Thema: Bei Raumschiffen Schwerkraft durch Fliehkraft simulieren?

1 Antwort

Hm ... ich stelle Deine Grundannahme in Frage. Zuerst einmal stellt sich die Frage, was mit "Gezeitenkräften" gemeint ist - ich denke aber ich weiß was gemeint ist.

Das Schwereempfinden wird nur in einer sehr kleinen Region im Innenohr registriert, also fast punktförmig. Da reicht schon eine Zentrifuge für eine gleichbleibende Empfindung. Wahrscheinlicher meinst Du hier aber die unterschiedliche Gravitationswirkung z.B. im Kopf und den Beinen (bei aufrechter Position). Hier ist das Gehirn aber sehr flexibel und registriert schnell, was 'normal' ist. Es muss ja auch für das normale Empfinden auf der Erde kalibrieren. Es ist ja nicht genetisch fest, dass wir genau auf 1g geeicht sind. Sonst würde eine kleine genetisch Veränderung dazu führen, dass wir lebenslang eine Missempfindung haben.

Auch ist die Energie der Rückführung des Blutes von der Körpergröße abhängig. Und bei alten Menschen funktionieren die Venenklappen in den Beinen weniger gut und das Blut wird weniger gut nach oben transportiert. Von Kopf Richtung Herz gibt es im Alter keine Änderung. Entspricht in der Wahrnehmung also gegenüber jüngeren Jahren, als ob das Blut 'in den Beinen schwerer' ist.

Bleibt noch die Veränderung der Gravitation zum Beispiel beim schnellen Aufstehen. Da haben viele Menschen Schwindel (ich auch). Kann sein, dass dies leicht verstärkt auftritt bei sehr kleinen Radien und Gravitationswechsel (genau darin besteht ja das Problem beim schnellen Aufstehen, da durch die Beschleunigen eine erhöhte und dann verringerte Gravitation im Innenohr detektiert wird).

Auch ist 'bemerkbar' ganz generell von Person zu Person unterschiedlich. Und das Gehirn ist ungeheuer gut darin ungewöhnliche Dinge zu puffern, wenn sie gleichmäßig vorhanden sind.

Nichts davon belastet im Alltag wirklich. Solltest Du auf einen hier nicht aufgeführten Punkt mit "Gezeitenwirkung" anspielen, dann nenne mir diesen Grund gerne.

Natürlich darf das Rad/die Hülle nie schneller oder langsamer werden und die Schleuse in der Narbe zu nicht drehenden Teilen muss sich in Rotation bringen um von einem Teil zum anderen zu kommen.

Für die technischen Fragen über eine große Station hätte ich nur Laienwissen, da ich Biologe und nicht Ingineur bin.

WilliamDeWorde 
Fragesteller
 15.06.2023, 17:08

Danke für den langen Text. Ich habe mir das natürlich nicht einfach so ausgedacht und die Daten, die ich für die Rechnung benutzt habe, stammen von Profis. Allerdings ist das Ganze schon eine Weile her und ich merke mit grundsätzlich wenig Quellen und eher die Ergebnisse. Wenn ich etwas dazu finde, hänge ich den Link hier ran. Der Begriff der Gezeitenwirkung war mir auch neu. Einmal wird der Körper etwas in die Länge gezogen, weil an den Füßen mehr gezogen wird als auf den Kopf gedrückt. Es wird aber auch mit der Winkelgeschwindigkeit zu tun haben, weil die Füße schneller vorankommen als der Kopf. Ich nehme an, man hat in Zentrifugentests die Grenze ermittelt, wo Übelkeit auftritt.

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WilliamDeWorde 
Fragesteller
 15.06.2023, 17:36

Man kann nach kurzem Suchen doch einiges finden. Hier nur ein Beispiel:

https://scienceblogs.de/alpha-cephei/2019/02/11/ueber-die-erzeugung-kuenstlicher-schwerkraft-in-raumfahrzeugen/

Bei ca. 30% der Seite gibt es etwas zu Gezeitenkraft und Coroliskraft.

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Stefan997  15.06.2023, 23:05
@WilliamDeWorde

Dort steht

Um den Effekt erträglich zu halten, könnte man die Station so auslegen, dass die Gezeitenkraft höchstens 10% der Kreisbeschleunigung für einen stehenden Menschen ausmachen sollte. Dann müsste der Rotationsradius mindestens zehnmal die Größe eines Menschen betragen, also 18-20 m

Die dort "Gezeitenkräfte" genannten Effekte sollten auf einer 100m Station also völlig ausreichen.

Die Corrioluskräfte wären nach den Angaben im Text selbst bei 10m Durchmesser noch im erträglichen Bereich.

Im abschließenden Diagramm sind die Effekte auf das Gleichgewichtsorgan am Ausschlaggebensten. Wie im Text erwähnt stützt sich das aber auf erdgebundene Messungen und hier ist das Problem die Wechselwirkung zwischen Erdgravitation und der Rotation der Personenzentrifuge. Wenn es nur einer statt zwei g-Richtungskräfte gibt wird der Effekt im Text korrekterweise auf geringer eingeschätzt (aus biologischer Sicht würde ich nur einen deutlich geringeren Effekt oder im Extremfall gar keinen relevanten Effekt erwarten).

Selbst wenn man diese Werte nimmt ist man bei 2 Umdrehungen und 250m Durchmesser (= ca. 1g) im inneren Comfortbereich (Dunkelgrün). Bei den angenommenen deutlich geringeren Effekten auf das Vestibularsystem (im Text wird sehr bedauert, dass die angestrebten Experimente in Schwerelosigkeit nicht durchgeführt wurden) kommen wir auf 100 Meter oder darunter.

Du hast aber Recht, dass Modelle einer Raumstation mit deutlich unter 100 Metern - mitunter nur einer Raumkapsel die extrem schnell um die eigene Achse rotiert - nicht problemlos möglich sind. Die meisten Effekte treten erst durch Bewegung oder Drehung auf und könnten durch langsames und vorsichtiges Bewegen stark vermindert werden. Aber das Ziel es angenehmer zu machen als Schwerelosigkeit ist dann sicher nicht erreicht.

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WilliamDeWorde 
Fragesteller
 16.06.2023, 11:14
@Stefan997

nun, das war nur EINE Quelle, die ich da auf die Schnelle aufgezeigt habe und da steht auch, dass mindestens 1/6*g herrschen sollte. Vielleicht gehen da auch die Meinungen auseinander.

2 Umdrehungen sind schon ziemlich viel, weil unser Lagesinn - wie auch immer der sich zusammensetzt - das nicht gut wegsteckt, insbesondere, wenn Fenster vorhanden sind. Man kann auch nicht ununterbrochen Loopings machen, selbst wenn man in den Sitz gedrückt wird.

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Stefan997  16.06.2023, 14:17
@WilliamDeWorde

Nun, laut dem vorliegenden Diagramm war ich von 1g ausgegangen bei 250m Durchmesser. Für 0,3g lägen wir laut Diagramm bei ca. 75 Metern und bei 1/6g wären ändere Faktoren ausschlaggebender.

Der Lagesinn hat immer Probleme, wenn sich die Beschleunigungskäfte ändern (Schiffsschaukel, Achterbahn, Seekrankheit) oder sich Lagesinn und optischer Sinn widersprechen (oder linkes und rechtes Ohr sich widersprechen). In der Station ändern sich die Kräfte nicht (bei gleichmäßig drehender Station), aber der Wiederspruch zur Optik kann ausgelöst werden. Also: Keine Fenster. Dann sind auch noch kleinere Werte möglich als die oben angeführt.

Deine eigentliche Frage zielte aber auf statische Fragen zu megagroßen Durchmessern (auch wenn die Notwendigkeit dazu nicht gegeben ist). Ich hoffe hier findest Du Antworten auf diese Fragen. Denn eine Riesenstation hat auch Vorteile: Es können leichter viele Ebenen übereinandergesetzt werden, die alle akzeptable G-Kräfte aufweisen.

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WilliamDeWorde 
Fragesteller
 16.06.2023, 14:23
@Stefan997

Stimmt. Die Statik. Da wären auch noch veränderliche Massen, wie Wasservorräte, die sicher ganz außen anzubringen wären als Schutzschild gegen Strahlung.

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