (1849: höchstens 3 Monate 1871: höchstens 90 Tage) Auflösung des Volkshauses (1849) bzw. des Reichstages (1871)
  • Gültigkeit von Regierungshandlungen des Kaisers nur bei Gegenzeichnung durrch einen Reichsminister (1849) bzw. den Reichskanzler (1871)
  • Volksvertretung durch ein Parlament (Reichstag)
  • Ländervertretung (1849: Staatenhaus als ein Haus/eine Kammer des Reichstages; 1871: Bundesrat)
  • Wahlrecht: für männliche Staatsbürger mit einem Mindestalter von 25 Jahren allgemeine, unmittelbare/direkte, freie, gleiche und geheime Wahl der Abgeordneten im Parlament (1849: § 94 der Verfassung und Reichswahlgesetz vom 12. April 1849; 1871: Artikel 20 der Verfassung und Wahlgesetze; auf der Ebene der Einzelstaaten konnte das Wahlrecht allerdings anders sein, so blieb in Preußen das 3-Klassen-Wahlrecht)

Unterschiede

  • Aufbau der gesetzgebenden Gewalt: In der Verfassung von 1849 lag die Gesetzgebung beim Reichstag (außerdem hatten Kaiser und Reichsminister ein Initiativrecht für Gesetze). Dieser bestand aus einem gewählten Volkshaus und einem Staatenhaus mit Vertretern der Länder (teils von den Regierungen ernannt, teils von den Parlamenten der Einzelstaaten gewählt). Es gab also ein Zweikammersystem und zu Reichsgesetzen war eine Zustimmung beider Kammern erforderlich. In der Verfassung von 1871 gab es den gewählten Reichstag (als Parlament mit einer Kammer) und als Vertretung der Länder den Bundesrat (Vertreter von den Regierungen ernannt). Eine Zustimmung des Bundesrates zu Reichgesetzen war erforderlich.
  • Ausmaß der Kontrolle der Regierung durch das Parlament: In der Verfassung von 1849 gab es verantwortliche Reichsminister, wobei nicht ausdrücklich bestimmt war, wem gegenüber und wie diese genau verantwortlich waren. Die Regierung war rechenschaftspflichtig und die Reichsminister konnten vom Reichstag beim Reichsgericht angeklagt werden (§ 126. i) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Reichsminister, insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen.). In den Einzelstaaten waren die Minister der Volksvertretung verantwortlich (§ 186). In der Verfassung von 1871 hatte der Reichstag auch Mitspracherechte (vor allem Gesetzgebung und Haushaltsbewilligung), aber nur schwächere Kontrollmöglichkeiten. Eine Anklage der Regierung war nicht möglich.
  • herausgehobene Stellung eines Reichskanzlers: In der Verfassung von 1849 gab es mehrere Reichsminister, in der Verfassung von 1871 in der Reichsleitung einen übergeordneten Reichskanzler und ihm untergeordnet mehrere Staatssekretäre. Außerdem hatte der Reichskanzler auch noch den Vorsitz im Bundesrat.
  • Grundrechte: Verfassung von 1849 enthielt einen umfangreichen Katalog von Grundrechten. Die Verfassung von 1871 enthielt dagegen keine Grundrechte, diese waren in den Verfassungen der Einzelstaaten festgelegt.
  • Veto-Frage: Die Verfassung von 1849 enthielt ein aufschiebendes (suspensives) Veto der Reichsregierung (Kaiser und Reichsminister) gegen Reichstagsbeschlüsse, die Verfassung 1871 kein Veto, allerdings hatte er als König von Preußen die Möglichkeit, zusammen mit einigen anderen Monarchen über den Bundesrat Gesetzesveränderungen zu verhindern.
  • Richterernennung: Nach der Verfassung von 1871 konnte der Kaiser die Richter am Reichsgericht ernennen.

1849 sollte es eine echte Demokratie werden, wenn auch ein Kaiser an der Spitze stand. 1871 gab es eigentlich nur einen Staatenbund, bei dem der preußische König automatisch deutscher Kaiser war. Der Kanzler, also der Regierungschef, wurde allein vom Kaiser bestimmt, es gab also kein parlamentarisches System. Außerdem hatte der Bundesrat, der eine reine Vertretung der Fürsten war, eine Art Veto Recht, d.h. ohne ihn konnte kein Gesetz zu Stande kommen. D.h.: im Gegensatz zu einer normalen Demokratie hatte der demokratisch gewählte Reichstag 1871nicht einmal die Chance, allein Gesetze zu beschließen.