Unterschiede : Schleier des Nichtswissens, Naturzustand, Urzustand

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Urzustand ist ein ursprünglicher Zustand. Es handelt sich um eine Ausgangslage. Der Urzustand ist der erste Zustand, ob auf einen tatsächlichen geschichtlich Zustand in der (fernen) Vergangenheit bezogen oder auf eine gedankliche Vorstellung. Ohne nähere Erläuterung ist durch den Begriff über die Beschaffenheit des Zustandes kaum etwas ausgesagt. Der Ausdruck „original position“ von John Rawls ist mit „Urzustand“ übersetzt worden, was ohne Kenntnis der Zusammenhänge bei Rawls irrige Vorstellungen auslösen kann.

Naturzustand ist eine Bezeichnung für einen natürlichen Zustand, in dem es keinen Staat und keine verfälschende Gesellschaft Zwänge gibt. Inhaltlich ist die Beschaffenheit aufgrund der Vielfältigkeit des Naturbegriffs ohne nähere Erläuterung noch verhältnismäßig verschwommen. Kultur ist ja auch gewissermaßen die zweite natur des Menschen. Der Naturzustand kann als im Geschichtsverlauf tatsächlich nachweisbarer Zustand oder als bloß gedachter (also fiktiver) Zustand gemeint ein. Der Naturzustand muß anders als der Urzustand nicht unbedingt der früheste Zustand sein.

Die Eigenschaften der Menschen können in den verschiedenen gedanklichen Entwürfen unterschiedlich sein, ob ziemlich roh, selbstsüchtig und nicht von Vernunft durchdrungen oder unverdorben und gütig. Es kann auch ein Bezug auf die Vernunftbegabtheit des Menschen stattfinden. Der Naturzustand ist ein Modell/Gedankenexperiment, das vor allem in Verbindung mit einer Lehre vom Gesellschaftsvertrag im rationalen politischen Denken der Aufklärung einer kritischer Untersuchung und einer Begründung eines Staatsentwurfes diente.

Der „Urzustand“ als Wiedergabe von „original position“ bei John Rawls entspricht dem Naturzustand dieser Vertragstheorien.

Schleier des Nichtwissens“ („veil of ignorance") ist eine von John Rawls in „A Theory of Justice“ („Eine Theorie der Gerechtigkeit“) vorgenomme besondere Gestaltung eines Ausgangszustandes (der einem Naturzustand in Theorien des Gesellschaftsvertrages entspricht) in einer bestimmten Hinsicht. Personen treffen eine rationale Wahl über Grundsätze (Prinzipien) der Zusammenarbeit in einer Gesellschaft hinter einem Schleier des Nichtwissens, das heißt unter der Bedingung einer Unkenntnis der eigenen Lage (mit bestimmten Fähigkeiten und Interessen) in dieser Gesellschaft. So wird im Gedankenexperiment für einen Vertrag, der Fairness verwirklichen soll, eine grundsätzliche Gleichheit und Unparteilichkeit (Ausklammerung der persönlichen Lage) gewährleistet und eine Möglichkeit allgemeiner Übereinstimmung geschaffen.

In seinem Werk „A Theory of Justice“ („Eine Theorie der Gerechtigkeit“), Kapitel 1, § 3 erklärt John Rawls es zur leitenden Idee, daß die Prinzipien der Gerechtigkeit für die Grundstruktur der Gesellschaft Gegenstand einer ursprünglichen Übereinstimmung/Vereinbarung sind. Die Prinzipien (Grundsätze der Gerechtigkeit für die Grundstruktur der Gesellschaft) würden freie und rationale Personen, die sich um die Förderung ihrer eigenen Interessen kümmern, in einer Ausgangslage der Gleichheit als Bestimmung der grundlegenden Bedingungen ihrer Vereinigung/ihres Zusammenschlusses (bei der Entscheidung über die Ordnung wird ein „Schleier des Nichtwissens“ über die eigene Stellung gedacht, als Gewährleitung von Unparteilichkeit) akzeptieren (annehmen). Von der persönlichen Lage mit Fähigkeiten und Interessen soll abgesehen werden (Ausblendung durch einen „Schleier des Nichtwissens“), weil sonst Verzerrungen die Wahl der Grundsätze beeinflussen. Die Gestaltung des Urzustandes beim rechtfertigungstheoretischen Gedankenexperiment soll eine faire Übereinkunft ermöglichen. Der „Schleier des Nichtwissens“ sorgt für eine faire Ausgangslage. Grundsätze, auf die sich rationale Personen einigen würden, könnten noch nicht als gerecht gelte, sondern nur die einer rationalen Einigung unter fairen Bedingungen.

Schleier des Nichtwissens, Naturzustand, Urzustand sind Begriffe von wissenden Wesen. Es sind rückwärtsdeutende Vorstellungen, die teils auch idealisieren. Der schlechteste der drei Begriffe ist Naturzustand, da eigentlich auch unsere Kultur eine Entwicklung unserer natürlichen Anlagen ist. Bei Urzustand stellt sich die Frage, wo man beim Trip in die Vergangenheit anhalten will. Ich persönlich empfinde die alten Mythen z.B. das Gilgamesch-Epos, die Erzählung vom Paradies oder die Prometheus- und Pandorageschichte als aussagekräftiger als hohle Begriffe. Die Menschen, die diese Geschichten erzählt haben, waren noch näher am Erleben, dass sich der Mensch mittels Verstand und begrifflicher Reflexion aus der Natur gelöst hat. Der Baum der Erkenntnis im Paradies z.B. bewirkt - evtl. noch vor der Sprachentwicklung, dass der Mensch anfängt, in gut und böse zu bewerten, dass er auf sich (als Mensch) bezogen zu bewerten beginnt, noch lange bevor es quantifizierte Bewertungen wie Preise gibt. Nach der Prometheus-Sage beginnt die Loslösung des Menschen aus der "unbewussten Natur" außer mit Werten auch mit funktionalem Denken. Die Natur wird ihm zum Objekt und der andere zum Konkurrenten (Kain und Abel). In diesen Erzählungen stecken viele Zusammenhänge, weil sie nicht begrifflich theoretisieren sondern erzählerisch Erlebtes beschreiben.