Sollte man beim Schach aufgeben, wenn man eindeutig am Verlieren ist?

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Wie meine Vorgänger schon geschrieben haben, gilt es – außer in Blitz- und Bullet-Partien – als unhöflich und unsportlich, eine verlorene Partie weiter zu spielen. Es ist verpönt. 

Grundsätzlich wäre es auch in Blitz-Partien eine sportliche Geste, bei verlorener Stellung aufzugeben, aber kaum jemand würde es dem Gegner übel nehmen, wenn er es nicht tut. Mindestens ein Schach-Streamer und Internationaler Meister predigte wiederholt: „Deshalb gibt man niemals auf“, nachdem er bei verlorener Stellung in Blitzpartien doch noch auf Zeit gewann oder mit irgendwelchen schmutzigen Tricks ein Patt errang. Ich stimme ihm zu. Wer damit nicht klar kommt, sollte kein Blitz spielen. 

Auch bei normaler Bedenkzeit kann es manchmal „schöner“ sein, eine Partie bei verlorener Stellung zu Ende zu spielen. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn man eine besonders schöne Matt-Kombination oder ein außergewöhnliches Mattbild vom Gegner erkannt hat, wo es kein Entrinnen mehr gibt. In solchen Fällen wird die Partie mitunter trotzdem zu Ende gespielt. Das heißt, der Verlierer gibt nicht vorzeitig auf, sondern gönnt dem Sieger die Genugtuung, diese Kombination bzw. dieses Mattbild tatsächlich aufs Brett bekommen zu haben. Einige Spieler, wie der bereits erwähnte Schach-Streamer und Internationale Meister, machen es sich manchmal zum Ziel, eine bestimmte Partie durch einen bestimmten Zug, wie Rochade oder En Passant zu gewinnen. In solchen Fällen betteln sie geradezu darum: „Bitte gib nicht auf!“, um jenes anvisierte Matt zu verwirklichen. 

Ich persönlich nehme es meinen Gegnern zumindest in Schnell-Partien nicht besonders übel, wenn sie nicht aufgeben. Wenn es sich anbietet, verwandle ich meine Bauern bei gewonnener Stellung nicht in Damen, sondern in Springer und Läufer, lasse alle anderen Figuren schlagen und setze ihn mit Springer und Läufer Matt. So ist die verbleibende Spielzeit nicht gänzlich verschwendet, sondern ich habe eine kleine praktische Auffrischung des Verfahrens, während mein Gegner vielleicht noch etwas dazu gelernt hat. Wenn sich der Gegner allerdings bei klassischer Bedenkzeit zeigen lassen will, wie man mit Turm und König Matt setzt und vielleicht sogar noch anfängt zu überlegen, wohin er nach meinen Zügen seinen König setzen soll, würde auch ich ihm das übel nehmen. In gewisser Weise stellt sich die Person damit auch selbst ein Armutszeugnis aus, da sie derartige Endspiele offenbar für eine schwierige Sache hält, die man verpatzen könnte. 


DetlefRuchatz  06.08.2021, 09:49

Ach ja: Normalerweise möchte ich, dass meine Gegner die Freude am Spiel nicht verlieren. In 2 Fällen meiner kürzlich gespielten Partien wollten meine Gegner sich allerdings zeigen lassen, wie ich mit Dame und König Matt setze. Offenbar spekulierten sie noch auf ein Patt. In solchen Fällen werde ich richtig fies und demonstriere nicht die Lehrbuch-Methode, sondern die meist effektivere Zoom-Methode, wie Schach-Engines sie verwenden. Das verdattert die Gegner am Ende noch einmal so richtig – ganz im Geist der Worte von Bobby Fischer: „Ich mag den Moment, wenn ich das Ego eines Mannes zerstöre." :-) Also ja: Es wäre in ihrem eigenen Interesse gewesen, die Partie im angebrachten Moment aufzugeben.

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Ein hoffnungsloses Spiel bis zum Ende auszuspielen ist Nahe an Unfairnis, Unsportlichkeit und sicher keine angenehmer Spielercharakter.

Beispiel: Ich muss nicht durchspielen, um mir zeigen zu lassen, dass ein guter Spieler in einem Turmendspiel mit nur einem Turm auch mattsetzen kann.

Da kann man besser eine neue Partie anfangen.

Bei Blitzpartien kann man noch auf den Lucky Punch warten, in längeren Zeitspielen und erst recht in Ligaspielen ist die Fortsetzung hoffnungsloser Partien verpönt.


Rowal  06.08.2021, 19:02

Eine Einschränkung muss man machen: Bei Partien ohne Uhr ist es angebracht weiterzuspielen und immer länger nachzudenken. Manchmal kann man nämlich auf diese Weise ein Remis durch ewiges Überlegen erzwingen.

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Wenn es um Höflichkeit geht, dann gibt man auf, wenn die Partie klar gewonnen für den Gegner ist. Wobei das natürlich von der Spielstärke der beiden abhängt. Im Großmeisterbereich wird manchmal aufgegeben, obwohl die Normalo-Vereinsspieler noch gar nicht begriffen haben, wo denn das Problem sein soll...

Im normalen Vereinsniveau, so zwischen 1200 bis 1800 DWZ ist die "Kippgrenze" nach Material für gewöhnlich ein Turm Unterschied. Aber das kann man natürlich nicht ganz pauschal sagen, da es natürlich auch noch von der konkreten Stellung abhängt. Im Endspiel ist es dann oft auch so, dass aufgegeben wird, wenn beide erkennen, wie einer von beiden mit Sicherheit als erstes seine Bauernumwandlung erzwingen kann. Wenn beide z.B. über 1300 DWZ haben wird dem anderen auch nicht mehr unterstellt, dass er die Sache noch verpatzt.

Hier mal die Reaktion des mittlerweile leider schon verstorbenen, damals schon uralten Schachgroßmeisters Viktor Kortschnoi, als sein Gegner trotz Verluststellung nicht aufgab:

https://www.youtube.com/watch?v=5ZGufnQDYck

Woher ich das weiß:Hobby – Vereinsspieler, Regionaler Schiedsrichter und Funktionär

Wenn auch der Gegner das Ende absieht, ist Aufgeben die sinnvollste Option in einer solchen Situation.

  • Ich kenne das Problem: auf einer Jugendserie verlor ich einen Zug vor Matt auf Zeit.
  • Der Junge, der deswegen vor mir landete, Vincent Keymer, wurde aufgrund dieses Turniers in den Jugendnationalkader berufen und ist heute GM.
  • Wenn mein Gegner nicht so asozial gewesen wäre, stünde ich heute an Vincents Stelle