Tod im Vakuum?

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Was so einfach aussieht, behandelt doch unterschiedliche Aspekte:

  1. Tod im Vakuum
  2. Tod bei Entlüftung ins Vakuum
  3. Tod im erdnahen Weltraum
  4. Tod im fernen Weltraum

Kommen wir zu (1): Wer schon einmal ein Leck zugehalten hat -- oder eine Unterdruckpumpe, weiß davon, dass das nicht angenehm ist, aber es tötet nicht. Vorausgesetzt es erfolgt eine mäßige Dekompression, kann es vielleicht vereinzelt zu Hämatomen oder geplatzten Äderchen kommen (im Auge nicht schön), aber nichts "explodiert", "verkocht" oder spritzt durch die Gegend. Letztendlich dürfte die Atmung versagen, die mit einem Druckabfall in Richtung Lunge arbeitet. Und Vakuum kann mensch außerdem nichts atmen. Ergebnis: Ersticken mit Hämatome an der Leiche. Wird der Mensch schnell genug (bevor sein Sauerstoff im Blut aufgezehrt ist) zurück geholt, bleiben allenfalls "nur ein paar blaue Flecke".

Bei (2) wird es kritischer, denn ohne Druckausgleich gehen spontan Gase, die in Blut und anderen Flüssigkeiten gelöst sind, wieder in die gasförmige Phase über. Ob das für eine "Taucherkrankheit" reicht, ist mir nicht bekannt. Vermutlich wird die Hämatombildung stärker sein als bei (1) und die Trommelfelle sollten zumindest schmerzen. Letztendlich würde m. E. auch hier der Erstickungstot drohen, wenn nicht bald wieder etwas geatmet werden kann. Flüssigkeiten an Oberflächen wie der Zunge, könnten ggf. "prickeln", weil Gas ausfällt und zudem eine leicht verstärkte Verdunstung einsetzt. Das ist wohl das, was der Mann in der Druckkammer wirklich erlebt hat. Neben einem riesen Schreck. Kein Verkochen.

Bei (3) hängt es schon davon ab, wo wir uns aufhalten. Aber um in einem stabilen Umlauf zu bleiben, benötigen wir eine hinreichende Orbitalgeschwindigkeit, die uns alle paar Minuten, alle 20 Minuten, alle ... Minuten vor und hinter die Erde führt. Während wir ungeschützt im Erdschatten wohl bald anfingen zu frieren (s. a. (4)) würden wir auf der Sonnenseite mit wenigen Megawatt bestrahlt. Neben einem "Sonnenbrand" und weiteren Strahlenschäden, die sich eher über einen längeren Zeitraum bemerkbar machen würden, könnte der Mensch einen Wärmetot sterben. Auch nicht nett. (Weiteres zu (1) gilt außerdem.)

Bei (4) hat sich bereits einmal jemand Gedanken gemacht; Isaac Asimov veröffentlichte in "Take a deep breath"/"Nimm einen tiefen Atemzug" den Umstieg von einem "Dingi" zurück ins Raumschiff, nachdem der Raumfahrer ohne Anzug dort ausgesperrt worden war. Diese Geschichte wurde später in "Odyssee im Weltraum" aufgenommen. Der Raumfahrer entlüftet das Dingi mäßig schnell, nachdem er vorher tief eingeatmet hat und manipuliert eine Luftschleuse von außen, bis er einsteigen und wieder Atmosphäre herstellen kann. Das Szenario halte ich für realistisch, denn es geht nur über einige Minuten. Auch hat Asimov als Ingenieur auf realistische Vorgänge geachtet. Neben dem Erstickungstot bleibt jedoch noch anzumerken, dass es einfach nicht gesund ist, quasi nackt im Weltraum spazieren zu gehen. Die Gefahr, sich eine letale Strahlendosis einzufangen, die binnen Wochen tötet ist einfach zu hoch. Für einen längeren Aufenthalt "im Freien" käme noch eine abträgliche Wärmebilanz hinzu: Wir heizen uns ständig und sind schlecht isoliert, so strahlen wir ständig 1050 Watt ab. Im Alltag stehen wir mit unserer Umgebung im Wärmegleichgewicht und verlieren in warmen Räumen netto nur 200 Watt, mit Kleidung nur 100 Watt. (Bei 29 Celsius wären wir auch ohne Kleidung glücklich.) Im fernen Weltraum würden wir aber fast unsere ganze Energie ständig verlieren, schnell anfangen zu frieren und schließlich unterkühlen. Wenn wir einen sooo langen Atem haben. (Quelle zur menschlichen Wäremabstrahlung)

Merke:

Wandern miteinander
im Weltraum nie ohne Skaphander!

Woher ich das weiß:Studium / Ausbildung

hier fliegen einige Irrtümer herum, die leicht aufzuklären sind:

Wärmetransport findet im Weltall durch Strahlung statt, nicht durch Atome. In der Erdumlaufbahn zB hat man einen angenehmen Platz an der Sonne.

Dass man platzt, ist übertrieben - selbst Taucherkrankheit ist unwahrscheinlich, da beim Tauchen sehr viel höhere Druckunterschiede mitwirken als das 1 bar um das es hier geht.

Aber man erstickt natürlich, und man trocknet vermutlich schnell aus, weil alle Flüssigkeit nach und nach aus dem Körper dampft.

Du hast da schon viel selbst recherchiert.

Das Blut würde - vermutlich - nicht im herkömmlichen Sinne "kochen", der Gegendruck des umgebenden Gewebes würde dies in den meisten Bereichen des Körpers verhindern. Es würde aber das gebundene / gelöste Kohlendioxid ausperlen, mit ähnlichen unangenehmen Folgen.

Hier gibt es keine "echten" Vergleichstests oder belastbare Unfälle. Der Druckunterschied ist absolut betrachtet scheinbar gering, nämlich 1,0 Bar.

Verhältnismäßig betrachtet ist er aber schon beachtlich. Der Druck geht auf 0,0 Bar runter, als auf GAR NICHTS. Es gibt keinerlei Außendruck, der dem Körperinnendruck entgegensetzt. Das Druckunterschiedverhältnis eines Tauchers, der aus 20m aufsteigt, ist 3:1, sprich: Der Druck oben ist dreimal geringer als unten.

Das Druckunterschiedverhältnis Raumanzug zu Vakuum ist 1:0, sprich: Der Druck "draußen" ist... naja, Ihr wisst schon, man darf nicht durch null teilen.

Sieht aus wie eine Zahlenspielerei. Kann aber durchaus relevant sein. Der Druckabbau von 10 zu 8 Bar ist verhältnismäßig weniger dramatisch, als  von 3 zu 1 Bar, und bei beiden ist der Druckabbau absolut betrachtet gleich.

Kurz: Es steckt eine Ungewissheit in der Annahme, dass ein explosiver Druckabfall von 1,0 auf 0,0 Bar weniger gefährlich ist, als ein schnelles Auftauchen mit höherem Druckunterschied.

Entsprechende Tests hat man - aus naheliegenden Gründen - nicht gemacht.

Ohne Frage ist so ein explosiver Druckabfall sehr schmerzhaft in Lunge, Darm und Ohren, und auch die Augen dürften diesen Druckunterschied deutlich spüren.

Hat aber auch was Gutes: Die Nebenhöhlen sind dann frei.  

VortexDani  05.03.2020, 16:32

Es könnte vielleicht einen Unterschied machen, wie der Körper dem Vakuum ausgesetzt wird, ob sofort durch eine Schleuse (mit Überdruck) ohne Anzug, oder ob nur Teile des Anzugs (mit isolierten Partien) wie den Helm abgenommen werden.

https://en.wikipedia.org/wiki/Uncontrolled_decompression#Myths

Platzen würde man bei "normalem" Druckabfall nicht, wie bei Joseph Kittinger's Hand würde die Haut und Gewebe wohl bis auf das Doppelte aufblähen (und falls ein Beatmungsgerät versorgt und die durchlässigen Hautpartien und Körperöffnungen abgedichtet geschützt sind) sich wieder ohne bleibende Schäden erholen, vorausgesetzt der Körper kommt nach einigen Minuten wieder in Lebensfreundliche Bedingungen und es besteht kein Kontakt zu Material oder keine zu hohen Strahlungsdosen.

Der extremste bekannte ist dieser Tauchglockenunfall in der Nordsee aus dem Jahr 1983, das war ein Druckunterschied von 9 Bar und tatsächlich explosive Dekompression: https://en.wikipedia.org/wiki/Byford_Dolphin#Medical_findings Der Taucher, der am meisten Druckabfall ausgesetzt war ist nicht explodiert, sondern die strömenden Gase pressten seinen Körper gegen eine 60 cm-breite Öffnung und reißten den Großteil seiner Organe und die Wirbelsäule aus seinem Brustkorb bis zu 10 m weit in die nächste Plattform hinaus.

Hat aber auch was Gutes: Die Nebenhöhlen sind dann frei.  

Könnte ich gut gebrauchen :)

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VortexDani  05.03.2020, 16:56
@Casuscactus

:D

Es gäbe noch Aufnahmen des Autopsieberichts (wer unbedingt will kann hier eine verlinkte finden, die will ich hier nicht reinstellen https://www.reddit.com/r/CatastrophicFailure/comments/4x1a2c/byford_dolphin_decompression_accident/)

Es gibt ein paar Missverständnisse zu dem Fall, selbst Hellevik, dessen Körper am meisten verunstaltet wurde, ist nicht explodiert. Es war der Druck, welcher seinen Körper durch die etwa Sichelmondförmige Silhouette (wie ein schräg aufliegender Gullideckel; max. 60 cm) der noch etwas offen stehenden Druckkammertür mit einer nahezu instantanen Kraft von etwa 25 t hinausbeförderte.

Ich frage mich, ob ein explosiver Druckabfall bei Bedingungen wie sie beim Weltrekord von 701 m simulierter Tauchtiefe durch Theo Mavrostomos (Comex Hyper X) herrschten, ausreichen um zu einem Platzen zu führen. Das wären über 69 bar Differenz. https://en.wikipedia.org/wiki/Compagnie_maritime_d%27expertises

https://docs.bluerobotics.com/calc/pressure-depth/

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Casuscactus  05.03.2020, 17:06
@VortexDani

Auch das war wieder weit mehr Information, als ich vertragen kann. Ich hab eine Bildvorschau vom armen Truls gesehen. Das reichte...

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VortexDani  05.03.2020, 17:16
@Casuscactus

Oh, verzeihe, ich war mir nicht sicher, ob damit die Menge an Text gemeint war ^^

Ja, mehr muss ich dazu auch nicht unbedingt sehen x)

1

Die Testkammer war ein geschlossener Raum. Da reicht ein bisschen Gas und es gibt kein Vakuum mehr. Das weltall ist zu groß dafür