Vergleich Locke und Thomas Hobbes Naturzustand?

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Thomas Hobbes (1588 – 1679) hat seine politische Philosophie am ausführlichsten im »Leviathan« (1651) dargelegt. Seine starke Betonung der Sicherung der Selbsterhaltung und des Niederhaltens agressiven Verhaltens durch einen Souverän mit unbeschränkter Herrschaft in einem Staat ist auch vor dem Hintergrund der Kriege/Bürgerkriegskämpfe seiner Zeit zu deuten. Diese konnten ein Verlangen nach einer »starken Hand« auslösen und verstärken, die entfesselt tobendes Töten, Rauben, andere grausame Handlungen und wirres Durcheinander beendete und mehr Ruhe und Ordnung schuf. Er war ein Anhänger einer Königsherrschaft und Gegner des Parlaments in der Zeit der englischen Bürgerkriege.

John Locke (1632 – 1704) hat seine politische Philosophie in »Two treatises of government« („Zwei Abhandlungen über die Regierung“; zuerst im Dezember 1689 anonym erschienen und auf dem Titelblatt auf 1690 datiert) dargelegt. In England hatte das Parlament an Macht gewonnen. In der Glorious Revolution (Glorreiche/Ruhmreiche Revolution) 1688/1689 wurde dann König Jakob (James) II., der eine von gesetzlicher Einschränkung losgelöste Herrschaft und eine Rückkehr zum Katholizismus anzustreben schien, für abgesetzt erklärt und durch Wilhelm (William) III. und Maria (Mary) II. ersetzt. Mit der Bill of Rights 1689 und weiteren rechtlichen Bestimmungen bis hin zu einem Thronfolgegesetz (Act of Settlement) 1701 entstand eine konstitutionelle Monarchie, bei der das Parlament starke Befugnisse hatte. John Locke war ein Befürworter des Parlamentarismus und begrüßte die Glorious Revolution.

Texte sind:

Thomas Hobbes, De Cive (der Systematik nach dritter Band einer dreibändigen Darstellung (ab 1637 hat er daran gearbeitet) der Grundzüge seiner Philosophie »Elementorum philosophiae« (in späteren Auflagen: »Elementa philosophiae«), zuerst 1642 als Privatdruck in Paris erschienen, 1647 in einer durchgesehenen und ergänzten Fassung in Amsterdam

Thomas Hobbes, The elements of law, natural and politic (im Mai 1640 vollendetes Werk, zu Lebzeiten nicht gedruckt)

Thomas Hobbes, Leviathan or the matter, forme and power of a commonwealth ecclesiastical and civil (1651)

John Locke, Two tracts on Government (1660 verfaßt, zu Lebzeiten nicht veröffentlicht)

John Locke, Two treatises of government. The second treatise of government. An Essay concerning the true Origin, extent, and end of civil government (1689/1690)

Zwischen den Staatstheorien von Thomas Hobbes und John Locke gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Beide vertreten eine Vertragstheorie (Gesellschafstvertrag).

Einflüsse der Zeitumstände können eine Rolle für Unterschiede gespielt haben. Hobbes dachte die Menschen vor allem von der Möglichkeit zu schlimmen Handlungen bestimmt und versuchte bei seiner Staatstheorie, ein Gegenmittel gegen kriegerische Gewalttaten mit Tötungen, Zerstörungen und Plünderungen und Wirren zu entwerfen, Locke schätzte die menschliche Natur als nicht ganz so bedrohlich ein, hatte mehr Vertrauen in ein Voranschreiten der Aufklärung und befürwortete eine zunehmende Parlamentarisierung mit gewissen demokratischen Bestandteilen der Verfassung.

Es gibt mehrere Unterschiede, am grundlegendsten sind wohl die folgenden:

1) Hobbes beurteilt die menschliche Natur und das Verhalten der Menschen im Naturzustand als sehr bedrohlich und es geht ihm vorrangig um eine Erzwingung eines Friedens innerhalb eines Staates durch einen Souverän mit großer Macht. Locke beurteilt die menschliche Natur und das Verhalten der Menschen im Naturzustand als nicht so stark bedrohlich (nur Unsicherheit, nicht ständiger Kriegszustand), der Abwendung dieser Gefährdung wird nicht so viel untergeordnet und der Schutz und Rechte der Indivdiuen gegen den Staat/das Staatsoberhaupt/die Regierung sind wichtig.

2) Bei Hobbes hat das Naturrecht keine echten inhaltlichen Normen, seine Befolgung ist Klugheit, im Naturzustand gibt es daher keine abgrenzenden Rechtsansprüche und die natürlichen Gesetze sind im Naturzustand keine eigentlichen Gesetz, sondern Eigenschaften, die Menschen zu Frieden und Gehorsam hinleiten, werden erst im Gesellschaftszustand (Errichtung eines Staates) zu wirksamen Gesetzen, die dann staatliche Befehle und somit auch bürgerliche Gesetze seien. Bei Locke hat das Naturrecht inhaltliche Normen, die Individuen haben schon im Naturzustand natürliche Rechte und behalten diese im Gesellschaftszustand (Errichtung eines Staates) auch gegenüber dem Souverän.

Gemeinsamkeiten

  • Übergang von Naturzustand zu Gesellschaftszustand durch Gesellschaftsvertrag, wobei der Naturzustand ein gedachter/fiktiver ist und es um rationale Begründung geht, was für eine Art von Staat als gerechtfertigt/legitim gelten kann
  • Freiheit und grundsätzliche Gleichheit der Menschen im Naturzustand
  • Eintritt in Gesellschaftszustand liegt nach rationalem Kalkül einer klugen Wahl der Individuen im eigenen Interesse und ist nützlich
  • Wunsch nach Sicherheit/Frieden ist ein wichtiger Grund für einen Gesellschaftsvertrag
  • Geltung von natürlichem Recht und natürlichem Gesetz (Thomas Hobbes) bzw. natürlichem Gesetz (Thomas Hobbes), die auch als von Gott stammend bezeichnet werden
  • Selbsterhaltung/Schutz von Leib und Leben als ein wesentliches Ziel
  • keine Festlegung auf eine einzige Staats- und Regierungsform als eine, die allein den Vorzug verdient (sowohl Monarchie als auch aristokratische/oligarchische Republik als auch demokratische Republik sind denkbar)

Unterschiede

  • Ausmaß der Gefährdung im Naturzustand: Naturzustand wird von Hobbes als äußerst bedrohlich dargestellt (homo homini lupus est [der Mensch ist dem Menschen ein Wolf]; bellum omnium contra omnes [Krieg aller gegen alle), Locke schildert die Gefahr nicht so extrem
  • Beschaffenheit des natürliches Rechts/Gesetzes (keine inhaltlichen Normen <–> inhaltliche Normen): Naturrecht/natürliches Recht (englisch: right of nature; lateinisch: jus naturale) hat bei Hobbes im Grunde keinen normativen Inhalt, sondern ist eine Erlaubnis zu unbeschränkt frei ausgeübter Selbsterhaltung (Freiheit in der Bedeutung des Fehlens von äußerem Zwang). Im Naturzustand hat jeder ein unbegrenztes Recht auf alles, was er für seine (gegenwärtige und zukünftige) Selbsterhaltung für nützlich hält. Natürliches Recht gilt genaugenommen unter Voraussetzungen (seine Befolgung entspricht Klugheit). Woher die ethische Verbindlichkeit des natürlichen Rechts bei Hobbes kommen soll, bleibt ziemlich unklar. Hobbes betrachtet das Recht und die Gesetze auch als von Gott geboten. Allerdings geht dies nicht über eine Setzung durch eine Willenshandlung hinaus. Natürliches Gesetz (englisch: law of nature) bei John Locke ist ein natürlich (mit Hilfe der Sinne und des Verstandes/der Vernunft) erkennbares und den Gegebenheiten der menschlichen Natur entsprechendes Gesetz, das inhaltliche Normen hat: aus einer Pflicht zur Selbsterhaltung wird Eigentum als Recht abgeleitet, nämlich ein Recht auf Leben, Gesundheit/körperliche Unversehrtheit, Freiheit und materielles Eigentum, wobei (ein sozialer Gedanke) auch das Leben anderer möglichst erhalten werden soll. Diese Rechte sind vorstaatlich, gelten auch schon im Naturzustand. Der Verstand/die Vernunft lehrt, wenn befragt, die Menschheit, da alle gleich und unabhängig seien, solle niemand einem anderen an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen. Denn alle Menschen seien das Werk eines einzigen allmächtigen und unendlich weisen Schöpfers, die Diener eines einzigen souveränen Herrn, auf dessen Befehl und in dessen Auftrag sie in die Welt gesandt wurden.
  • Gewichtung der Selbsterhaltung: Bei Hobbes gibt es zwar auch Freiheit und Sicherung von Eigentum als Ziele im Staat, aber ausschlaggebend für den Staatsaufbau ist (anders als bei Locke) allein die Selbsterhaltung.
  • Ausmaß der Unterordnung beim Vertrag: Bei Hobbes ist der Gesellschaftsvertrag zugleich ein Unterwerfungsvertrag, bei Locke nicht. Bei Hobbes stellt sich mittels eines auf Interessen reduzierenden Ansatzes nur die Alternative, den Naturzustand zu verlassen und in den Gesellschaftszustand einzutreten oder dies nicht zu tun. Ist der Eintritt einmal erfolgt, gibt es keine Optionen (Wahlmöglichkeiten) mehr, sondern nur noch Gehorsam als Ermöglichungsbedingung der Nutzenmaximierung. Bei John Locke gibt es einen Vertrag zur Einrichtung von Herrschaft, aber keine nahezu uneingeschränkte Unterwerfung.
  • Frage einer Gewaltenteilung (Ablehnung <-> Befürwortung): Hobbes vertritt eine Unteilbarkeit der Staatsgewalt beim Souverän, Locke dagegen Gewaltenteilung (vor allem zur Verhinderung von Machtmißbrauch): John Locke unterscheidet in der Hauptsache die gesetzgebende Gewalt (Legislative) und die vollziehende/ausführende Gewalt (Exekutive); rechtsprechende Gewalt (Judikative) wird von der Legislative oder einer von ihr ernannten Obrigkeit ausgeübt, Rechtsanwendung ist der Exekutive zugeordnet, Locke fordert unabhängige und unparteiliche Richter; Locke nennt noch die föderative Gewalt (Vertretung des Gemeinwesens nach außen) und die prärogative Gewalt (Macht, ohne Gesetzesvorschriften nach eigener Entscheidung für das öffentliche Wohl zu handeln, wenn schnelle Maßnahmen nötig sind; eine Art Notstandsrecht) als weitere Staatsfunktionen, da diese nach der Darstellung in der Praxis bei der Exekutive angesiedelt sind, wird üblicherweise von 2 Gewalten bei Locke gesprochen, nicht von 4.
  • Souverän/Souveränität: Bei Hobbes hat der Souverän uneingeschränkte Macht, bei Locke gibt es Volksouveränität (ausgeübt durch Mehrheitsentscheidung) und eine durch Verfassung und natürliche Grundrechte eingeschränkte Macht der Staatsgewalt. Daher ist bei Hobbes eine absolute Monarchie möglich, bei Locke eine Monarchie nur als eine konstitutionelle Monarchie.
  • bevorzugte Staats- und Regierungsformen: Hobbes unterscheidet bei einer Untersuchung die Staatsformen Monarchie, Aristokratie und Demokratie. Er neigt der Monarchie zu, hält sie aber grundsätzlich alle für legitim. Maßstab ist, ob der Souverän seine Aufgabe (friedenssichernde Funktion) erfüllt. Nach John Locke geht alle Staatsgewalt vom Volk aus, direkt oder indirekt (über Wahlen und Abstimmungen bzw. ein vorhandenes Vertrauen), sie wird damit legitimiert. Dabei vollzieht sich die rechtmäßige Entstehung der politischen Gesellschaft, indem die mündigen Personen ihre naturrechtliche Handlungs- und Strafkompetenz teilweise bzw. völlig denjenigen übergeben, die von der neuen Vereinigung, der demokratischen Urversammlung, mit der Legislative und Exekutive betraut/beauftragt sind. Die „höchste Gewalt“ (supreme power) ist die gesetzgebende Institution. In ihr vollzieht sich mit bestimmten Zeitabständen die Urteilsbildung aller, sei es unmittelbar, sei es mittelbar durch Repräsentanten (Volksvertreter) aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen. Nach John Locke kann die Staatsform sowohl eine (konstitutionelle) Monarchie als auch eine Republik sein.
  •  Widerstandrecht: bei Hobbes bleibt nur die Verteidigung des eigenen Lebens als natürliches Recht im Staat und Gehorsam gegenüber den Souverän kann beendet werden (allerdings ohne eine Erlaubnis/Zulässigkeit des noch bestehenden Staates), wenn der Souverän seine Frieden und Ordnung schützende Aufgabe gar nicht mehr erfüllt; bei Locke ist unter Berufung auf vorstaatliche natürliche Rechte Widerstand gegen die Regierung (Legislative und Exekutive) gerechtfertigt, wenn das in sie gesetzte Vertrauen schwer verletzt wird und keine andere Abhilfe möglich ist.

Die historische Situation, in der beide gelebt haben, ist der wesentliche Unterschied. Hobbes (1588 - 1679) wurde groß und erlebte den englischen Bürger- und Religionskrieg, in dem man sich gegenseitig abgemetzelt hat ähnlich wie in Deutschland im 30jährigen Krieg. In diesen Verhältnissen gab es keinen verlässlichen Rechtsgaranten mehr, der Staat drohte zu zerfallen. Es herrschte noch Feudalismus (in Auseinandersetzung mit parlamentarischen Bestrebungen) und Hobbes sah in einem von Volk beglaubigten König den notwendigen Rechtsgaranten für inneren Frieden.

John Locke (1632 - 1704) war wie Hobbes Vertragstheoretiker, doch hatte sich das politische Umfeld mit der Aufklärung langsam geändert, die demokratischen Kräfte gewannen die Oberhand und Locke lehnte es selbstverständlich ab, einen absoluten Souverän wie den König zum Garanten des inneren Friedens zu machen. Seine Vorstellungen favorisierten eine Stärkung des Parlaments, sodass er den Lösungsvorschlag von Hobbes als politisch überholt nicht mehr akzeptieren konnte. Dennoch baut er auf Thomas Hobbes auf und entwickelt ihn weiter. Sein Menschenbild ist optimistischer, weil er wohl nur noch von seinem Vater wusste, wie schrecklich die Bürgerkriegszeit war.